Auswirkungen der COVID-19-Krise auf Präventionsangebote zu durch Blut und sexuell übertragenen Infektionen bei Drogengebrauchenden
Die derzeitige COVID-19-Krise bringt Drogengebrauchende in eine noch prekärere Situation, da aufgrund des allgemeinen Lockdowns Substanzen schlechter verfügbar sind, Entzüge und Gewalt drohen, die niedrigschwelligen Einrichtungen und Hilfsangebote der Drogenhilfe ihre sozialen, medizinischen, Präventions- und Schadensminimierungs-Angebote einschränken mussten und teilweise auch noch müssen. Menschen, die Drogen gebrauchen, sind darüber hinaus häufig vulnerable Populationen, die aufgrund von Vorerkrankungen ein hohes Risiko haben schwer zu erkranken, wenn sie sich mit SARS-CoV-2 infizieren.1 Zur allgemeinen Situation und den Auswirkungen für die Arbeit der Drogenhilfen und deren Klient*innen führt das Centre for Drug Research der Universität Frankfurt eine Befragung durch.2
Vor dem Hintergrund, dass Menschen, die Drogen injizieren, ein erhöhtes Risiko für HIV-Infektionen und Hepatitis-Virusinfektionen haben, ist die Aufrechterhaltung etablierter Präventions-, Beratungs- und Testangebote in niedrigschwelligen Einrichtungen in der aktuellen Situation von großer Wichtigkeit. Was sind die aktuellen Probleme bei Drogengebrauchenden im Bereich HIV, Hepatitis B, C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) und wie gehen die Einrichtungen damit um? Um auf der einen Seite die nötigen Maßnahmen der Distanzierung und des Infektionsschutzes einzuhalten, und auf der anderen Seite dem Bedarf von Drogengebrauchenden zu entsprechen, sind Ideen und innovative Lösungen nötig.
Methoden
Anzahl Klient*innen
• Anstieg • Rückgang • Änderung Klientel
Änderungen (Verhalten, Infektionsrisiken)
• Keine Veränderung
• Konsum öffentlicher Raum
• Safer Use gefährdet
• Keine Einschätzung möglich
Präventionsangebote
• Beratung
• Konsumutensilien
• Medizinische Versorgung
• Safer Sex
• Substitutionsvermittlung
• Testangebot
Probleme der Klient*innen
• Ausgangsbeschränkungen
• Medizinische Behandlung
• Beschaffung
• Finanziell
• Hygiene
• Kriminalität
• Schließung Einrichtungen
• Sozialkontakte
• Zukunftsplanung
• Lösungen
Probleme der Einrichtung
• Einschränkung Aufenthalt
• Finanziell
• Hausordnung
• Kontakt- & Beziehungsarbeit
• Hygienekonzept
• Platzmangel
• Reduzierung Mitarbeitende
• Safer Use Utensilien
• Schutzausrüstung
• Sensibilisierung Maßnahmen
• Wahrnehmung SARS-CoV-2
Umgang der Einrichtung mit der Situation
• Schließung
• Aufenthaltsdauer
• Besucherzahl
• Einschränkung Angebot
• Konsumräume
• Kontaktladen
• Lebensmittelausgabe
• Öffnungszeiten
• Streetwork
• Wiederaufnahme Betrieb
• Akzeptanz Veränderungen
• Alternative Lösungen
Abb 1 Kategorien und dazugehörige Unter-kategorien für die qualitative Inhaltsanalyse der Kurzbefragung
Im Rahmen einer Kurzbefragung zur aktuellen Situation in niedrigschwelligen Drogenhilfeeinrichtungen in der COVID-19-Krise wurden 41 Einrichtungen am 15.05.2020 angeschrieben. Die Einrichtungen wurden gebeten per E-Mail die folgenden sechs halb offenen Fragen zu beantworten:
- Hat die COVID-19-Krise zu einer deutlichen Änderung der Klient*innenzahl pro Woche in Eurer/Ihrer Einrichtung geführt?
- Welche Änderungen im Verhalten in Hinblick auf Infektionsrisiken für durch Blut und sexuell übertragbare Infektionen (sexuelle Risiken, konsumassoziierte Risiken) zeigen sich bei den Klient*innen, die die Einrichtung besuchen sowie in der lokalen Szene?
