10 Jahre Ekaf-statement
Es geht nicht nur um Sex!
Hatten Sie schon einmal EKAF-Sex? – Wer heute unter 30 ist und nicht der HIV-Fachwelt angehört, versteht vermutlich nicht einmal die Frage.
Es ist ja auch zu kurios: Einen Akt des Beischlafes nach einer staatlichen Kommission zu benennen, dürfte in der Weltgeschichte einmalig sein. Gelungen ist dieses Kunststück 2008 der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen, kurz EKAF. Ihr öffentliches Statement, nach dem HIV unter gut wirksamer Therapie beim Sex nicht mehr übertragbar ist, war ein pionierhafter Vorstoß: Die EKAF brachte damit einen weltweiten Prozess in Bewegung – der noch lange abgeschlossen ist.
Zwar sind „Schutz durch Therapie“ beziehungsweise „Therapy as Prevention“ heute in beeindruckender Weise bewiesen und in Fachkreisen weltweit als wichtige Präventionsmethode akzeptiert. Doch wenn man Menschen im Alltag erzählt, dass HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar ist, lautet die häufigste Antwort: „Das ist ja großartig! Wieso weiß das denn niemand?“
Was für eine Nachricht: HIV nicht mehr übertragbar
Der geringe Bekanntheitsgrad ist höchst bedauerlich. Denn es geht um weit mehr als um eine Möglichkeit, HIV-Infektionen zu verhindern. Die Nachricht ist ja tatsächlich großartig: HIV ist bei den meisten infizierten Menschen nicht mehr übertragbar! Nicht einmal beim Sex ohne Kondom. Dieses Wissen hat das Potenzial, Ängste vor Menschen mit HIV drastisch zu reduzieren – auch im Alltag.
Wenn selbst beim Sex nichts mehr passieren kann, wie soll man sich dann noch vorm alltäglichen Kontakt in der Kantine, der gemeinsamen Benutzung einer Toilette oder einer freundschaftlichen Umarmung fürchten?
Die EKAF hat damals beherzt veröffentlicht, worüber viele in gut informierten Kreisen bereits munkelten. Dies verknüpft mit der solidarischen Botschaft: Darauf darf man sich beim Sex dann auch verlassen. Das EKAF-Statement sollte Menschen mit HIV ausdrücklich „ein weitgehend, normales‘ Sexualleben ermöglichen.“ Und es sollte Ängste nehmen. Das Potenzial, das in dieser Information steckt, ist bis heute höchstens ansatzweise realisiert.
10 Jahre nach dem berühmten EKAF-Statement kennen nur 10 Prozent der Bevölkerung die gute Nachricht. In einer repräsentativen Umfrage der BZgA zum Welt-Aids-Tag 2017 stimmen gerade einmal 3% der Aussage voll und ganz zu, 7% trauen sich, sie „eher“ zu bejahen.
HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar: Wissen schützt vor Zurückweisung – beim Sex wie in der Arztpraxis (Symbolbild)
© DAH /Renata Chueire
Kein Küsschen in Ehren
Ein Gütesiegel für Versorgung ohne Diskriminierung
Eine gute Gesundheitsversorgung ohne Diskriminierung – das ist das Ziel des Projektes Praxis Vielfalt der Deutschen AIDS-Hilfe. Arztpraxen und Ambulanzen können ein Gütesiegel erhalten.
Ärzt_innen und Mitarbeiter_innen werden in einem kompakten Curriculum vertraut gemacht mit den speziellen Bedürfnissen von Menschen mit HIV, LSBTIQ-Personen sowie Menschen mit anderen sprachlichen und kulturellen Hintergründen.
Durch den Erwerb des Gütesiegels bietet sich den Praxen ein attraktiver Ansatz zur prozessorientierten Qualitätsentwicklung. Sie stärken ihre Diversity-Kompetenzen und tragen dazu bei, Barrieren im Gesundheitswesen abzubauen.
Patient_innen, die ein vorurteilfreies, offenes und kultursensibles Klima vorfinden, sind außerdem selbst offener, fassen schneller Vertrauen und empfehlen die Praxis weiter.
Das Projekt und die Website www.praxis-vielfalt.de starten im Sommer, Interessierte können sich bereits melden. Praxis Vielfalt wird gefördert durch die AOK – Die Gesundheitskasse.
