Benjamin T. Schleenvoigt für Capnetz
CAPNETZAmbulant erworbene Pneumonie und HIV

Es ist unklar, ob die S3-Leitlinie zum Vorgehen bei ambulant erworbener Pneumonie auch für HIV-positive Patienten geeignet ist. Entsprechende Daten fehlen. Die CAPNETZ-Studie soll das klären.

Die Inzidenz der ambulant erworbenen Pneumonie (CAP) in Deutschland wird in der Literatur mit 3,7 bis 10/1.000 pro Jahr angegeben. Aufgrund dessen kann man in Deutschland von jährlich 400.000 - 680.000 neuen CAP Fällen ausgehen (Schnoor et al. 2007). Bei 30- bis 40-Jährigen liegt die Inzidenz bei <1/1.000 und geht mit einer Letalität von circa 3,6% einher. Im Alter nimmt die Letalität deutlich zu und liegt bei 60- bis 70-Jährigen bei 9,5%. (Ewig et al. 2009).

Risikostratifizierung

Die Risikostratifizierung erfolgt nach Empfehlung der S3-Leitlinie für CAP, die jedoch Immunsupprimierte nicht berücksichtigt, mit dem schnell zu bestimmenden CRB-65-Index (C=Confusion; R=Atemfrequenz >30/min; B=Blutdruck systolisch <90mmHg; 65=Alter >65). Bei einem Score von Null rechnet man mit einer Letalität von <1%. Eine stationäre Therapie ist somit vermeidbar. Bei 1-2 erfüllten Kriterien steigt die Letalität auf 6%, was eine stationäre Therapie rechtfertigt. Patienten mit einem Score von 3-4 sollten auf einer Intensivstation behandelt werden, da das Risiko für einen letalen Verlauf bei circa 20% liegt (Ewig 2016).

Ob diese Stratifizierung ohne weiteres von HIV-Negativen auf HIV-Positive übertragbar ist, ist bisher nicht bekannt und kann auch aufgrund der aktuellen Datenlage nicht beantwortet werden. Die Letalität von über 50-jährigen HIV-positiven Patienten in einer Publikation von Barakat et al. 2015 lag bei 5%. Wir gehen aber davon aus, dass das Risiko für Tod im Zusammenhang mit CAP durch Alter allein bei HIV-Positiven nicht relevant anders beeinflusst wird als bei HIV-Negativen.

Die Parameter des CRB-65-Index sind bisher bei HIV-positiven nicht evaluiert worden. Abgesehen vom Parameter „Alter“ gibt es in der Literatur keine Hinweise für die Aussagekraft des CRB-65-Index bei HIV-positiven mit CAP. Allerdings gibt es derzeit keine spezifischen Konzepte für die Risikostratifizierung von HIV-positiven mit CAP.

Behandlung

Gemäß der S3-Leitlinie kann bei einem ambulant behandelten CAP-Patienten vor dem Hintergrund des hohen Pneumokokkenanteils zur empirischen Therapie ein orales Aminopenicillin (1. Wahl) eingesetzt werden. Bei Allergie sind Makrolide oder Chinolone eine sinnvolle Alternative. Auf den Einsatz von Ciprofloxacin sollte aufgrund unzureichender Wirksamkeit gegen Pneu-mokokken verzichtet werden. Auch Roxithromycin wird in der überarbeiteten S3 Leitlinie nicht mehr empfohlen, da die zugelassene Dosis unzureichend erscheint und Alternativen mit adäquaterer Dosierung (Clarithromycin und Azithromycin) verfügbar sind. Im Falle einer ambulant behandelten Pneumonie mit Komorbiditäten wie COPD, Herzinsuffizienz oder ZNS-Erkrankung sollte die empirische Therapie Beta-Laktamase-bildende Erreger wie S. aureus, Hämophilus und Enterobakterien mit erfassen (Tab. 1) (Ewig 2016).

Tab. 1  Risikofaktoren für definierte Erreger in Abhängigkeit von der Komorbidität
Tab. 1 Risikofaktoren für definierte Erreger in Abhängigkeit von der Komorbidität

Es ist unklar, ob die HIV-Infektion hier als Ko-Morbidität gewertet werden muss, die mit einem anderen Erregerspektrum einhergeht. Dies wurde in Deutschland unseres Wissens nach bisher nicht untersucht. Wir würden jedoch im Hinblick auf den hohen Anteil von Pneumokokken in der spanischen Arbeit von Cordero et al. 2002 nicht zum primären Einsatz von Beta-Laktamase-Inhibitoren raten, da diese auf Pneumokokken keinen zusätzlichen Effekt haben. Pneumokokken bilden keine Beta-Laktamasen. Penicillin-Resistenz bei Pneumokokken entsteht durch Mutation der Penicillin-bindenden Proteine. Zudem sind Resistenzen gegen Penicillin bei Pneumokokken-Isolaten in Deutschland sehr selten (<1%).