- Was hat die COVID-19-Krise für Auswirkungen auf die Präventionsangebote Eurer/Ihrer Einrichtung? (Konsumutensilienausgabe/HIV- und Hepatitis-Testangebote/Beratung zu sexuellen und konsumassoziierten Risiken/Substitutionen)
- Was sind die größten durch Klient*innen berichteten Probleme in der COVID-19-Krise? (allgemein und speziell im Hinblick auf Infektionen)
- Was sind die größten Probleme und Herausforderungen, die Eure/Ihre Einrichtung aufgrund der COVID-19-Krise hat? Gab oder gibt es Probleme mit Materiallieferung (z.B. von Konsumutensilien)? Welche Art von Schutzausrüstung steht Mitarbeitenden zur Verfügung?
- Wie geht Eure/Ihre Einrichtung mit den durch die COVID-19-Krise bedingten Problemen und Herausforderungen um? Gibt es Beispiele von Maßnahmen, die vielleicht auch für andere Einrichtungen hilfreich sein könnten?
Für die Auswertung wurden die Antworten zunächst pro Frage gesammelt und nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.3 Dafür wurden die Inhalte mittels einer Software zur computergestützten qualitativen Daten- und Textanalyse aufbauend auf den aus den Fragen abgeleiteten Kategorien und dazugehörigen Unterkategorien codiert (Abb. 1). Da die Inhalte vieler Antworten, gerade auf die ersten Fragen, sehr ausführlich ausfielen und die Antworten auf die weiteren Fragen auf vorherige Schilderungen verwiesen, wurden die Antworten pro Einrichtung als eine Gesamtschilderung der Situation betrachtet. Die identifizierten Aspekte wurden den entsprechenden Kategorien zugeordnet und im weiteren Verlauf hinsichtlich der inhaltlichen Aspekte zusammengefasst.
Abb 2 Standorte der niedrigschwelligen Drogenhilfeeinrich-tungen, welche an der Befragung zu den Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Präventionsangebote teilgenommen haben
Ergebnisse
Insgesamt haben etwas mehr als die Hälfte, nämlich 23 von 41 Einrichtungen geantwortet (Stand: 15.06.2020). Die geografische Verteilung der angeschriebenen und antwortenden Einrichtungen ist in Abb. 2 dargestellt. Nicht aus allen Bundesländern lagen Antworten vor, jedoch aus Nord-, Süd-, Ost- und Westdeutschland.
Nachfolgend werden die Antworten der teilnehmenden Einrichtungen zu den sechs gestellten Fragen (s. Methoden und Abb. 1) zusammengefasst.
Probleme der Einrichtung
Zwei der Einrichtungen gaben an momentan keine Zeit für die Beantwortung der Fragen zu haben. Eine Vielzahl von Einrichtungen berichtete seit Mitte März vorübergehend vollständig oder teilweise schließen bzw. auf einen Notbetrieb umstellen zu müssen. Bei einer teilweisen Schließung waren häufig die Aufenthaltsräume bzw. Kontaktläden betroffen. Diese sind zum Teil auch aktuell noch geschlossen. Im Rahmen eines Notbetriebs wurden von vielen Einrichtungen Strukturen wie die Essensausgabe und die Ausgabe von Konsumutensilien möglichst aufrechterhalten. Durch die Schließung von Wohnungslosenhilfen wurde berichtet, dass die niedrigschwelligen Drogenhilfeeinrichtungen vermehrt von Wohnungslosen für Angebote wie Essen, Duschen und die Kleiderkammer aufgesucht wurden.
