HIV-positiv im Pflegeheim
Grundsätzlich gilt: Ein Pflegeheim ist kein Ort, um sich wohlzufühlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man nicht oder nur bedingt mobil und auf Hilfe des Pflegepersonals angewiesen ist. Wohlfühlen ist weder ein Vertragsbestandteil, noch auf Grund der Anzahl der Pfleger*Innen bzw. Betreuungskräfte möglich.
@Fotalia
Nach wie vor großer Informationsbedarf
Auch nach 35 Jahren HIV in Deutschland spuken immer noch oder schon wieder Vorstellungen von HIV in vielen Köpfen der Gesellschaft herum, die von Nicht-Wissen und daraus resultierenden Ängsten und Vorurteilen geprägt sind. Und sie entsprechen – was erstaunlich ist! – selbst bei einem großen Teil des medizinischen Personals wie Ärzte und Pflegepersonal in Krankenhäusern und Pflegeheimen nicht dem Stand des Wissens. Wie ein roter Faden, so meine Vermutung, zieht sich seit vielen Jahrzehnten die Bewertung „Gute Krankheit – Schlechte Krankheit“ durch die Gesellschaft – und HIV gehört in die Kategorie schlechte Krankheit.
Ich wohne seit 16 Monaten in einem Pflegeheim. Als das Pflegeteam hörte, dass ich HIV-positiv bin, haben zunächst alle abgelehnt, mich anzufassen und zu pflegen. Keiner wollte mit mir etwas zu tun haben. Dieses Pflegeheim dürfte kein Einzelfall sein. Angesichts der immer älter werdenden HIV-Infizierten und älter werdenden Menschen, die Teil der LSBTIQ (Lesbisch, Schwul Bisexuell Trans Inter Queer) Community sind, muss sich die Haltung innerhalb der Pflegeheime seitens der Verantwortlichen gegenüber diesen Menschen, ändern – oder hoffen die Pflegeheime, dass dieser Kelch an ihnen vorübergeht?
In meinem Fall hat die zu dieser Zeit verantwortliche Pflegedienstleitung meinen behandelnden Arzt aus dem Team, bei dem ich seit 30 Jahren in Behandlung bin, gebeten, das Pflegeteam über HIV aufzuklären. Seitdem gibt es glücklicherweise keinerlei „Berührungsprobleme“.
Unter den HIV-Positiven und Menschen der LSBTIQ Community gibt es sowohl Menschen, die ihren Lebensabend gut vernetzt zu Hause verbringen können, als auch Menschen, die im Alter auf die Hilfe von Pflegediensten oder Pflegeheimen angewiesen sind und sein werden. Vorauszusetzen, dass die Pflegepersonen von unseren Lebenskonzepten und der HIV-Infektion Kenntnis haben und sie verstehen, ist bis auf einen verschwindend geringen Teil gut informierter Menschen immer noch die Ausnahme. Dazu gehören beispielsweise Mitarbeiter in Wohngemeinschaften von „Lebensort Vielfalt“ (http://www.schwulenberatungberlin.de), „rosaAlter“ (http://www.rosa-alter.de/index.html) oder „villa anders (http://www.villa-anders-koeln.de/die-idee/).
Stigma, Diskriminierung und Ablehnung von HIV-Positiven und Menschen der LSBTIQ Community werden wir immer wieder auch bei Pfleger*Innen und Hilfskräften begegnen. Ich versuche, mit allen auf einer offenen, freundschaftlichen Ebene zusammen zu leben, ohne mich zu verbiegen – und das ist möglich.
Die Anzahl der Menschen mit HIV und Menschen der LSBTIQ Community hat zugenommen – mittlerweile leben in Deutschland rund 76.000 Menschen mit gesicherter HIV-Diagnose und etwa 6,2 Millionen LSBTIQ. Viele sind älter geworden und auf Hilfe im Alltag angewiesen. Leider hat sich während der letzten Jahre nur wenig bewegt was die inhaltliche Aus- und Fortbildung des Pflegepersonals zu diesem Thema betrifft.
Kein Mensch darf durch die Inanspruchnahme von pflegerischen Hilfen oder Maßnahmen der Altenhilfe in seinen individuellen Werten sowie dem Ausleben seiner sexuellen Identität eingeschränkt werden. Daraus resultiert, dass jede Senioren- und Pflegeeinrichtung den spezifischen Bedürfnissen gleichgeschlechtlich orientierter Senioren Rechnung tragen sollte – dies gilt gleichermaßen für HIV-positive Senioren* Innen.