Bei den ambulant behandelten Patienten nimmt die Leitlinie eine empirische Behandlungslücke bei atypischen Erregern (v.a. Mykoplasmen, sehr selten Chlamydien und Legionellen) bewusst in Kauf. Zwei CAPNETZ-Arbeiten haben gezeigt, dass Mykoplasmen-Pneumonien eine deutlich niedrigere Letalität als Pneumokokkenpneumonien haben, wobei in der Gruppe der ambulant behandelten Patienten die Letalität prinzipiell sehr niedrig ist (Dumke et al. 2015; von Baum 2009).

Anders bei HIV?

Daten aus einer prospektiven Kohortenstudie aus Frankreich zeigen, dass die Gesamtinzidenz der Pneumonie bei HIV-infizierten Menschen in etwa der von nicht- infizierten entspricht, sich jedoch in Abhängigkeit von Alter, Immunstatus und Höhe der HIV-Viruslast deutliche Unterschiede ergeben. So liegt die Inzidenz bei HIV-positiven Menschen bereits in der Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen bei 13,6/1.000. Bei CD4-Werten von 200 bis 350/µl und erhöhter Viruslast von >1.000 Kopien HIV-RNA/ml werden Inzidenzen von 16/1.000 angegeben. Im Durchschnitt wurden die 3.336 eingeschlossenen Patienten in dieser Studie 3,3 Jahre beobachtet. Während dieses Zeitraumes sind 135 Episoden von bakterieller Pneumonie aufgetreten (Bénard et al. 2010). Aktuelle Untersuchungen mit repräsentativen Fallzahlen zum bakteriellen Erregerspektrum der ambulant erworbenen Pneumonie bei HIV-infizierten Menschen liegen nicht vor. Jedoch weisen Daten von Bénard et al. 2010 darauf hin, dass auch bei HIV-infizierten Pneumokokken (22/31) einen relevanten Anteil bilden, der in der empirischen Therapie erfasst werden sollte.

In einer anderen Studie an 1.203 (533 HIV-negativen vs. 670 HIV-positiven) über 50jährigen amerikanischen Veteranen mit CAP konnte gezeigt werden, dass sich das Erregerspektrum und die 30 Tagesmortalität bei HIV-positiven nicht von HIV-negativen unterscheidet. Die 30 Tagesmortalität betrug in beiden Gruppen circa 5% und das bakterielle Erregerspektrum war mit 13% eher unterrepräsentiert. Das Erregerspektrum war aber auch nicht der primäre Endpunkt dieser Studie und blieb bei dem überwiegenden Teil der Studienpatienten (1.017 von 1.203) unklar (Barakat et al. 2015).

Ältere Daten einer spanischen Arbeitsgruppe aus den 90er Jahren untermauern jedoch signifikant den hohen Anteil von Pneumokokken bei HIV-positiven Patienten mit bakterieller Pneumonie. In dem Patientenkollektiv mit radiologischem Nachweis einer CAP (n=355) wurde bei 313 Patienten die Diagnostik aus Sputum und bei 329 Patienten eine Diagnostik aus der Blutkultur veranlasst. Die Patienten waren zu 76% männlich und durchschnittlich 32 Jahre alt. Die CD4-Zahl war in dem Studienkollektiv mit nur 125-198 Zellen pro µl eher niedrig und 299 Patienten hatten zuvor eine AIDS definierende Erkrankung. Nur 16% waren gegen Pneumokokken geimpft. Für 82% wurde die Benutzung von intravenösen Drogen angegeben. Ein Erregernachweis gelang in 108 (34%) aus Sputum bzw. 75 (22%) Fällen aus der Blutkultur. Mit 43 Nachweisen aus Sputum bzw. 36 aus Blutkulturen waren Pneumokokken mit Abstand die häufigsten nachweisbaren Erreger. Hämophilus influenzae war mit 23 (Sputum) bzw. 5 (Blutkultur) Nachweisen der zweithäufigste typische Erreger. Für Enterobakterien (u.a. E. coli, Klebsiella sp.) ergaben sich insgesamt nur 7 Nachweise. Überraschenderweise war Pseudomoas insgesamt mit 22 Nachweisen aus Sputum und 7 Nachweisen aus der Blutkultur das zweithäufigste Pathogen in dieser Auswertung (Cordero et al. 2002). Ob die Benutzung von intravenösen Drogen mit dem Nachweis von Pseudomonaden in diesem Kollektiv von jungen HIV-positiven Patienten mit bakterieller ambulant erworbener Pneumonie korreliert, geht aus der Publikation nicht hervor. Der Anteil von atypischen Erregern wie Mykoplasmen (8 Nachweise) und Legionellen (1 Nachweis) wurde in dieser Studie wahrscheinlich unterschätzt, da die kulturellen Verfahren diese Erreger nicht erfassen und die serologischen Verfahren für die Diagnostik dieser Erreger zu unscharf sind. Diese Daten legen nahe, dass die mikrobiologische Diagnostik aus Sputum auch bei HIV-infizierten in 34% zu einem Nachweis des ursächlichen Pathogen führt und Pneumokokken die häufigsten Erreger sind.

