Diana Ernst Und Torsten Witte, Hannover
Primäre Immundefekte bei Erwachsenen

Am häufigsten im Erwachsenenalter ist das Common Variable Immundeficiency Syndrome. Leitsymptom sind häufige bakterielle Infekte der Atemwege. Im Labor findet sich eine Panhypogammaglobulinämie. Zur weiteren Abklärung sind bei Verdacht auf einen primären Immundefekt detaillierte Untersuchungen, z.B. Lymphozytenfunktionstests, im Speziallabor erforderlich.

Pathologische Infektionsanfälligkeit ELVIS

  • Erreger:
    opportunistische Erreger (z.B. Candida Infektionen, atypische Mykobakterien usw.)
  • Lokalisation:
    polytope Infektionen, die sich systemisch auswirken
    untypische Lokalisation für einzelne Erreger (z.B. Hirnabszess durch Aspergillus)
  • Verlauf:
    unerwartet chronischer oder rezidivierender Verlauf unzureichendes Ansprechen auf antibiotische Therapie
  • Intensität: = Schweregrad
    ungewöhnlich schwer verlaufende Infektionen Major-Infektionen (wie Pneumonien, Meningitiden etc.)
    persistierende und über das Maß rezidivierende Minor-Infektionen (wie Otitis media, akute Gastroenteritis)
  • Summe der Infektionen:
    als Annäherungswerte (bei Kleinkindern) können gelten: ≥ acht Minorinfektionen pro Jahr, ≥ zwei Pneumonien oder schwere Sinusitiden pro Jahr.

Tab. 1

Infektionen, insbesondere der Atemwege, gehören zu den häufigsten Gründen des Arztbesuchs und treten bei Erwachsenen durchschnittlich ca. 2-3mal pro Jahr auf. Diese physiologische Infektanfälligkeit wird noch von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst, und steigt im Alter, bei häufigem Kontakt mit anderen Menschen (z.B. durch eigene kleine Kinder, Arbeit in einer Kindertagesstätte, Schule oder anderen Arbeitsplätzen mit Kundenkontakt) oder bei Rauchern.1 Andererseits sind Infektionen, wiederum insbesondere der Atemwege, auch das Leitsymptom von Immundefekten. Besonderheiten der pathologischen Infektanfälligkeit, die über das Maß der normalen Infektneigung hinausgeht und auf einen Immundefekt hindeutet, werden mit dem Akronym ELVIS beschrieben2: Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität und Summe der Infektionen (Tab. 1).

Die Symptome aus der Tabelle 1 wurden auch als Hinweise für einen Immundefekt in die aktuelle S2-Leitlinie „Diagnostik von primären Immundefekten“ integriert.2 Weiterhin wurden von der ESID (European Society for Immunodeficiency) sechs Warnzeichen (Tab. 2) formuliert, die zum Teil auch die ELVIS-Faktoren berücksichtigen. Bei Verdacht auf einen PID bei Erwachsenen sollten sie in der Anamnese erfragt werden.

Häufig finden sich bei Patienten mit einem PID neben Infektionen weitere Symptome, die auf eine Störung der Immunregulation hinweisen und die unter dem Akronym GARFIELD zusammengefasst werden. Zu ihnen gehören nicht-nekrotisierende, kleinherdige, epitheloidzellige Granulome („sarcoid-like lesions“), Autoimmunphänome wie z.B. autoimmune Thrombozytopenien oder auch rheumatoide Arthritis, Vaskulitis, Hepatitis, Diabetes etc. Rezidivierendes Fieber, Ekzematöse Hauterkrankungen, Lymphoproliferation und Darmentzündung.

Abb.	1	Röntgenbild des Thorax (p.a. und seitlich) einer Patientin mit CVID, die bei fehlender  Adhärenz gegenüber der Immunglobulinsubstitution an rezidivierenden Pneumonien litt.
Abb. 1 Röntgenbild des Thorax (p.a. und seitlich) einer Patientin mit CVID, die bei fehlender Adhärenz gegenüber der Immunglobulinsubstitution an rezidivierenden Pneumonien litt.

Zusammengefasst sollte insbesondere bei Erwachsenen mit gehäuften bakteriellen Infekten der Atemwege (Abb. 1) oder bei Infekten mit opportunistischen Erregern eine Immundefektabklärung erfolgen.

Ein PID kann durch verschiedene Pathomechanismen verursacht werden. Entsprechend ist eine Einteilung in Erkrankungsgruppen möglich (Tab. 3).

Common Variable Immundeficiency Syndrome

Fast alle dieser PIDs werden schon in der Kindheit symptomatisch und werden daher schon vom Pädiater diagnostiziert. Die Ausnahme ist der variable humorale Immundefekt (CVID – Common Variable Immundeficiency Syndrome), da zwei Altersgipfel bei der Erstmanifestation bestehen, nämlich in der frühen Kindheit (1-5 Jahre) und häufiger in der 2. und 3. Lebensdekade. Der CVID ist daher der am weitaus häufigsten diagnostizierte primäre Immundefekt bei Erwachsenen. CVID ist definiert als Panhypogammaglobulinämie mit Verminderung von mindestens zwei Immunglobulinklassen, gehäuften bakteriellen Infekten, typischerweise der Atemwege, und einer eingeschränkten Bildung von Impfantikörpern.

