Interview mit Prof. Dr. Dr. Michael Kraus, Kreisklinik Altötting
Viel Zukunftsmusik und große Ziele
Die Hepatitis B-Heilung ist noch nicht der Wiege entwachsen und die Medikamente gegen die NASH (Nicht-Alkoholische Steatohepatitis) stecken noch in ziemlich kleinen Kinderschuhen. Die DAA-Therapie der Hepatitis C dagegen ist so erfolgreich, dass man die weltweite Elimination des Virus avisiert.
Der
amerikanische Leberkongress ist ein wichtiger Termin im
hepatologischen Jahr. Wie war Ihr Eindruck in diesem Jahr?
Prof. Kraus: Auf jedem Kongress wartet man auf richtige „Knaller“, also auf wegweisende neue Studien. Diese suchte ich in diesem Jahr vergeblich. Man hat fast den Eindruck, dass der europäische Leberkongress als Plattform zur Präsentation wichtiger Daten die AASLD-Tagung an Bedeutung überholt. Zentrales Thema war die NASH.
Derzeit werden ja viele Medikamente gegen die Nicht-Alkoholische Steatohepatitis entwickelt. Ist diese Erkrankung denn klinisch relevant?
Prof. Kraus: Das was man früher salopp als „Wohlstands-Fettleber“ abgetan hat, ist eine durchaus ernst zu nehmende Erkrankung, die zu Fibrose und Zirrhose mit allen Konsequenzen führen kann. In meiner Ambulanz sehe ich mittlerweile immer mehr Patienten mit der Fettleber-Hepatitis. Insofern ist es durchaus zu begrüßen, wenn auf diesem Gebiet geforscht wird.
Welche neuen Erkenntnisse gab es zur NASH?
Prof. Kraus: Die neuen Substanzen befinden sich fast alle in frühen Phasen der Entwicklung. Die Ergebnisse der Studien klingen vielversprechend, viele zeigen einen Rückgang der Steatose. Ungeklärt ist aber noch die wichtigste Frage: Kann man die Fibrose verhindern oder zurückdrängen? Dazu sind die Phase-2-Studien mit 24 Wochen einfach zu kurz. Gleichzeitig zeichnet sich bereits jetzt ab, dass wir Kombinationstherapien brauchen, nicht zuletzt mit Lifestyle-Veränderung. Am weitesten in der Entwicklung ist derzeit die Obeticholsäure, die bereits zur Behandlung der primär biliären Cholangitis zugelassen ist. Die Medikamentenentwicklung hat auch noch einen positiven Nebeneffekt: Es wird auch Diagnostik, Klinik und Verlauf der NASH erforscht.
Sind wir bei der Hepatitis B schon weiter?
Abb. 1 Chronische Hepatitis B. Randomisierte, prospektive Studie zum Therapiestopp. Verlauf über 72 Wochen
Prof. Kraus:Die Hepatitis B können wir mit Polymerasehemmern immerhin effektiv behandeln und dadurch auch Folgeschäden verhindern. Hier kreiste die Diskussion auf dem Kongress vor allem um die Frage: Macht es Sinn, die Therapie zu unterbrechen? Eine kontrollierte Studie zeigt, bei 70% muss die Behandlung wieder eingeleitet werden und nur 2% verlieren innerhalb von zwei Jahren HBsAg, was sich nicht vom Spontanverlauf unterscheidet und den Studienergebnissen einer deutschen Studie unter Federführung von Prof. Berg widerspricht (Abb. 1). Ein guter Prädiktor für einen positiven Effekt scheint ein niedriges quantitatives HBsAg zu sein.
Und wie steht es mit der Heilung der Hepatitis B?
Prof. Kraus: Da gibt es viele Ideen und Ansatzpunkte, aber nur wenige haben das Reagenzglas bzw. Tiermodell schon verlassen. Am weitesten in der Entwicklung ist Myrcludex, das in Kombination mit Interferon bei der HBV/HDV-Koinfektion geprüft wird. Aber die finalen Ergebnisse der Hannoveraner Studie stehen noch aus.
Die Hepatitis C ist ja heute eher ein Randthema auf den großen Leberkongressen…
Prof. Kraus: …dennoch gibt es immer noch neue Daten, wenn auch nicht von großen klinischen Studien, sondern aus Kohorten wie dem deutschen Hepatitis C-Register. Im Register sind mittlerweile über 14.000 Patienten dokumentiert und die Auswertungen belegen, dass die DAA-Therapien halten, was sie in den klinischen Studien versprachen.
Gab aus Ihrer Sicht für die Praxis relevante Studien?
Abb. 2 SVR nach 8 Wochen Glecaprevir/Pibrentasvir bei therapienaiven Patienten GT 1-6 mit kompensierter Zirrhose. Fibroscan 23,7 KPA, 90% CPA 5/6, Thrombozyten 152.000/µl
Prof. Kraus: Ja, beispielsweise die Studie EXPEDITION-8, in der therapienaive Zirrhotiker mit allen Genotypen außer GT3 erfolgreich mit nur 8 Wochen Glecaprevir/Piprentasvir behandelt wurden (Abb. 2). Das hilft bei der Entscheidung zur Therapiedauer, wenn man eine Zirrhose vielleicht nicht mit Sicherheit ausschließen kann. Und durch die STAEGER-Studie wurde die Empfehlung der EASL unterstützt, bei therapienaiven Patienten mit GT1b und F0-1 Elbasvir/Grazoprevir auf 8 Wochen zu verkürzen.
Wie sieht es aus bei der Retherapie von DAA-Versagern?
Prof. Kraus: Bei der Retherapie hat sich Sofosbuvir/Velpatasvir/Voxilaprevir im deutschen Register bewährt, bei den amerikanischen Veteranen blieb die Triplekombination allerdings nach Versagen von Sofosbuvir/Velpatasvir mit einer SVR-Rate von 82-86% hinter den Erwartungen zurück – aber Vorsicht: Es waren hier sehr kleine Patientenzahlen. Auch Glecaprevir/Pibrentasvir scheint nach Versagen von Sofosbuvir/NS5A-Inhibitor eine Option zu sein. 16 Wochen Glecaprevir/Pibrentasvir haben in dieser Situation 94% bzw. 97% der GT1-Patienten mit bzw. ohne kompensierte Zirrhose geheilt. Versagt haben lediglich 4/65 Patienten mit GT1a.
Und wie nahe ist man dem Ziel, die Hepatitis C bis 2030 zu eliminieren?
Prof. Kraus: Es ist politisch wichtig solche Ziele zu formulieren, auch wenn sie schwer zu erreichen sind. Zwei Beispiele: In Georgien werden die Medikamente von Gilead Sciences zur Verfügung gestellt, aber es gibt Probleme bei der Diagnostik und die Patienten in der Therapie zu halten. Selbst in Island, wo die Elimination greifbar nahe war, gibt es importierte Neuinfektionen, z.B. durch MSM mit internationalen Kontakten. In den Europa und den USA sind es insbesondere die IV-Drogengebraucher, bei denen man neue Konzepte braucht.
Viel diskutiert auf dem Kongress wurde die ANCHOR-Studie…
Abb. 3 ANCHOR-Studie. Hohe SVR-Raten bei aktiven Drogengebrauchern. SVR korreliert signifikant mit HCV-RNA zu Woche 4 und kompletter Tabletteneinnahme. Unterbrechungen (d.h. ein Therapieende 14 Tage zu spät) hatten keinen Einfluss auf die SVR
Prof. Kraus: In dieser Studie wurden nicht substituierten Drogengebrauchern mit Hepatitis C alle 4 Wochen eine Dose mit DAA mitgegeben. 15% nahmen die Medikation nicht zu Ende. Ein Viertel der Patienten beendete die Therapie regelhaft nach 12 Wochen und rund die Hälfte unterbrach die Therapie mehr oder weniger lange. Trotz dieser Pausen erreichten 78% die SVR (Abb. 3). Das ist sicher ein erstaunlich gutes Ergebnis, 90% dieser Patienten war arbeitslos, 50% obdachlos und 40% alkoholkrank. Leider blieben noch viele Fragen offen. Wie wurden die Drogengebraucher aufgeklärt und motiviert? Wurden andere medizinische oder soziale Hilfen angeboten? Und nicht zuletzt bleibt die Frage nach der Reinfektionsrate. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, für diese Patientengruppe sinnvolle neue Wege zu suchen.