CAPNETZ-Studie

Für die empirische antibiotische Therapie von HIV-infizierten mit CAP gibt es insbesondere in Deutschland bisher wenig Evidenz. Es sind zusätzliche Informationen zum mikrobiellen Spektrum und zu erwartender Antibiotikaresistenz bei HIV-infizierten Patienten mit CAP erforderlich, die im Rahmen einer prospektiven Studie erhoben werden sollten. Denn es fehlten zuverlässige Daten, aus denen hervorgeht unter welchen Umständen bei HIV-Infizierten mit einem mittelschweren oder gar schweren Verlauf gerechnet werden muss und welches Erregerspektrum hier in der empirischen Therapie berücksichtigt werden sollte.

Die CAPNETZ STIFTUNG untersucht seit 2001 an 17 Zentren den klinischen Verlauf und das mikrobielle Spektrum bei ambulant erworbener Pneumonie im Rahmen der CAPNETZ-Studie. Dabei werden Urin, Sputum und Blutkulturen untersucht und der Patient 14 Tage nach Behandlung sowie nach 28 und 180 Tagen zu seinem klinischen Verlauf befragt. Die Einschlusskriterien für diese Studie sind Alter ≥18 Jahre, Infiltrat im Röntgen-Thorax sowie mindestens ein weiterer klinischer Befund (Fieber, Husten, purulentes Sputum, positiver Auskultations-befund). Die HIV-Infektion stellte bisher ein Ausschlusskriterium dar. Mit einer grundsätzlichen Überarbeitung des eCRF und einer Umstellung der Datenerfassung sollen ab 2017 auch HIV-positive Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie in die CAPNETZ-Studie eingeschlossen werden können. Die Erfassung der HIV-Infektionen mit zusätzlichen Informationen u.a. zu HIV-Viruslast, CD4-Werten, CDC-Stadium, Prophylaxen und antiretroviraler Therapie sollen Aufschluss über das mikrobielle Keimspektrum in Abhängigkeit von den genannten Parametern im Zusammenhang mit CAP bei HIV-positiven Patienten liefern. Auswirkungen der CAP und Antibiotikatherapie auf den Verlauf von CD4 und HIV-Viruslast sind weitere wissenschaftliche Fragestellungen im Rahmen des Studienprojektes, welches zunächst von 2017 bis 2020 pro Jahr ca. 100 HIV-Patienten mit einer CAP erfassen wird. HIV-Schwerpunktzentren, die an der Studie teilnehmen möchten, wenden sich an die Geschäftsstelle der CAPNETZ STIFTUNG, Frau Grit Barten (E-Mail: grit.barten@capnetz.de).


Schnoor, M., et al. (2007). „Approaches to estimate the population-based incidence of community acquired pneumonia.“ J Infect 55(3): 233-239.

Ewig S, Birkner N, Strauss R, Schaefer E, Pauletzki J, Bischoff H, Schraeder P, Welte T, Hoeffken G. New perspectives on community-acquired pneumonia in 388 406 patients. Results from a nationwide mandatory performance measurement programme in healthcare quality. Thorax. 2009 Dec;64(12):1062-9. doi: 10.1136/thx.2008.109785. Epub 2009 May 18.

Ewig, S., et al. (2016). „[Management of Adult Community-acquired Pneumonia and Prevention - Update 2016].“ Pneumologie 70(3): 151-200.

Benard, A., et al. (2010). „Bacterial pneumonia among HIV-infected patients: decreased risk after tobacco smoking cessation. ANRS CO3 Aquitaine Cohort, 2000-2007.“ PLoS One 5(1): e8896.

Barakat, L. A., et al. (2015). „Comparing clinical outcomes in HIV-infected and uninfected older men hospitalized with community-acquired pneumonia.“ HIV Med 16(7): 421-430.

Cordero, E., et al. (2002). „Usefulness of sputum culture for diagnosis of bacterial pneumonia in HIV-infected patients.“ Eur J Clin Microbiol Infect Dis 21(5): 362-367.

Dumke R, Schnee C, Pletz MW, Rupp J, Jacobs E, Sachse K, Rohde G, Group CS. Mycoplasma pneumoniae and Chlamydia spp. Infection in Community-Acquired Pneumonia, Germany, 2011-2012. Emerg Infect Dis 2015: 21(3): 426-434.

von Baum H, Welte T, Marre R, Suttorp N, Luck C, Ewig S. Mycoplasma pneumoniae pneumonia revisited within the German Competence Network for Community-acquired pneumonia (CAPNETZ). BMC Infect Dis 2009: 9: 62.

Garin N, Genne D, Carballo S, Chuard C, Eich G, Hugli O, Lamy O, Nendaz M, Petignat PA, Perneger T, Rutschmann O, Seravalli L, Harbarth S, Perrier A. beta-Lactam monotherapy vs beta-lactam-macrolide combination treatment in moderately severe community-acquired pneumonia: a randomized noninferiority trial. JAMA Intern Med 2014: 174(12): 1894-1901.

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