Christoph Mayr, Berlin
„Herbst in der Hose“ * Das HIV, das Altern und die sexuelle Dysfunktion

Wer hätte 1997, also vor zwanzig Jahren gedacht, dass wir ein Leben mit HIV in unmittelbaren Zusammenhang mit einer im besten Fall uneingeschränkten Lebenserwartung setzen können. Man darf sich allerdings fragen: um welchen Preis! Mit dem Alter kommen die Zipperlein und die sind bei HIV nicht zu knapp.

Der ART sei Dank, ... heute sprechen wir über Probleme und Krankheiten, die sich beim alternden Menschen einstellen, auch in der HIV-Sprechstunde. Und nicht zu knapp, denn die Komorbidität beim HIV-positiven Menschen ist – so zeigen es etliche Studien – höher wie in der Allgemeinbevölkerung. Ein Segen auch, wird mancheiner sagen, dass wir heute gerne Kombinationsregime in Form einer Tablette täglich verordnen können. Compliance/Adhärenz, das Thema, das uns lange Jahre begleitet hat, um unserer Klientel diese heute erreichte Lebensperspektive zu eröffnen, ist heute so sehr gelebte Realität, dass wir nun in der Sprechstunde weniger Mühe haben werden, den Wert einer regelmäßigen Tabletteneinnahme zu empfehlen! ASS, Metformin, Sartane und Atorvastatin, allein schon deswegen hat ein STR einen hohen Stellenwert. Die tägliche Einnahme des „Cocktails“ bleibt im ersten Moment überschaubarer.

Komik 1

Es drückt nicht mehr

Neben Herzinfarkt und Niereninsuffizienz, Zucker- und Fettstoffwechselstörungen ist für den Mann, auch den HIV-positiven, ein Thema im Kopf drückend, ja bedrohlich, das der erektilen Dysfunktion. In der Hose drückt es nicht mehr. Dabei gelten auch hier die gleichen Gesetze des Alterns. Alles nimmt ab oder zu, je nach Perspektive. Alles wird weniger, ob wir es hinnehmen wollen oder nicht. Mann nimmt nicht gerne hin, gerade das nicht! Kaum jemand kann das Thema besser und in einer heiter-melancholischen Melange aufbereiten als der schwule Cartoonist Ralf König mit seinem Spätwerk „Herbst in der Hose“.

Darüber freut sich Mann

Mann hat Abhilfe geschaffen (bekommen). Die Einführung des ersten Phospho-Diesterase-5-Inhibitors Sildenafil im April 1998 war ein Segen! Und ein Fluch zugleich? Heute stehen in Deutschland vier verschiedene Substanzen zur Verfügung. Als Life style drug selbstverständlich nur auf Privatrezept, um „im Herbst“ noch einmal punktuell frühlingshafte Gefühle entstehen zu lassen: Sildenafil (Viagra®), Vardenafil (Levitra®), Tadalafil (Cialis®)und Avanafil (Spedra®). Die Firma Pfizer hatte bis Mitte 2013 weltweit ca. 25 Milliarden US-Dollar umgesetzt! Seit Juli 2013 ist Sildenafil erfreulicherweise auch generisch erhältlich. Für die Substanz Tadalafil fällt der Patentschutz zum November dieses Jahres. Die „weekend pill“ wird preiswerter. Mann darf sich freuen!

Und schon wird das Thema „sexuelle Dysfunktion“ weniger häufig und weniger laut von Mann vertreten – so zumindest mein persönlicher Eindruck! Mann kann Abhilfe schaffen: „Übrigens, Doktor ... dann brauche ich noch ein Privatrezept über die blauen Pillen“. Eine Pille mehr und „der kleine Mann“ steht wieder besser im Leben! Chem-Sex in der Grundausstattung!

Zuviel des Guten?

Da Mann nicht gerne spricht, wenn´s und wo´s hakt, ist der Boxenstopp für´s Tanken der PDE-5-Inhibitoren (frei nach „Pack´ den Tiger in den Tank“) Alltag geworden. Natürlich mit ärztlicher Gebrauchsanweisung: Vorsicht bei Poppers, Vorsicht bei CYP3A4-hemmenden Medikamenten, Vorsicht bei ...! Aber wer hört/liest schon Gebrauchsanleitungen sorgsam. Wie neulich als ein Patient von einer schmerzhaften Dauererektion über 2 Tage berichtete, dies bei gleichzeitiger Einnahme eines modernen STR mit Booster. Uupppssssss! Die ärztliche Aufklärung war zuvor erfolgt!

