Mario Gomez und Johannes R. Bogner, München
Führen TAF-haltige Therapien zu einer Gewichtszunahme?

Nach ersten eigenen Beobachtungen und Berichten von Kollegen, stellte sich die Frage, ob der Wechsel von TDF auf TAF zu einer Gewichtsveränderung führt. Unsere Untersuchung zeigt, dass es innerhalb eines Jahres zu einer signifikanten Gewichtszunahme von 3,17% kommt.

Hintergrund

Die antiretrovirale Therapie der HIV-Infektion besteht aus historischen Gründen typischerweise aus einer Dreifach-Kombination. Neben einer Hauptsubstanz (Core Agent) wird eine Kombination aus zwei Nukleosiden bzw. einem Nukleosid und einem Nukleotid als sogenannte Backbone-Kombination verwendet. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass (zufällig) das erste Medikament gegen HIV ein Nukleosid war (Azidothymidin, AZT) und dass bald herausgefunden wurde, dass zwei Nukleoside besser und nachhaltiger wirken als ein Nukleosid. Der Nachteil von Nukleosiden, dass die intrazelluläre Verfügbarkeit an die Phosphorylierung zum Di- und Triphosphat gebunden ist, wurde durch die Entwicklung von Nukleotiden verbessert. Das erste und einzige Nukleotid, das auf den Markt gekommen ist (Tenofovir-Disoproxil, TDF) wurde mit etwa 90% einer der am häufigsten verwendeten Backbone-Bestandteile. Die Kombination aus Tenofovir und Emtricitabin wurde zusammen in einer Tablette vermarktet und wurde auch Bestandteil von Single Tablet Regimens (STR). Im Zuge der weiten Verbreitung der „moderneren“ Backbone-Kombinationen Tenofovir/Emtricitabin und Abacavir/Lamivudin wurden die Berichte von Lipoatrophie und Lipohypertrophie seltener und das Thema „Stoffwechselveränderungen durch ART“ benötigte keine wissenschaftliche Aufmerksamkeit mehr. Patienten, die eine neue ART begannen, konnte man guten Gewissens sagen, dass Veränderungen der Lipodystrophie, wie sie in den 90er-Jahren häufig waren, nicht mehr auftreten oder zumindest sehr unwahrscheinlich geworden sind.

Vorteile von TAF

Da es unter Tenofovir (TDF) bei einem geringen Prozentsatz der behandelten Patienten nach mehreren Jahren der Anwendung zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion und zu einer Osteoporose kommen kann, wurde eine Weiterentwicklung von Tenofovir getestet und auf den Markt gebracht. Es handelt sich dabei um Tenofovir-Alafenamid (TAF). Der Vorteil von TAF liegt in der höhere Konzentration der Substanz in den Lymphozyten. Gleichzeitig sind die Konzentrationen in Plasma renalen Tubulusepithelien geringer. Hierdurch konnte die Toxizität gegenüber TDF deutlich reduziert werden. TAF ist heute Bestandteil von mehreren Fixkombinationen im Sinn von Single Tablet Regimen (STR). Die Europäische Zulassung von TAF erfolgte im Jahr 2015. In vielen Schwerpunkt-Behandlungszentren wurde es üblich, wegen dieser Vorteile eine Umstellung von TDF auf TAF vorzunehmen.

Klinische Beobachtungen

Nach der Umstellung von Patienten auf TAF berichteten immer wieder Kollegen über einzelne Patienten mit einer zum Teil deutlichen Gewichtszunahme, ohne dass es zu einer Veränderung von Ernährung und Bewegung gekommen ist. In Erinnerung an das früher bekannte Problem der Lipodystrophie/Lipohypertrophie mit einer deutlichen Zunahme des intraabdominellen Fetts unter Proteaseinhibitoren stellte sich somit die Frage, ob es sich bei TAF um eine neue Form der lipodystrophischen Gewichtszunahme handeln könnte. Da in Zulassungsstudien zu TAF keine Daten zum Gewichtsverlauf publiziert wurden, war es erforderlich, den Gewichtsverlauf nach einer Umstellung von TDF auf TAF zu untersuchen. Daten hierzu waren aus bislang keiner Studie bekannt und auch nicht aus Beobachtungskohorten verfügbar.