Weitere berichtete Veränderungen der Einrichtungen umfassten die Reduktion von Plätzen im Bereich der Konsumräume, um einen Mindestabstand einhalten zu können. Die Schließung von Kontaktläden hat in vielen Einrichtungen mangels ausreichender Privatsphäre zu einem starken Rückgang der allgemeinen Beratungen geführt, trotz eines hohen berichteten Bedarfs an Gesprächen. Vereinzelt berichten Einrichtungen von dem Versuch telefonische Beratungsmöglichkeiten aufzubauen, dies allerdings mit gemischtem Erfolg. Im Bereich der Essensausgabe stellten viele Einrichtungen auch während der Schließung z.B. auf Ausgaben an der Eingangstür oder in durchsichtigen Tüten an einer „Soliwand“ um. Einige Einrichtungen verstärkten in den letzten Wochen ihre Streetworkaktivitäten, um den Kontaktverlust zu Klient*innen zu verhindern. Eine Einrichtung gab an, darauf verzichten zu müssen, da die notwendigen Abstände nicht eingehalten werden konnten. Ganz allgemein gaben viele der antwortenden Einrichtungen an, durch die Art ihrer Arbeit daran gewöhnt zu sein, sich auf unvorhergesehene Situationen einzustellen, und auch das eingeschränkte Angebot dankbar von den Klient*innen angenommen wurde.
Für die Einrichtungen ging eine Wiederöffnung mit einem deutlich eingeschränkten Angebot (begrenzte Besucherzahl in den Konsumräumen und der Einrichtung insgesamt, verkürzte Aufenthaltsdauer und teilweise verkürzte Öffnungszeiten, keine Aufenthalts- und Ruheräume mehr, Essensausgabe „to go“) einher. Auch Gruppenangebote wurden eingestellt.
Anzahl Klient*innen
Dies
hatte Auswirkungen auf die Anzahl der Klient*innen, welche die
Einrichtungen besuchten. Zum einen merkten Einrichtungen an, dass es
noch zu früh sei, eine tatsächliche
Änderung der Klient*innenzahlen abschätzen zu können. Darüber
hinaus gab es sowohl Berichte über einen Rückgang als auch Zunahme
der Besuchenden. Die überwiegende Anzahl der Einrichtungen
berichtete momentan (teilweise deutlich) weniger frequentiert zu sein
und nannte dafür als Gründe die eingeschränkte Besucherzahl und
die verkürzte Aufenthaltsdauer. Auch durch die Schließung der
Aufenthaltsräume oder Cafés und teilweise neue Alternativen (z.B.
für wohnungslose Sexarbeiterinnen geöffnete Hotels) fielen
Klient*innen weg. Ein Anstieg der Besuchenden wurde vor allem mit
einer Änderung der
Klientel begründet, welche die kostenlosen
Angebote nutzten. Ein Anstieg der Klient*innenzahlen wurde auch für
die Streetwork-Projekte berichtet. Diese wurde allerdings auch von
Einrichtungen verstärkt, da die Angebote in der Einrichtung selbst
reduziert waren und somit Mitarbeiter*innen teils andere Aufgaben,
wie Streetwork, übernehmen konnten. In Parks wird von einer Zunahme
von Parkbesuchenden, die teils auch die Streetwork-Angebote nutzen,
und auch Wohnungslosen berichtet, vor allem aufgrund des Wegfalls
vieler Jobs im Niedriglohnsektor.
Präventionsangebote
Als Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Präventionsangebote der Einrichtungen berichten viele, dass sie trotz einer Schließung weiterhin die Möglichkeit des Spritzentausches zum Beispiel an der Eingangstüre angeboten haben und dies auch stark genutzt wurde. Einige gaben an, dass die Nachfrage nach Konsumutensilien sogar deutlich angestiegen ist und diese häufig auf Vorrat mitgenommen wurden. Einige Einrichtungen haben ihr Angebot dahingehend angepasst, dass die maximale Anzahl von Konsumutensilien erhöht wurde oder diese kostenlos angeboten wurden. Allerdings mussten teilweise Klient*innen auch daran erinnert werden, unbenutzte Spritzen mitzunehmen. Eine Einrichtung konnte das Angebot zur Mitnahme von Konsumutensilien nicht aufrechterhalten und berichtet von Sorgen, dass sich ihre Klient*innen infizieren. Nur vereinzelt berichteten Einrichtungen von Lieferengpässen von Konsumutensilien.
