Überfällige Forschung zu sexueller Gesundheit bei trans* und enby Menschen
Beginnen wir mit den Basics: Was bedeutet sexuelle Gesundheit im Zusammenhang mit trans* und nicht-binären Menschen?
Hahne: Sexuelle Gesundheit bedeutet, sichere Zugänge zu medizinischer Versorgung und zu guten Präventionsangeboten und Informationen zu haben, um die eigene Sexualität ohne persönlichen Schaden, sondern mit Lust ausleben zu können.
Geri: Es geht nicht nur um die Abwesenheit von Krankheit oder Diskriminierung, sondern auch darum, ein positives Gefühl, eine positive Herangehensweise an die eigene Sexualität und den eigenen Körper zu haben …
Hahne: … und den eigenen Bedürfnissen so nachgehen zu können, dass die eigenen Grenzen respektiert werden.
Bedarfe und Bedürfnisse zu Tage fördern
The Gender Spectrum Collection | Photo: Zackary Drucker
Warum muss die Aidshilfe dazu forschen?
Geri: Das Thema ist in Deutschland bisher de facto nicht erforscht. Es geht in diesem Forschungsprojekt also erst einmal darum, Themenfelder zu identifizieren und belastbare Zahlen zu bekommen. Wir wollen Bedarfe für die Prävention und die Bedürfnisse der Menschen in den genannten Gruppen zu Tage fördern.
Hahne: Die DAH ist ja seit Jahrzehnten im Bereich HIV und STI tätig und zuständig für die Prävention für besonders vulnerable Gruppen. Aufbauend auf diesen Erfahrungswerten, sollen jetzt auch trans* und nicht-binäre Menschen adressiert werden.
Gibt es Erkenntnisse aus anderen Ländern, die ihr nutzen könnt?
Geri: In der EMIS-Befragung von MSM 2016/17 wurden auch einige Daten zu Trans* erhoben, die jetzt ausgewertet werden. Es gibt aber insgesamt auch international nur wenige Zahlen. Meist geht es dann eher um spezielle Gruppen, wie zum Beispiel trans* Frauen in der Sexarbeit und deren besondere Vulnerabilität.
Wie geht ihr nun vor?
Hahne: Das Projekt besteht aus zwei
Teilen. Die Deutsche Aidshilfe deckt den qualitativen Teil ab und das
Robert Koch-Institut die quantitativen Untersuchungen. Hinzu
kommt ein gemeinsamer Projekt-Beirat aus
Community-Vertreter_innen
und Wissenschaftler_innen.
Geri: In unserem Teil werden wir vier Fokusgruppen-Wochenenden mit Menschen aus den genannten Gruppen in verschiedenen Regionen Deutschlands durchführen. Im Vorfeld schulen wir Peer-Trainer_innen, um regional in den Strukturen gut angebunden zu sein. Darüber hinaus werden wir Einzelinterviews führen und Peer-Berater_innen aus der Transitionsberatung befragen.
Diversität abbilden
„Leben mit HIV – anders als du denkst“
Menschen mit HIV können heute bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie leben wie alle anderen. Das ist die zentrale Aussage der neuen Gemeinschaftsaktion von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Deutschen AIDS-Stiftung und der Deutschen Aidshilfe zum Welt-Aids-Tag.
Menschen mit HIV berichten von ihrem Alltag und machen deutlich: HIV muss nicht mehr im Vordergrund stehen. Stattdessen schlagen sich HIV-positive Menschen mit denselben Alltagssorgen herum wie alle anderen.
Bei Johanna und Simon ist es die Hausarbeit. Der 22-jährige Altenpflegeschüler Dejan sagt: „Mein Problem ist das Aufstehen vor der Frühschicht – nicht HIV.“ (siehe Bild). Und Thomas, 59, erklärt: „Meine Probleme waren Drogen, HIV und Armut – heute helfe ich anderen.“
Mit einem Augenzwinkern zeigt die Aktion, dass ein entspanntes und respektvolles Zusammenleben von Menschen mit und ohne HIV für viele bereits eine Selbstverständlichkeit ist – ob nun in der Partnerschaft, bei der Arbeit oder im Ehrenamt. Damit wirkt sie Berührungsängsten und veralteten Vorstellungen vom Leben mit HIV entgegen.