Retrospektive Analyse

Demzufolge haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, anhand der Patientendaten unserer Abteilung eine retrospektive Analyse durchzuführen. Einschlusskriterien waren die durchgehende Behandlung mit TDF bzw. TAF über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren bzw. ein Wechsel von TDF auf TAF. Daten wurden exzerpiert für den Zeitraum 7/2015 bis 6/2017. Es mussten ausreichend häufig Gewichtsmessungen dokumentiert sein. Ausgeschlossen wurden die Daten von Patienten, bei welchen wichtige auszuwertende Kenngrößen nicht oder nicht für den betreffenden Zeitraum vorlagen: CD4-Zellzahl, Viruslast und Gewichtsverlauf. Unterteilt wurden die Patienten in zwei Gruppen: Die TDF-Gruppe wurde gebildet aus Patienten, die im Beobachtungszeitraum keinen Wechsel ihrer TDF-haltigen Backbone-Therapie aufwiesen. Zur TAF-Gruppe gehörten diejenigen Patienten, die im Beobachtungszeitraum von TDF auf TAF gewechselt wurden.

Das Projekt wurde von der Ethikkommission unserer Fakultät begutachtet und genehmigt. Nach Datenextraktion war eine Anonymisierung der Daten vorgeschrieben. 711 Patientenakten (elektronisch/Papier/Datenbankeinträge) wurden gesichtet, extrahiert, anonymisiert und ausgewertet. Durch eine umfangreiche Datenexzerption und -anonymisierung ist ein Datensatz entstanden, der hinsichtlich Gewicht, Body Mass Index (BMI) und weiterer Variablen ausgewertet werden konnte. Letztlich konnten 129 Patienten eingeschlossen werden, die auf TAF gewechselt worden waren und 112 Patienten, die auf einem TDF Regime verblieben waren. Im Median lagen pro Patient vier Gewichtsmessungen vor. Für fehlende Gewichtsdaten wurden zum Teil extrapolierte Werte ermittelt und für wiederholte Messungen wurde ein lineares Modell gewählt. Wo der Mauchly-Test für Spherizität nicht erfüllt war, wurde eine Greenhouse-Geisser Korrektur angewendet. Für die Frage des Einflusses der jeweils dritten Substanz eines Regimes (Core-Agent, Core-Substanz) wurde eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt mit der Frage, ob Unterschiede des Gewichtsverlaufs bei Integraseinhibitoren (INI), Proteaseinhibitoren (PI) oder Nichtnukleosiden (NNRTI) unterschiedlich ausfallen.

Charakteristika

Bezüglich der Baseline-Charakteristika beider Gruppen gab es zum Teil Unterschiede: so war z.B. in der TAF-Gruppe der Anteil der Männer mit 81,4% höher als in der TDF-Gruppe (64,3%). Die Patienten in der TAF-Gruppe waren um 1,76 cm größer als in der Vergleichsgruppe (1,72 cm) und die Dauer der vorausgehenden HIV-Therapie war mit 10,5 Jahren etwas kürzer als in der TDF-Gruppe (12,6 Jahre). Weitere Baseline-Charakteristika waren nicht unterschiedlich: Gesundheitsstatus, Häufigkeit von Begleitkrankheiten (Kardiovaskulär, Malignom, Nierenfunktion, Schilddrüsenkrankheit). Angaben zu physischen Aktivität der Patienten und Ernährung lagen in der Patientendokumentation nicht in auswertbarer Form vor.

Bezüglich der Core-Substanz war festzustellen, dass der Anteil von Integrasehemmern (INI) in der TAF-Gruppe höher war (48,1 vs. 24,1%) und auch bei NNRTI (50,0 vs. 40,3%) und PI (11,6 vs. 25,9%) wurden Unterschiede festgestellt. Der Wechsel auf TAF war bei einigen Patienten auch mit dem Wechsel der Core-Substanz verbunden, so dass nach dem Wechsel die Verteilung von INI, NNRTI und PI bei 62,8%, 31% und 6,2% lag.

Abb. 1   Prozentualer Gewichtsverlauf bei Patienten mit Wechsel von  TDF auf TAF nach 1 Jahr
Abb. 1 Prozentualer Gewichtsverlauf bei Patienten mit Wechsel von TDF auf TAF nach 1 Jahr

Ergebnisse

Das wichtigste Ergebnis ist, dass es zu einer signifikanten Zunahme von Körpergewicht und BMI nur bei den Patienten in der TAF-Gruppe gekommen ist. Die mittlere Gewichtszunahme belief sich 12 Monate nach dem Switch auf 3,17% des Ausgangsgewichts. Die Gewichtsveränderung bei Patienten, die auf TDF verblieben war im gleichen Zeitraum bei 0,55% (Abb. 1).