Anders ist die Situation bezüglich der Testangebote für HIV und Hepatitis B und C. Hier berichteten bis auf wenige Ausnahmen, die Einrichtungen von einer Einstellung des Testangebotes. Genannte Gründe dafür sind die mangelnde Erreichbarkeit von Ärzt*innen und Praxen oder auch der Gesundheitsämter zu Beginn der COVID-19-Krise zur Testüberweisung sowie eingeschränkten Möglichkeiten die Abstandsregelungen und Hygienemaßnahmen einhalten zu können. Auch die generelle medizinische Versorgung für Nichtversicherte wurde immer noch als herausfordernd berichtet. Ein besonderer Aspekt, welcher in diesem Zusammenhang erwähnt wurde, ist, dass viele Organisationen, die kostenlose medizinische Dienste anbieten, von freiwilligen Ärzt*innen im Ruhestand unterstützt werden und diese als COVID-19-Risikogruppe nicht mehr verfügbar waren.
Hinsichtlich der Safer Use Beratungen zeigte sich ein gemischtes Bild. Einerseits waren und sind Beratungen aufgrund der beschriebenen Maßnahmen und somit mangelnder Privatsphäre in einigen Einrichtungen oder auch durch das Home-Office von Mitarbeiter*innen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Als zusätzliche Hürde erwähnte eine Einrichtung auch die Auflage, bei Aufenthalt in der Einrichtung in der jetzigen Situation wegen COVID-19 personenbezogene Daten erfassen zu müssen, was eine anonyme Beratung unmöglich macht. Auf der anderen Seite gibt es einen sehr hohen Gesprächsbedarf, wobei hier vor allem ein Interesse an Information rund um COVID-19 und Verstöße gegen entsprechende Auflagen berichtet wird. Einige Einrichtungen berichteten auch, dass sie ihre Beratungen wie gewohnt durchführen oder aktuell wieder aufnehmen konnten.
Die Substitutionsvermittlung wurde von einigen Einrichtungen als besonders schwierig, von anderen als einfacher berichtet. Einrichtungen mit positiven Erfahrungen gaben an, dass es einen vereinfachten Zugang durch zusätzliche Substitutionsplätze gab. Andere Einrichtungen erlebten einen erschwerten Zugang, da Praxen keine neuen Patient*innen aufnahmen. Vereinzelt wurde von einer erhöhten Nachfrage seitens der Klient*innen berichtet.
Nur wenige Einrichtungen äußerten sich zur Vergabe von Kondomen und berichteten von einer Aufrechterhaltung des Angebots jedoch einem Rückgang der Nachfrage. Ursächlich wurde mangelnde Diskretion, weniger Geselligkeit durch Schließung von Bars und auch der Monat des Ramadan genannt.
Änderung (Verhalten, Infektionsrisiken)
Einige Einrichtungen gaben an einen verstärkten Konsum im öffentlichen Raum beobachten zu können. Ausschlaggebend dafür wurden vor allem die Schließung von Einrichtungen aber auch gestiegene Preise für Substanzen sowie Geldmangel und damit möglichst schneller Konsum der erworbenen Drogen erwähnt. Einige Einrichtungen nannten in diesem Zusammenhang Bedenken, dass Safer Use deshalb nur schwer möglich ist. Andererseits berichteten Einrichtungen hinsichtlich eines generellen Hygieneverhaltens jedoch auch von einer verstärkten Sensibilisierung auf Händedesinfektion.
Probleme der Klient*innen
Eine der am häufigsten berichteten Schwierigkeiten von Klient*innen waren finanzielle Probleme. Da sich weniger Menschen in der Öffentlichkeit aufhielten, entfielen Geldbeschaffungsmöglichkeiten wie das Schnorren, Sammeln von Pfandflaschen und auch das Prostitutionsverbot führte zu Einbußen. Die Schließung und später verstärkte Überwachung des Einzelhandels erschwerte außerdem Ladendiebstähle. Darüber hinaus wurde von einer Knappheit von Substanzen und damit einhergehend gestiegenen Preisen berichtet. Dies führte wohl von einer Reduktion des Konsums über Verunsicherung und Aggressivität bis hin zum Ausweichen auf „Ersatzdrogen“ mit schlecht kontrollierbarem Wirkungsspektrum oder schlechter Qualität.
