Björn Jensen, Düsseldorf
Stammzelltransplantation – Der Düsseldorfer Patient
Eine Deletion des Gens für CCR5 (CCR5Δ32) führt zur Expression eines verkürzten Proteins, das nicht auf der Zelloberfläche erscheint. Folglich kann eine Interaktion mit CCR5-tropen HI-Viren nicht stattfinden. Homozygote Träger des CCR5Δ32-Gens, die etwa 1% der mitteleuropäischen Bevölkerung ausmachen sind daher nahezu vollständig resistent gegen eine Infektion mit HIV-1.
Bei der allogenen Stammzelltransplantation wird das körpereigene Knochenmark durch Bestrahlung und Chemotherapie quasi eliminiert und durch Transplantation hämatopoetischer Stammzellen (HSCT) eines Spenders mit der homozygoten Genvariante CCR5Δ32 ersetzt. Aufgrund der invasiven und nebenwirkungsreichen Behandlung des eigenen Knochenmarks kommen für das Verfahren nur HIV-Patienten in Frage, bei denen ohnehin eine solche Transplantation angezeigt wäre, also z.B. bei einer Leukämie.
Durch dieses Verfahren wurden bislang drei Patienten geheilt, der „Berlin Patient“ (Timothy Brown), der „London Patient“ und der „Düsseldorf Patient“. Bei „Essen Patient“ gelang dies nicht.
Der „Düsseldorfer Patient“
Bei dem erstmalig auf der CROI 20163 und später ebenfalls auf der CROI 20194 und CROI 2020 vorgestellten „Düsseldorf Patient“ handelt es sich um einen HIV-infizierten männlichen Patienten, bei dem im Alter von 41 Jahren eine HIV-Infektion diagnostiziert wurde. Er wurde mit Tenofovirdisoproxilfumarat/Emtricitabin (TDF/FTC) und Ritonavir-geboostertem Darunavir (DRV/r) behandelt ( Abb. 1). Bei Diagnosestellung lagen die CD4-Zellen bei 503/µl, die HI-Viruslast bei 35.303 Kopien/ml. Bereits 4 Monate später wurde nach Einweisung auf die Infektionsstation des Universitätsklinikums Düsseldorf bei Fieberschüben und Panzytopenie die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie (AML; inv16, CBF-MYH11) gestellt. Um Wechselwirkungen mit der geplanten Chemotherapie zu vermeiden, wurde Darunavir/r im März 2011 auf Raltegravir umgestellt.
Nach Einleitung der Induktionschemotherapie durch unsere Hämatologen erreichte der Patient eine erste komplette Remission (CR) und erhielt eine zweite Induktionschemotherapie sowie 3 Zyklen zur Konsolidierung. Im September 2012 kam es zu einem Rückfall der AML und es konnte nach erneuter Hochdosis-Chemotherapie eine komplette Remission der AML erreicht werden. In der zweiten kompletten Remission erfolgte dann nach Konditionierung mit Fludarabin und Treosulfan im Februar 2013 die Transplantation von 8,74x106/kg unmodifizierter peripherer Blutstammzellen einer weiblichen, 10/10 HLA-gematchten, CCR5-Δ32 homozygoten DKMS-Spenderin. Zu diesem Zeitpunkt wurde die provirale HIV-DNA mit 29.400 Kopien/mL quantifiziert und im Western Blot konnten alle erwarteten Banden nachgewiesen werden. Vor der Transplantation wurde eine HIV-Resistenzanalyse für Protease, Reverse Transkriptase und Integrase durchgeführt und der virale Tropismus bestimmt.
R5-tropes Virus
Es wurden keine signifikanten Resistenzmutationen detektiert und die Verwendung des Korezeptors wurde als R5-trop prognostiziert (Sanger-Sequenzierung: FPR 44,5%; NGS: 0,14% X4 bei 3,5% FPR; Geno2pheno). Diese genotypische Vorhersage des Tropismus wurde im Verlauf für die verschiedenen detektierten Virusvarianten durch phänotypische Tests (TropChase) bestätigt. Während und nach der Hochdosischemotherapie und Stammzell-Transplantation blieb der Patient auf seiner antiretroviralen Therapie (seit Juni 2014 ABC/3TC/DTG).
Er hatte einen zweiten Rückfall der AML im Juni 2013, nach insgesamt 8 Kursen von 5-Azacytidin und 4 Spender-Lymphozyteninfusionen konnte jedoch wieder eine molekulare Remission erreicht werden, die seitdem anhält. Die Immunsuppression (Tacrolimus) konnte inzwischen im Oktober 2017 beendet werden.
Der »Berlin-Patient« | Der »London-Patient« | Der »Düsseldorf-Patient« |
R5-trope HIV-Infektion | R5-trope HIV-Infektion | R5-trope HIV-Infektion |
akute myeloische Leukämie | Hodgkin-Lymphom | akute myeloische Leukämie |
2 HSCTs (Humane Stamm- zelltransplantationen) | 1 HSCT | 1 HSCT (plus Donor- Lymphozyten-Infusionen) |
Ganzkörper-Bestrahlung | keine Bestrahlung | keine Bestrahlung |
Konditionierung mit voller Intensität | Konditionierung mit reduzierter Intensität | Konditionierung mit reduzierter Intensität |
milde GvHD | milde GvHD | schwere (Leber-)GvHD |
100% T-Zell- Spenderchimärismus | 100% T-Zell- Spenderchimärismus | 100% T-Zell- Spenderchimärismus |
Tab Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Quelle: Retrovirusbulletin 2/2019
Einzelne Signale
Der Patient wurde in die IciStem-Kohorte als Patient #19 registriert. Ab 2014 erfolgten in mehreren Laboren intensive Untersuchungen hinsichtlich eines residualen HIV-Reservoirs in PBMC, Lymphozyten-Subpopulationen sowie in Rektum, Ileum, Liquor und Knochenmark. Eingesetzt wurden verschiedene ultrasensitive Nachweisverfahren (ddPCR, qPCR), die zusammengefasst kein residuales HIV-Reservoir mehr erfassen konnten. Wie bereits beim „Berlin Patient“ kam es auch bei unserem Patienten allerdings in einzelnen Untersuchungsverfahren und Proben zu positiven Signalen, die in weiteren Verfahren mit z.B. anderen Primern oder aus anderen Aliquots der Proben nicht bestätigt werden konnten. Mit Hilfe von In-Situ-Hybridisierung (DNA scope, RNAscope) konnten in einem inguinalen Lymphknoten ebenfalls einzelne positive Signale detektiert werden, deren Bedeutung derzeit ebenso wie das virale Reservoir in anderen Kompartimenten weiter untersucht wird.
Verlust der Banden
Infektiöses Virus konnte dabei zu keinem Zeitpunkt, weder in drei viral outgrowth assays (qVOA) in zwei verschiedenen Laboren, noch in zwei verschiedenen mouse viral outgrowth assays (mVOA) nachgewiesen werden. Im Western Blot zeigte sich seit der Knochenmarktransplantation ein langsamer Verlust der Banden, wobei die Gp160-Bande am längsten nachgewiesen werden konnte. Peptidstimulations-Assays zeigten außerdem das Vorhandensein von CCR5-negativen HIV-spezifischen Zytotoxischen T-Lymphozyten (CTL), die ein HLA-A2-restringiertes RT-Epitop YV9 und ein HLA-B7-restringiertes Gag-p6-Epitop YL9 erkennen.
Da trotz einzelner positiver Signale in ultrasensitiven Testverfahren in qVOA/mVOA bei dem „Düsseldorf Patient“ kein infektiöses Virus nachgewiesen werden konnte und letztlich die funktionelle Bedeutung dieser vereinzelten positiven Signale auch in Kenntnis der Ergebnisse des „Berlin Patient“ und „London Patient“ unklar ist, bleibt eine analytische Therapieunterbrechung (ATI) der einzige Weg, um herauszufinden, ob eine Langzeit-Remission/Heilung von HIV durch die allogene CCR5-d32 Stammzelltransplantation erreicht wurde.
Nach ausführlicher Besprechung erfolgte gemeinsam mit dem Patienten die Entscheidung, die antiretrovirale Therapie im November 2018 zu unterbrechen. Seitdem erfolgten in den ersten 12 Monaten 2-malig, dann 1-malig pro Woche engmaschige Kontrollen der HI-Viruslast. Im Rahmen der ebenfalls engmaschigen klinischen Kontrollen zeigt sich der Patient in einem anhaltend sehr guten Gesundheitszustand.
Heilung
Unter Berücksichtigung des homozygoten CCR5-d32-Status halten wir nach jetzt 16 Monaten einen viralen Rebound für sehr unwahrscheinlich, so dass von einer „Langzeitremission von HIV“ oder „Heilung“ ausgegangen werden kann. Bemerkenswert sind auch Ergebnisse aus Darmbiopsien (Juli 2019) des Düsseldorf Patienten, die mehr als 5 Jahre nach der Knochenmarktransplantation eine weitgehende Erholung des GALT (gut-associated lymphatic tissue) nahelegen – ein Effekt, der auch unter optimaler antiretroviraler Therapie von HIV nicht beobachtet werden kann.
Prädiktoren für Erfolg
Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg im Hinblick auf Heilung ist der Tropismus von HIV. Bei dem »Essen-Patienten« kam es nach der Knochenmarktransplantation zum Rebound mit einem X4-tropen Virus. Vor der Transplantation waren CR5-trope Viren dokumentiert, nach der Transplantation HIV-Varianten mit einer ausschließlichen Nutzung des CXCR4-Korezeptors und einer besonders guten replikativen Fitness. Für die Veränderung der Korezeptornutzung von HIV in Kombination mit den hohen HIV-Viruslasten wurde u.a. die sehr frühe Pausierung der ART im Rahmen der allogenen Stammzelltransplantation verantwortlich gemacht.
Beim „Düsseldorf Patient“ ebenso wie beim „London Patient“ ist in Frage zu stellen, ob wirklich die hohe Intensität der Chemotherapien, Bestrahlungen und die zweimalige Transplantation für die „Heilung“ des „Berlin Patient“ von entscheidender Bedeutung war. Vieles spricht inzwischen dafür, dass mit der Auswahl homozygot CCR5-defizienter Stammzellspender die Transplantation eines weitgehend für HIV unempfindlichen Immunsystems den entscheidenden Faktor darstellt. Eine „modifying the host“-Strategie würde für eventuelle zukünftige Heilungsansätze sicher ein positiveres Szenario als die Notwendigkeit sehr intensiver „killing“-Strategien darstellen.
1 Hütter G et al., Long-Term Control of HIV by CCR5 Delta32/Delta32 Stem-Cell Transplantation. N Engl J Med 2009; 360:692-698
2 Gupta R et al., HIV-1 remission following CCR5Δ32/ 32 haematopoietic stem-cell transplantation. Nature 2019; 568:244-248
3 Kobbe G et al., Treatment of HIV and AML by Allogeneic CCR5-d32 Blood Stem-Cell Transplantation. Abstract 364, CROI 2016, Boston
4 Jensen B et al., ANALYTIC TREATMENT INTERRUP-TION (ATI) AFTER ALLOGENEIC CCR5-D32 HSCT FOR AML IN 2013. Abstr. 394 LB, CROI 2019, Seattle