Kontakt:
Heike Gronski und
Jana Maria Knoop
praxis-vielfalt@dah.aidshilfe.de
Tel.: 0 30 / 69 00 87 - 50/80
Zugleich fürchtet sich ein Drittel der Bevölkerung davor, mit HIV-positiven Menschen Geschirr zu teilen, rund ein Viertel scheut die Benutzung derselben Toilette. 15% hätten sogar Bedenken, einen HIV-positiven Menschen zu umarmen. Ganz zu schweigen von einer satten Hälfte der Menschen in Deutschland, die einen HIV-positiven Menschen lieber nicht küssen würde (wobei ausdrücklich nach einem Kuss aus Sympathie gefragt wurde, nicht nach einer intimen Annäherung).
Spricht man gar von Sexualität, betritt man den Bereich des Unvorstellbaren: Nur 14% aller Befragten würden mit einer HIV-positiven Person „sicher“ oder „vielleicht“ Sex mit Kondom haben; drei Viertel wollen das nicht (16% „wahrscheinlich“; 59% „sicher“).
Kurz: Unwissenheit und irrationale Ängste vor einer HIV-Übertragung sind noch immer erschreckend weit verbreitet. Das würde sich ändern, wäre die Bevölkerung besser über die Nicht-Übertragbarkeit unter Therapie aufgeklärt.
Schließlich sind heute 86% der wissentlich HIV-Positiven in Deutschland unter Therapie, 93% davon unter der Nachweisgrenze. Tendenz: steigend. Dass HIV nicht mehr übertragbar ist, ist also der Regelfall.
Zwei Paar Schuhe: Schutz vor HIV und vor Stigmatisierung
Während „Schutz durch Therapie“ als Präventionsmethode nur für Menschen in bestimmten Situationen eine Option ist, ist das Wissen von der Nicht-Übertragbarkeit ein Thema für alle, weil es eben auch vor Ängsten und Stigmatisierung schützt. Deswegen sollte das Wissen, dass die HIV-Therapie die Übertragung verhindert, zur Allgemeinbildung gehören.
Diese beiden Aspekte des Themas sind zwei Paar Schuhe. Im öffentlichen Diskurs werden sie aber oft vermischt. Das liegt auch daran, dass Sex nun einmal der Indikator ist, der Nicht-Übertragbarkeit zum Ausdruck bringt. So gab es in den Studien PARTNER und Opposites Attract zigtausende kondomlose Kontakte in gemischt HIV-positiv-negativen Paarbeziehungen, ohne dass es zu einer Übertragung kam. Und in der Präventionsarbeit erzählen wir Geschichten von Mendschen, die Schutz durch Therapie beim Sex nutzen.
Die Bedeutung dieser Geschichten reicht aber über Sexualität weit hinaus, weil mit der HIV-Therapie eben nicht nur HIV-Übertragungen, sondern auch Angst und Zurückweisung verhütet werden können. Sex hat den Beweis der Nicht-Übertragbarkeit erbracht und transportiert die Geschichte, aber die Moral von der Geschicht‘ spielt nicht im Bett, sondern an Arbeitsplätzen, in Arzt- und Zahnarztpraxen, in Sportvereinen.
Um diese zweigleisige Botschaft zu verdeutlichen, sollten wir von „Schutz durch Therapie“ sprechen, wenn wir Prävention meinen und von „Nicht-Übertragbarkeit“, wenn die weiter reichenden Aspekte angesprochen werden. Sonst landen wir in Diskussionen darüber, für welche Zielgruppe die „Schutzbotschaft“ geeignet und verdaulich ist. Doch was Angst nimmt und Ausgrenzung verhindert, sollte eben allen Menschen bekannt sein.
Gefühltes Wissen braucht Engagement
Wenn wir Ängsten und Diskriminierung entgegentreten wollen, muss unser Ziel für die nächsten zehn Jahre sein, das Wissen der Bevölkerung über die Nicht-Übertragbarkeit zu verzehnfachen und erfahrbar zu machen – mittels Geschichten aus dem echten Leben. Das geht nicht von heute auf morgen: Fakten müssen in die Köpfe und von dort in den Bauch rutschen, damit auch gefühltes Wissen daraus wird. Bei dieser Aufgabe sind alle Akteure im HIV-Bereich gefordert. Der Abbau von Diskriminierung ist nicht umsonst ein zentraler Baustein der BIS2030-Strategie der Bundesregierung: Er ist essenziell für die Lebensqualität von Menschen mit HIV und wirkt sich zudem auf das Testverhalten und den Erfolg der Prävention insgesamt aus.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns alle gemeinsam an die Pionierleistung der EKAF anknüpfen.