Die finanziellen Probleme wurden zusätzlich durch häufig berichtete Bußgelder verschärft, welche den Klient*innen aufgrund von Verstößen gegen die Kontaktbeschränkungen auferlegt wurden. Einige Einrichtungen berichteten von einer verstärkten Polizeipräsenz und -Kontrolle im öffentlichen Raum und teilweise sogar von einer regelrechten Vertreibungspolitik aus dem öffentlichen Raum ohne Verfügbarkeit von Alternativen für viele Klient*innen.
Als weitere gravierende Probleme für die Klient*innen wurde durch die Schließung von Drogenhilfeeinrichtungen der Verlust von Rückzugsmöglichkeiten und der gewohnten Tagesstruktur genannt. Einige Einrichtungen berichteten, dass dies zu erhöhtem Stress führte. Die Schließung und nur eingeschränkt mögliche Nutzung der Einrichtungen führte bei vielen Klient*innen zur Schwierigkeit, soziale Kontakte zu pflegen bis hin zu Vereinsamung. Dabei spielen auch die Vorbelastungen vieler Klient*innen durch Traumata und Depressionen eine wichtige Rolle. Viele Einrichtungen berichteten, dass sich dies vor allem durch einen erhöhten Gesprächsbedarf zeigte. Auch eine Belastung durch Planungsunsicherheit für die Zukunft wurde genannt.
Umgang der Einrichtung mit der Situation
Hinsichtlich der medizinischen Versorgung gaben einige Einrichtungen an, dass die Situation erschwert war. Zum einen wurde von geschlossenen und zu COVID-19-Quarantänestationen umfunktionierten Entgiftungsstationen berichtet oder von einer Verweigerung der Wundversorgung in Krankenhäusern. In Bezug auf COVID-19 mangelte es an Testmöglichkeiten für Wohnungslose und Menschen ohne Ausweispapiere. Gleichzeitig gaben einige Einrichtungen an, dass einige Klient*innen trotz Vorerkrankungen und einem deutlichen Risiko für COVID-19 sich nicht an die Schutzmaßnahmen hielten und z.B. trotzdem gemeinsam aus einer Flasche tranken oder nicht den nötigen Abstand einhielten. Andere berichteten wiederum von Ängsten der Klient*innen sich zu infizieren.
Aus Sicht der Einrichtungen gaben viele an vor allem zu Beginn der COVID-19-Krise Probleme bei der Beschaffung von Schutzmaterial (Mund-Nasen-Schutz, Desinfektionsmittel) gehabt zu haben. Auch die Erarbeitung eines Schutzkonzeptes bereitete vielen Einrichtungen Schwierigkeiten. Dabei wurden vor allem die mangelnden Beratungsmöglichkeiten für Einrichtungen kritisiert, teils lange Wartezeiten zur Überprüfung des Konzepts geschildert und dass einige Einrichtungen aufgrund dessen immer noch nicht wieder öffnen konnten. Darüber hinaus konnten aber viele Einrichtungen schnell ihre räumliche Situation umstellen sowie entsprechende Barrieren und Spuckschutz aufbauen. Lediglich die mangelnde Verfügbarkeit von Mund-Nasen-Schutz und Desinfektionsmitteln wurde, wie bereits beschrieben, als Schwierigkeit angemerkt. Die Sensibilisierung der Klient* innen für die Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen hingegen wurde gemischt berichtet. Teilweise wurden diese sehr verständnisvoll aufgenommen und gut verstanden, teilweise jedoch auch nicht beachtet.
Besonders erwähnte Maßnahmen von den Einrichtungen waren zum Beispiel eine mobile Händewaschstation bestehend aus einem 30 Liter Wassertank (Campingbedarf) mit Hahn, Seifenspender und Papiertüchern. Für den mobilen Einsatz im Park wurde eine solche Station auf einem Lastenrad oder auch einem Bollerwagen montiert. Auch die Einrichtung eines „Communityphones“ zur kontaktlosen Begleitung und Sprachmittlung zum Beispiel bei Arztbesuchen wurde berichtet. Eine Einrichtung hat frisch gekochten Ingwertee zur Stärkung des Immunsystems angeboten oder auch das Nähen von Schutzmasken wurde ins Beschäftigungsangebot aufgenommen.