Warnzeichen für Immundefekte bei Erwachsenen

  1. Vier oder mehr Infektionen mit der Notwendigkeit einer antibiotischen Therapie innerhalb eines Jahres (Otitis, Bronchitis, Sinusitis, Pneumonie)
  2. Rezidivierende Infektionen oder Infektion mit der Notwendigkeit einer prolongierten antibiotischen Therapie
  3. Zwei oder mehr schwere bakterielle Infektionen (Osteomyelitis, Meningitis, Sepsis, Zellulitis)
  4. Zwei oder mehr radiologisch gesicherte Pneumonien innerhalb von 3 Jahren
  5.  Infektion an außergewöhnlicher Stelle oder mit ungewöhnlichem Erreger
  6. Vorliegen eines primären Immundefekts in der Familie

Tab. 2

Die Prävalenz der Erkrankung wird meist mit ca. 1:25.000 angegeben. Die tatsächliche Prävalenz liegt in Deutschland wahrscheinlich aber noch höher, da die Erkrankung nicht immer diagnostiziert wird und die Patienten dann vor Stellung der Diagnose an Infekten sterben.

Beim CVID fallen die Immunglobulin-Konzentrationen im Serum oft über Jahre bis Jahrzehnte allmählich ab. Der Immundefekt beginnt oft mit Sinusitiden und Otitis media, später kommen fiebrige, eitrige Bronchitiden und Pneumonien hinzu. Bei ca. 50% der Patienten mit langer Infektanamnese werden schließlich Bronchiektasen nachgewiesen, die zu noch häufigeren Infektproblemen und schlechterer Prognose führen.

Angesichts der Häufigkeit des CVID ist dessen Leitsymptom, bakterielle Infekte der Atemwege, das wichtigste Leitsymptom von PIDs bei Erwachsenen. Harnwegsinfekte oder virale Atemwegsinfekte sind dagegen kein Leitsymptom eines PID bei Erwachsenen.

In einer Registerstudie wurde gezeigt, dass die Zeit zwischen den ersten Symptomen des CVID und der Diagnosestellung ca. 4 Jahre beträgt, wobei die Diagnose bei Erwachsenen schneller gestellt wird, als bei Kindern.5 Die „Awareness“ von Internisten hinsichtlich der Leitsymptome der PID ist damit zwar noch verbesserungsfähig, aber mittlerweile schon auf einem recht guten Niveau.

Differentialdiagnosen

Bei der Stellung der Verdachtsdiagnose eines PID sollten auch die Differentialdiagnosen bedacht werden. Zu diesen zählen Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, Herzerkrankungen, Adipositas, chronische Rauchexposition sowie angeborene Erkrankungen mit erhöhter Infektanfälligkeit wie die zystische Fibrose und die primäre Ziliendyskinesie (Kartagener-Syndrom). Auch die bei Erwachsenen viel häufigeren sekundären Immundefekte sollten berücksichtigt werden, so ist stets eine HIV-Infektion auszuschließen. Ein sekundärer Antikörpermangel kann durch chronischen enteralen oder renalen Verlust, Medikamenteneinnahme (z.B. bestimmte Antiepileptika, Antimalaria-Medikamente, Antirheumatika) oder maligne Erkrankungen, insbesondere Lymphome und Leukämien, verursacht werden. In manchen Zentren gehört daher die Knochenmarksbiopsie zur Routineabklärung der neu diagnostizierten Hypogammaglobulinämie bei Erwachsenen. Eine erworbene oder funktionelle Asplenie führt zu einer Anfälligkeit für Infektionen mit bekapselten Erregern.6,7

Diagnostik

UIS-Klassifikation (International Union of Immunological Societies), Einteilung in Erkrankungsgruppen3

  1. Kombinierte T- und B-Zell-Immundefekte
  2. Immundefekte, bei denen der Antikörpermangel im Vordergrund steht
  3. Andere gut definierte Immundefekt-Syndrome
  4. Erkrankungen mit Immundysregulation
  5. Defekte der Phagozytenzahl und/oder -funktion
  6. Defekte der natürlichen Immunität (innate immunity)
  7. Autoinflammatorische Syndrome
  8. Komplementdefekte

Tab. 3

Die klinische Untersuchung sollte eine ausführliche körperliche Untersuchung beinhalten, die die lymphatischen Organe, alle Lymphknotenstationen sowie die Haut einbezieht. Abszesse, chronische Pilzbesiedlung, Ekzeme sowie granulomatöse Lymphadenopathie und andere Autoimmunphänomene können Hinweise auf einen Immundefekt sein.

