Portrait Dr. Stefan Zippel, MüNchen
30 Jahre psychosoziale HIV-Beratung in Bayern
Der Psychologe Dr. Stefan Zippel ist mittlerweile rund 30 Jahre in der Aids-Beratung tätig. Er berät HIV-Infizierte, klärt über Prävention auf und kämpft gegen Diskriminierung. Für sein außerordentliches Engagement wurde ihm vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit im November 2014 die Bayerische Staatsmedaille für Verdienste um Gesundheit und Pflege verliehen.
Lebenslauf Dr. rer. bio. hum. Stefan Zippel
1978 -1985 Studium der Psychologie an der Ludwig-Maximilians Universität München
Seit 1985 im Bereich der Versorgung von HIV-infizierten und AIDS-kranken Menschen tätig, u.a. bei der Bayerischen AIDS-Stiftung
1986 Mitarbeit beim ersten Münchner AIDS-Kongress
Seit Mai 1992 Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der LMU
2000 Approbation psychologischer Psychotherapeut
2001 Promotion zum Doktor der Humanbiologie
Seit 2003 Vortrag über HIV und STD für Jugendliche
2012 Organisation des Symposiums Jugendsexualität, HIV- und STD-Prävention und Geschlechteridentität
Seit 2013 Organisation der jährlichen Symposien Sexuelle Gesundheit und Jugendsexualität. 2014 und am 09. 05. 2015 fand bzw. findet das Symposium statt.
Herr Zippel, Sie sind seit 1985 im HIV-Bereich tätig und leiten seit 1992 die psychosoziale Beratungsstelle an der Dermatologischen Klinik der LMU. Wie hat das angefangen?
Dr. Zippel: Die Gründung der psychosozialen Beratungsstelle im Januar 1987 war Teil des bayerischen Maßnahmenkatalogs gegen HIV/Aids. Dieser Katalog sah polizeiliche und gesundheitliche Maßnahmen vor. Auf Anregung des Sozialministeriums wurden dann 11 gesundheitliche Beratungsstellen eingerichtet, fünf davon in München. Diese psychosozialen Beratungsstellen, die nach wie vor von Bayern finanziert werden, sind einzigartig in Deutschland.
Wen haben Sie damals beraten, wen beraten Sie heute?
Dr. Zippel: Ende der 80er-Jahre war HIV noch quasi ein Todesurteil und der Schwerpunkt meiner Arbeit damals war Sterbebegleitung. Es kamen aber auch noch gesunde, jedoch völlig verzweifelte Menschen, die sich plötzlich mit dem Tod konfrontiert sahen. Hier galt es Suizide zu verhindern. An Selbstmord denkt heute kaum noch jemand. Aber Themen wie Diskriminierung, Arbeit, Versicherung, Rente usw. sind auch heute noch aktuell. Allerdings ist der Kontext anders, denn mit einer gut behandelten HIV-Infektion kann man normal leben.
Beraten Sie auch zu anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen?
Dr. Zippel: Das war immer schon ein wichtiges Thema in der Beratung – bei HIV-Positiven wie HIV-Negativen. Heute ist das sogar meine wichtigste Aufgabe. Seit 2003 kläre ich Jugendliche in ganz Bayern über HIV und STI auf.
War diese Jugendarbeit Ihre Idee?
Dr. Zippel: Ja, eigentlich schon. 2002 kam vom Ministerium die Auflage, dass mindestens 30% der Tätigkeit der HIV-Prävention gewidmet werden muss. Den größten Aufklärungsbedarf sah ich bei Jugendlichen. Deshalb fand die erste Vorlesung für Jugendliche 2003 statt – zunächst noch mit meiner mittlerweile leider verstorbenen Kollegin Dr Thoma-Greber. Nach ihrem Tod habe ich die Vorlesung allein gehalten, teilweise in den Schulen und teilweise im Hörsaal der Dermatologischen Klinik der LMU München.
In den letzten elf Jahren haben Sie circa 150.000 Schülerinnen und Schüler über 15 Jahre aufgeklärt. Hat sich die Einstellung der Jugendlichen zur Sexualität geändert?
Dr. Zippel: Da hat sich wenig geändert. Die Jugendlichen agieren cool, doch bereits bei kleinen Nachfragen merkt man, wie brüchig das Wissen ist. Sehr positiv ist, dass sie sich trauen, Fragen zu stellen – zwar nicht vor ihren Freunden, aber sie kommen nachher mal vorbei oder rufen an.
Sexualaufklärung trifft in bayerischen Schulen und verschiedenen Religionsgemeinschaften durchaus auch auf Widerstand. Wie sind hier Ihre Erfahrungen?
Dr. Zippel: Da habe ich nur positive Erfahrungen gemacht. Auch muslimische Mädchen hören aufmerksam zu. Ich denke, das Setting macht viel aus. Ich halte eine quasi medizinische Vorlesung in einem Hörsaal der Universität. Zudem betone ich, wenn ich Bilder von Genitalien zeige, dass man wegschauen kann.
Nur einmal hatte ich eine negative Erfahrung. Ein Lehrer hat sich über die „schmutzige Sprache“ beschwert. Ein Teil meiner Vorlesung beschäftigt sich nämlich mit Sprechen über Sexualität. Nur wer passend über Sex sprechen kann, wird auch seine Position vertreten können. Die Vorwürfe haben sich dann später geklärt, als der Lehrer die ganze Vorlesung gehört hat.
Eine ganz ketzerische Frage: Angesichts der geringen Rate von HIV-Neuinfektionen bei Heterosexuellen brauchen wir da noch so viel Prävention?
Dr. Zippel: (lacht) Da könnte man ganz einfach antworten, ohne diese Prävention gäbe es viel mehr Neuinfektionen. Aber so einfach ist es nicht. In meiner Vorlesung geht es nicht nur um HIV-Prävention bei Heterosexuellen, sondern es geht um mehr. Es geht um alle sexuell übertragbaren Erkrankungen, um ungewollte Schwangerschaft und sexuelle Identität. Ich möchte den Jugendlichen sozusagen sexuelles Selbstbewusstsein vermitteln, sie anleiten über Sex zu sprechen, ihre sexuellen Wünsche und Grenzen zu äußern. Nur so kann man sich selbst schützen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, Akzeptanz für Homosexualität zu schaffen und betroffenen Jugendlichen entsprechende Anlaufstellen zu zeigen.
Sie haben die ganze Entwicklung der HIV-Infektion von den Anfängen bis heute miterlebt. Haben Sie 1985 geglaubt, dass HIV 30 Jahre später mit einer Tablette täglich gut in den Griff zu kriegen ist? Und glauben Sie an die Heilung?
Dr. Zippel: Ich habe viele Patienten beim Sterben begleitet und damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich heute jungen HIV-Infizierten sagen kann, sie müssen sich um ihre Rente kümmern. An die Heilung glaube ich momentan weniger. Da hat es neuerdings viele Rückschläge gegeben, die zeigen, dass wir hier erst ganz am Anfang stehen.
Ein Perspektivenwechsel. Sie machen seit 30 Jahren Sexualberatung. Welchen Einfluss hat das auf den Berater Stefan Zippel?
Dr. Zippel: Sicherlich hat jedes intensive Engagement auch Auswirkungen auf den Engagierten selbst und man muss zu seinem Alter passende Bewältigungsstrategien finden. Ich mache beispielsweise seit acht Jahren Yoga. Im Hinblick auf die Sexualität – nun ich war vor 30 Jahren eben auch 30 Jahre jünger (lacht). Wie vieles im Leben verändert sich auch die Sexualität. Aber ich war und bin Profi genug, um Arbeit und persönliche Beziehungen zu trennen.