Fazit
Die hier zusammengefassten Rückmeldungen der niedrigschwelligen Einrichtungen der Drogenhilfe zeigen, dass es gravierende Einschränkungen hinsichtlich der Präventionsangebote für durch Blut und sexuell übertragene Infektionskrankheiten durch die COVID-19- Krise gibt. Die Krise hat zeitweise zu einer vollständigen Schließung von Einrichtungen geführt, wobei viele mittlerweile unter Einhaltung der vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandsregeln wieder öffnen konnten. Dies hat auch aktuell noch Auswirkungen auf die Beratungsmöglichkeiten, Testangebote, Konsum- und Aufenthaltsmöglichkeiten. Einige Einrichtungen berichten von kreativen Lösungswegen und alternativen Angeboten, durch die vor allem der Konsumutensilientausch aufrechterhalten werden konnte. Allerdings werden auch einige Bedenken dahingehend geäußert, dass durch den zeitlich begrenzten Aufenthalt in Einrichtungen und Abstandsregeln weniger Gespräche mit ausreichender Privatsphäre geführt werden können und das wiederum zu einem Kontaktverlust mit Klient*innen führt. Auch der vermehrte Konsum im öffentlichen Raum wird als besorgniserregend beschrieben. Viele der genannten Faktoren führen zu einem vermehrten Konsum unter unsicheren Bedingungen, verringerter Nutzung von Testangeboten und erhöhen somit das Risiko von Infektionen. Die hier zusammengefassten Ergebnisse bestätigen das Bild, welches das Centre for Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt basierend auf einer Befragung in Deutschland zusammengefasst hat.2 Auch in anderen europäischen Ländern zeigt sich eine ähnliche Situation. In Großbritannien hat eine Auswertung den Rückgang von Klient*innen für die Konsumutensilienausgabe sowie die Anzahl der ausgegebenen Spritzen mit Beginn des Lockdowns gezeigt.4 Das European Centre for Drugs and Drug Addiction hat unterschiedliche Akteure in mehreren europäischen Ländern befragt und ist zu einer sehr ähnlichen Beschreibung der Situation gekommen.1 Die Ergebnisse dieser Befragung geben einen wichtigen Einblick in die aktuellen Herausforderungen niedrigschwelliger Einrichtungen der Drogenhilfe, vor allem in Hinblick auf die Präventionsangebote. Sie können genutzt werden, um bei einem erneuten Anstieg der COVID-19-Fälle besser vorbereitet zu sein.
Danksagung
Ein besonderer Dank gilt den Einrichtungen für die zahlreichen und ausführlichen Antworten zu dieser Kurzbefragung.
1 EMCDDA trendspotter briefing: Impact of COVID-19 on drug services and help-seeking in Europe May 2020, unter: https://www.emcdda.europa.eu/system/files/publications/13073/EMCDDA-Trendspotter-Covid-19_Wave-1-2.pdf (abgerufen am 29.07.2020)
2 Werse B, Klaus L.; Corona, Drogenszenen und Drogenhilfe: erste Ergebnisse einer qualitativen Erhebung. Deutsche Aidshilfe - magazin.hiv. April 2020, unter: https://magazin.hiv/2020/04/27/corona-drogenzenen-drogenhilfe (abgerufen am 29.07.2020)
3 Mayring, P.; Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlage und Techniken. 12. überarbeitete Auflage. Beltz Verlag. 2015
4 Whitfield M, Reed H, Webster J, Hope V.; The impact of COVID-19 restrictions on needle and syringe programme provision and coverage in England. International Journal of Drug Policy. Juli 2020, unter: https://doi.org/10.1016/j.drugpo.2020.102851
Autoren:
Amrei Krings1,
Gyde Steffen1,
Christine Germershausen1,
Ruth Zimmermann1
1Abteilung für Infektionsepidemiologie; FG 34 - HIV/AIDS und andere sexuell oder durch Blut übertragbare Infektionen; Robert Koch-Institut; Seestraße 10 · 13353 Berlin
E-Mail: Druck2.0@rki.de