Hinzu kommt eine klare Botschaft zum Welt-Aids-Tag: Schleife zeigen gegen Diskriminierung. Denn Diskriminierung ist ein besonderes Problem, das HIV-positive Menschen durchaus noch haben.
Alle Motive und mehr Informationen: www.welt-aids-tag.de
Ist die Diversität der Zielgruppe eine Schwierigkeit?
Hahne: Es gehört zur Zielsetzung, diese Diversität abzubilden: den Altersquerschnitt von Menschen, die sich gerade entdecken, bis hin zu Menschen, die das Transsexuellengesetz von 1980 schon als Erwachsene mitbekommen haben. Verschiedenste Abschnitte in Transitions-Prozessen, mit sehr unterschiedlichen Fragestellungen. Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit. Die Vielfalt aller möglichen sexuellen Orientierungen. Menschen in der Sexarbeit, Menschen die prekär leben. Und so weiter.
Welche Themenbereiche sind besonders wichtig?
Hahne: Es gibt vier Themenbereiche: Als erstes Sexualität und Sprache: Wie sprechen trans* und nicht-binäre Menschen über Genitalien, über Sexualität, über Bedürfnisse, Wünsche und Begehren? Zum zweiten geht es um klassische Faktoren, die sexuelle Gesundheit beeinflussen: Welche Faktoren können zu einer erhöhten Vulnerabilität für HIV/STI führen?
Geri: Im dritten Themenfeld wollen wir uns das Risikomanagement und die Schutzfaktoren auf der individuellen Ebene anschauen. Wie kann ein positives Selbstwertgefühl gestärkt werden? Welche Faktoren spielen in der gesundheitlichen Versorgung eine Rolle?
Hahne: Nicht zuletzt wollen wir uns anschauen, welche Hindernisse und Barrieren die Nutzung bereits bestehender Präventionsangebote erschweren und welche Versorgungslücken es gibt.
Sexualität bisher zu wenig thematisiert
Gibt es da schon Vermutungen?
Hahne: Generell sind trans* und nicht-binäre Menschen meist nicht sichtbar sind und werden nicht mit angesprochen. Und während der Transition wird eine positiv gelebte Sexualität kaum thematisiert – wenn überhaupt.
Wie werden die Ergebnisse ausgewertet?
Geri: Es wird klassische Inhaltsanalysen aus den Interviews und eine quantitative Analyse geben. Neben den wissenschaftlichen Veröffentlichungen soll es auch eine Broschüre für die Community, Menschen in der Prävention und im Gesundheitswesen geben.
Was fließt von euch persönlich in die Arbeit ein?
Hahne: Ich arbeite seit vielen Jahren im Bereich sexuelle Gesundheit, sei es als Sexualpädagoge oder auch als somatischer Begleiter. Ich habe auch bei der IWWIT-Kampagne mitgearbeitet, zum Beispiel an inhaltlichen Modulen. Das Thema zieht sich durch mein privates wie mein berufliches Leben.
Geri: Ich habe als Soziologin zu diesem Themenbereich geforscht. Und aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis weiß ich aus eigener Anschauung, wie sehr das Thema HIV und sexuelle Gesundheit bei trans* Menschen noch im Dunkeln liegt. Es fehlt an Anlaufstellen und Aufklärung. Ich möchte helfen, das zu verbessern.
Interview: Dirk Ludigs
Alexander Hahne und Mara Geri sind die Projektmitarbeiter_innen des Projekts „Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans* und nicht-binären Communities“ bei der DAH.
Die Finanzierung des Projektes erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit.