Interview mit Prof. Norbert Brockmeyer, Bochum
Wichtiges Ziel: Resistenzentwicklung vermeiden
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
Präsident DSTIG
n.brockmeyer@derma.de
Der STI-Leitfaden der DSTIG wurde aktualisiert. Was sind die wichtigsten Neuerungen?
Brockmeyer: Es gibt natürlich viele Neuerungen beispielsweise bei HIV und Hepatitis, aber auch bei den anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) gibt es Neues. Die Labordiagnostik hat sich weiter entwickelt, wir wissen mehr zu Mycoplasmen und Ureaplasmen und selbst bei der Gonorrhoe gab es Änderungen. Neu sind auch die Empfehlungen zur HPV-Impfung.
Bei der Gonorrhoe wurde die Dosierung von Ceftriaxon von 1 g auf 1-2 g geändert …
Leitfaden und Leitlinie – Was ist der Unterschied?
Die Idee ist gleich. Leitfaden und Leitlinien leiten an, was man in bestimmten Situationen tun soll. Der Hauptunterschied liegt in der Art der Erstellung. Leitlinien werden nach genau festgelegten Regeln erstellt. Das beinhaltet Literaturrecherche, Tagungen, Abstimmungen usw., was den hohen Evidenzgrad sichern soll. Dieser Prozess ist aufwändig, langwierig und kostenintensiv. Deshalb sind Leitlinien oft schon veraltet, wenn sie erscheinen. Viele Fachgesellschaften sind aus diesem Grund dazu übergegangen, „Leitfäden“ oder „Empfehlungen“ zu formulieren, die von wenigen Experten deutlich rascher erarbeitet werden können und sich zudem mehr an der klinischen Praxis orientieren.
Brockmeyer:Die Dosierung Ceftriaxon 1-2 g stammt aus der überarbeiteten AWMF-DSTIG-Leitlinie, mit einer Tendenz zu 2 g Ceftriaxon.
…und bei adhärenten Patient*innen kann man jetzt auf die zusätzliche Gabe von Azithromycin verzichten. Was ist der Hintergrund?
Brockmeyer:Azithromycin kann wie jedes Medikament Nebenwirkungen haben und induziert Resistenzen; es sollte daher nicht unnötig eingesetzt werden. Ziel ist, die weitere Entwicklung von Resistenzen bei der Gonorrhoe zu verhindern. Wenn der oder die Patient*in nach der Behandlung zum Test of Cure kommt, haben wir die Möglichkeit, durch einen Resistenztest die Gonokokken gezielt zu behandeln. Deshalb diese neue Empfehlung, wobei mit „Adhärenz“ hier die Zuverlässigkeit im Hinblick auf die Kontrolluntersuchung gemeint ist. Wesentlich ist, dass je nach Lokalisation 60-80% der Patienten keine Symptome haben.
Als Alternative zu Ceftriaxon wird Cefixim genannt. Das ist ja nicht mehr zu bekommen ...?
Brockmeyer:Richtig, es gibt hier Lieferengpässe, aber Cefixim ist eine der wenigen oralen Therapiemöglichkeiten der Gonorrhoe. Allerdings muss man klar zwischen den einzelnen Lokalisationen unterscheiden: Bei pharyngealen und analen Infektionen ist Cefixim nicht ausreichend wirksam. Hier brauchen wir Ceftriaxon.
Häufig gestellte Fragen
Wie behandle ich eine Dreifachinfektion mit Syphilis + Gonorrhoe + Chlamydien/Ureaplasmen/ Mycoplasmen?
Azithromycin 1,5 g + Ceftriaxon 1 g und auch direkt Benzathinpenicillin 2.4 Mill I.E.
Wenn Benzathin-Penicillin nicht verfügbar: Ceftriaxon 2 g täglich für 10 oder 14 Tage; am ersten Tag zusätzlich 1,5 g Azithromycin (Erfolgskontrolle Syphilis, Go/Ct nicht vergessen)
Wann empfiehlt sich die Abklärung weiterer STI?
Immer wenn eine STI festgestellt wird, sollten andere STI (z.B. HIV, Syphilis serologisch und Gonorrhoe, Chlamydien und M. genitalium per NAAT (falls etabliert, Multiplex-PCR mit genotypischer Resistenzbestimmung), sowie klinisch HPV) abgeklärt werden.
Wann ist eine Partner*innenbehandlung indiziert?
Die Partner*innenbehandlung ist wichtig und sollte individuell empfohlen werden. Bei Gonokokken-, Trichomonaden- und Chlamydieninfektionen ist sie obligat. Für die Entscheidung, ob und wann eine Partner*innentherapie empfohlen wird, sollten folgende Überlegungen berücksichtigt werden:
- Symptome oder Klinik bei zu therapierenden Kontaktpersonen (fremd berichtet oder vor Erregernachweis durch Behandler*in festgestellt)
- Therapie: mögliche Nebenwirkungen und individuelle Risiken (orale/parenterale Applikation, Allergie/Anaphylaxie, sonstige Nebenwirkungen, ggf. Komorbidität der Kontaktpersonen) und Resistenzpotential (zu rezeptierende Packungsgröße mit Restbeständen, die ggf. als Selbstmedikation missbraucht werden könnten, spezifisches Wirkspektrum der Substanz)
- Verhalten: zu erwartende/vermutete Adhärenz der Kontaktpersonen, Sexualverhalten und Paardynamik zwischen Indexperson und Kontaktpersonen, Sexualverhalten der Kontaktpersonen (Anamnese)
- Eigenschaften des Erregers: Kontagiosität, Inkubationszeit und Latenz bis zum sicheren Erregernachweis, Sensitivität der Nachweismethode
Bei einem positiven Pharynx-Abstrich auf Gonokokken empfehlen Sie einen zweiten Test und zwar eine NAAT mit anderem Target oder mittels Kultur. Haben Sie das Gefühl, dass hier zu schnell und möglicherweise unnötig behandelt wird?
Brockmeyer:Man sollte sicher sein, dass eine pharyngeale Gonorrhoe vorliegt. Es gibt immer noch Testsysteme, die nicht sicher zwischen Neisseria gonorrhoe und anderen Neisserien unterscheiden. Am besten man fragt bei seinem Labor nach und prüft dann gegebenenfalls mit einem anderen Test, zum Beispiel NAAT mit einem anderen Target oder aber mittels Kultur, noch mal nach.
Kontrolluntersuchungen und Kulturen werden im klinischen Alltag üblicherweise nicht gemacht. Wann empfehlen Sie dringend die Erregertestung und Kontrolle?
Brockmeyer:Ich bin ein großer Anhänger des Test of Cure, denn mit Kontrolluntersuchungen kann man Resistenzen verhindern. Die Heilungsraten beim Tripper und Co liegen auch bei uns im Zentrum bei über 90%. Das heißt aber: 10% der Patient*innen sind nicht geheilt, haben eine Persistenz der Erreger oder eine Neuinfektion. Deshalb brauchen wir die Kontrolluntersuchung mit Kultur zur Resistenzbestimmung.
Auf jeder Seite im Leitfaden wird die Abklärung weiterer STI empfohlen. Sollte man nicht einfach gleich die Multiplex-PCR einsetzen?
Brockmeyer:Darüber gehen die Meinungen auseinander. Meiner Meinung nach, sollte man vor einer Behandlung wissen, welche Erreger vorhanden sind und zwar um Resistenzen zu vermeiden. Werden beispielsweise Neisserien und Mycoplasma genitalium nachgewiesen und man behandelt, wie es in manchen Leitlinien noch empfohlen wird, mit 500 mg Azithromycin, kann man sicher sein, dass die Mycoplasmen nach der Therapie resistent gegen Azithromycin sind. Nochmals: Es geht hier wie bei der Kontrolluntersuchung um das Vermeiden einer Resistenzentwicklung, was angesichts der hohen Prävalenz von STI in der PrEP-Population nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Wann sollte man Mycoplasmen und Ureaplasmen behandeln?
Brockmeyer:Patient*innen mit Mycoplasma- oder Ureaplasma-assoziierten Beschwerden sollte man immer behandeln. Sind die Mycoplasmen/Ureaplasmen aber quasi „Beifang” der Multiplex-PCR bei einer Gonorrhoe, behandelt man diese Keime mit 1,5 g Azithromycin zusätzlich zu Ceftriaxon. Selbiges gilt auch, wenn bei Vorliegen einer Gonorrhoe Mycoplasmen nicht eindeutig ausgeschlossen sind oder die Adhärenz nicht gegeben oder unbekannt ist. Hat der oder die Patient*in keine Beschwerden, braucht man Ureaplasmen und Mycoplasma hominis nicht zu behandeln. Bei Mycoplasma genitalium gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich gehöre zur Behandler-Fraktion, denn dieser Keim hat eine eigene pathogenetische Bedeutung, ähnlich wie C. trachomatis, Serovare D-K. Mycoplasmen und Ureaplasmen sind junge Keime, die Datenlage ist noch dünn. Möglicherweise wird uns die quantitative Erregerbestimmung, wie sie in einigen Ländern erprobt wird, später bei der Therapieentscheidung weiterhelfen.
Vielen Dank für das Gespräch