Dabei ist auch sonst Tuning angesagt: Testosteron-Substitution ab dem 40. Lebensjahr wird häufiger angefragt, oft auf dem grünen Rezept neben den blauen Pillen. Der Stoff, aus dem die feuchten Träume sind! Bis der heilige Hämatokrit nein sagt!

Keine Lust auch nicht gut

Aber da gibt es einige, die – im Gespräch mit dem Arzt – niemals über den „Herbst in der Hose“ lamentieren, weil es ihn nicht gibt, zumal nicht mit Leidensdruck. Das sind die Naturburschen, die nicht rauchen und trinken, mit der Sporttasche zur Laborbesprechung kommen, den BMI wie ein Mantra bei 24 halten und auch sonst wohl gute Gene haben.

Und es gibt die vielen, die – darauf angesprochen –, mit feuchten Augen von früher sprechen oder es trocken als „kein Thema mehr“ bezeichnen. Da sollte Arzt aufhorchen! Hyposexualität? Auch nicht gut! Zeichen einer depressiven Verstimmung oder Lauf des Lebens, der Mann depressiv machen muss? Da fragt Man(n) sich, was früher da war: Henne oder Ei? Entscheidet Man(n) sich für Antidepressiva ist Vorsicht geboten. Die „Mach-mich-glücklich“-Pillen verschlimmbessern die Situation: Im Kopf beginnt die Sonne zu scheinen, und untenrum gibt´s womöglich Unterkühlung.

Wissenschaftlicher Abgesang

cartoon 2

In den letzten 10 Jahren sind wenige neue wissenschaftliche Arbeiten zu „sexueller Dysfunktion bei HIV“ erschienen. Warum auch? Wen interessiert es in Zeiten von Sildenafil? Darum!? Heute wäre besser der Frage nachzugehen, ob bei langjährig gut laufender antiretroviraler Therapie Mann weniger (Libido)Schwäche offeriert! Seinerzeit war neben HIV und dem alten Lied von der chronischen Inflammation vor allem die HIV-Therapie als Ko-Faktor, namentlich vor allem die Gruppe der Protease-Inhibitoren als Ursache beschuldigt worden. Ob das in Zeiten der Integraseinhibitoren auch so ist?

Am eindrücklichsten war mir seinerzeit eine Arbeit von Lallemand (2002) bei 156 homo- und bisexuellen Männern in Paris in Erinnerung geblieben. Hierbei hatte knapp 1/5 der Befragten, die über mangelnde Bewegung in der Hose klagten, diese Beschwerden schon vor ihrer HIV-Infektion gehabt und knapp 33% hatten die Schwäche auch vor Beginn der ART bereits bemerkt.

Und wieder aus dem Land der Liebe: 15 Jahre später veröffentlichen Fumaz et al. in diesem Jahr eine Studie bei 501 homo- und bisexuellen Franzosen (Alter im Median 42 Jahre, HIV seit 6,3 Jahren, sonst zwischen 2,6-17,1 Jahren bekannt, ART in 92%, VL <50 Kopien/ml in 81,8%) zur Frage des Libidoverlustes und der erektilen Dysfunktion. Fazit hier: 19% der Befragten nehmen regelmäßig PDE5-Inhibitoren zu sich. In der univariaten Analyse sprachen folgende Faktoren für eine sexuelle Schwäche: Dauer der HIV-Infektion, Ko-Infektion mit Hepatitis C und Einnahme von Proteaseinhibitoren. Zwei weitere Faktoren waren ebenso in der univariaten Analyse aufgefallen, die auch in der multivariaten Analyse Bestand hatten: Lebensalter und ein erhöhter Angst- und Depressions-Score im HAD.

Und jetzt? Ich schlage vor, Ralf Königs „Herbst in der Hose“ zu lesen! Wohl bekomms.

P.S.: Der Artikel ist ausdrücklich nicht frauenfeindlich! Erektile Dysfunktion ist einfach ein Männerthema!

* Titel des aktuellen Buches von Ralf König.
Graphiken von Ralf König.
Mit freundlicher Genehmigung von Ralf König.



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