Zu den einfachen Laboruntersuchungen gehören als Basisdiagnostik die Untersuchung des Differenzial-Blutbilds und die Bestimmung des IgG, IgA, IgM und IgE im Serum. Bei auffälligen Analysen und/ oder anhaltendem Verdacht auf einen Immundefekt sollte die Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum erfolgen. Dort kann die Untersuchung spezifischer Antikörper, die gegen bestimmte Erreger bzw. die Blutgruppenbestandteile gerichtet sind, veranlasst werden. Zu diesen spezifischen Antikörpern zählen Impf-antikörper (beispielsweise gegen Tetanustoxoid oder Diphtherietoxin) und Antikörper gegen häufige Infekterreger wie EBV.

Bei humoralen Immundefekten werden ferner IgG-Subklassen bestimmt, und zusätzlich mittels Durchflusszytometrie (FACS, Fluorescence Activated Cell Sorter) eine Lymphozytenphänotypisierung veranlasst und damit die genaue Anzahl der T- und B-Zell-Subtypen bestimmt. Diese FACS-Untersuchung erfasst allerdings nur quantitative Defekte. Die Funktion dieser Zellen hinsichtlich Proliferation und Zytokinproduktion wird im Speziallabor nach Aktivierung analysiert und erlaubt somit die Diagnose von zellulären Immundefekten, z.B. Granulozytendysfunktion. Zur weiteren speziellen Diagnostik gehören auch die Komplementanalyse, spezifische Phagozyten- und NK-Zellen-Untersuchungen sowie in Einzelfällen genetische Analysen.

Therapie und Prognose

Die Therapie und die Prognose sind je nach Art des Immundefekts sehr unterschiedlich. Wichtig ist in jedem Fall eine frühe Erkennung des Immundefekts, damit Langzeitkomplikationen durch schwere und chronische Infektionen vermieden werden können. Der CVID lässt sich durch eine einfache Substitution der Antikörper behandeln. Diese kann entweder subkutan durch den Patienten selbst 1-2mal wöchentlich mittels eines Pumpsystems durchgeführt werden oder wird alle 3-4 Wochen intravenös verabreicht. Der Patient kann selbst entscheiden, ob er lieber öfters, dafür aber individuell seine Therapie allein zu einem Zeitpunkt seiner Wahl durchführen möchte und dadurch sehr flexibel bleibt, oder in größeren Abständen einen Arzt-besuch zur intravenösen Applikation vorzieht. Es wird ein Zielspiegel von mindestens 6 g/l IgG und Infektfreiheit angestrebt, bei bekannten Bronchiektasen oder anhaltend hoher Infektionsfrequenz sollte der IgG-Spiegel auf mindestens 7 g/l angehoben werden. Die empfohlene Immunglobulinmenge, um diese Spiegel zu erreichen, liegt bei 400-600 mg/kg Körpergewicht monatlich. Bei konstant eingestellter Therapie und guter Compliance sind Lebensqualität und Lebensdauer, wenn überhaupt, nur minimal eingeschränkt. Die Prognose hängt v.a. von Infektionskomplikationen sowie den assoziierten Erkrankungen (GARFIELD) ab.

Trotz Antikörpermangels empfiehlt die STIKO prophylaktische Impfungen wie die jährliche Influenza- und die Pneumokokkenimpfung (einmalig der 13-valente Konjugatimpfstoff und alle 5 Jahre die 23 valente Polysaccharidimpfstoff), da auch die zelluläre Immunantwort bei der Impfantwort eine Rolle spielt.


i Nafstad P, Hagen JA, Oie L, Magnus P, Jaakkola JJK: Day care centers and Respiratory health. Pediatrics1999, 103(4):753-758.

2 Farmand S, Baumann U, von Bernuth H et al, S2-Leitlinie „Diagnostik von primären Immundefekten“, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/027-050l_S2k_Diagnostik_Primäre_Immundefekte_2011-12.pdf

3 Notarangelo LD, Fischer A, Geha RS, Casanova JL, Chapel H, Conley ME, Cunningham-Rundles C, Etzioni A, Hammarstrom L, Nonoyama S et al: Primary immunodeficiencies: 2009 update. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2009, 124(6):1161-1178.

4 Cunningham-Rundles C, Bodian C. (1999). Common variable immunodeficiency: clinical and immunological features of 248 patients. ClinImmunol. 92:34-48.

5 Gathmann B, Mahlaoui N; CEREDIH, Gérard L, Oksenhendler E, Warnatz K,et al European Society for Immunodeficiencies Registry Working Party. Clinical picture and treatment of 2212 patients with common variable immunodeficiency. J Allergy ClinImmunol. 2014; 134:116-26.

6 Herriot R, Sewell WA: Antibody deficiency. J Clin Pathol 2008, 61(9):994-1000.

7 Schutze GE, Mason EO, Jr., Barson WJ, Kim KS, Wald ER, Givner LB, Tan TQ, Bradley JS, Yogev R, Kaplan SL: Invasive pneumococcal infections in children with asplenia. Pediatr Infect Dis J 2002, 21(4):278-282.

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