Abb. 2   Durchschnittliches Gewicht in kg vor und nach Wechsel von  TDF auf TAF
Abb. 2 Durchschnittliches Gewicht in kg vor und nach Wechsel von TDF auf TAF

Auch die Absoluten Gewichtsverläufe zeigen die genannte Veränderung: Die letzte Gewichtsmessung vor dem Wechsel von TDF auf FAT lag im Mittel bei 77,76 kg. Die letzte Messung nach Umstellung lag dagegen bei 80,08 kg. Damit kam es absolut gesehen im Durchschnitt zu einer signifikanten Gewichtszunahme von 2,3 kg. Im Gegensatz dazu kam es bei den Patienten, die auf TDF verblieben nicht zu einem signifikanten Gewichtsverlauf (Abb. 2).

Schließlich wurde noch analysiert, ob der Wechsel der Core-Substanz einen Einfluss auf den Gewichtsverlauf hat. Es zeigte sich in der TAF-Gruppe kein Unterschied zwischen den Patienten mit Wechsel der Core-Substanz im Vergleich mit denjenigen Patienten, die auf ihrer Core-Substanz geblieben waren. Es ist somit unwahrscheinlich, dass es sich hauptsächlich um einen Effekt der dritten Substanz, also des Integraseinhibitors handelt.

Diskussion und Wertung

Der Unterschied von etwa 3% des Körpergewichts und ca. 2,3 kg absolut gesehen mag auf den ersten Blick geringfügig oder nicht der Rede wert erscheinen. Allerdings handelt es sich hier um einen statistischen Mittelwert.

Eine weitere Betrachtung der Ergebnisse zeigte aber auch, dass 70% (n=90) aller TAF-Patienten zwischen den ersten beiden Messungen nach Umstellung eine Gewichtszunahme aufwiesen. Nur bei 21% war das Gewicht nach dem Wechsel niedriger als vor dem Wechsel. 9% hatten vor und nach dem Wechsel identisches Gewicht. Unter den Patienten mit Gewichtszunahme hatten 33% eine Zunahme von weniger als 3% ihres Körpergewichts, 48% zeigten eine Gewichtszunahme zwischen 3 und 10% und immerhin 19% der Patienten mit Gewichtszunahme hatten mehr als 10% ihres Ausgangsgewichtes zugenommen (17 von 129 Patienten).

Diese Zahlen zeigen, dass es für einzelne Patienten zu einer interventionsbedürftigen Zunahme kommen kann. Bei unserer Analyse handelt es sich zum ersten Mal um eine statistisch belastbare Studie, die auf diesen Effekt hinweist. An einzelnen Beispielen wurde gezeigt, dass eine Rück-Umstellung auf TDF (falls dies nicht aus Toxizitätsgründen kontraindiziert wäre) ohne weitere Maßnahmen wie Diät oder Aktivitätszunahme zu einem Wiedererlangen des Ausgangsgewichts geführt hat.

Wie jede monozentrische und retrospektive Analyse hat unsere Studie den Nachteil, dass streng genommen die Ergebnisse auf die Patienten unserer Abteilung zutreffen und nicht notwendigerweise generalisiert werden können. Auch führt unsere Studie zu keiner Klärung der eigentlichen Ursache der Gewichtsveränderung. Hierzu bedarf es sicherlich prospektiver Untersuchungen, die auch etwas genauer auf Stoffwechselveränderungen und pathophysiologische Aspekte der Fettverteilung und des Fettstoffwechsel gerichtet sind. Interessant wäre z.B. die Frage, ob TAF spezifisch in Adipozyten aufgenommen wird und ob es sich tatsächlich (wie von einigen Patienten berichtet) um eine der Lipohypertrophie ähnlichen selektiven Zunahme des Bauchumfangs handelt.

Weitere Studien werden zu diesem Thema sicherlich folgen. Vorläufig ist für die Praxis der Hinweis wertvoll, dass Patienten, die über eine unerwünschte Gewichtsveränderung klagen, auf die Möglichkeit des Zusammenhangs mit der ART hingewiesen werden sollten.

Gomez M, Seybold U, Roider J, Härter G, Bogner JR: A retrospective analysis of weight changes in HIV-positive patients switching from a tenofovir disoproxil fumarate (TDF)- to a tenofovir alafenamide fumarate (TAF)-containing treatment regimen in one German university hospital in 2015-2017Infection. 2018 Sep 29. doi: 10.1007/s15010-018-1227-0. [Epub ahead of print]

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