Leitlinien
HIV-Therapie in Schwangerschaft und bei exponierten Neugeborenen

Ende letzten Jahres wurde die Deutsch-Österreichische Leitlinie aktualisiert. Dabei wurde die Leitlinie nicht nur um
die neuen Substanzen bei der antiretroviralen Therapie ergänzt.

ART bei Schwangeren

Für HIV-positive Schwangere gelten die Behandlungsindikationen wie für nicht schwangere Erwachsene. Bei einer in der Schwangerschaft diagnostizierten HIV-Infektion soll nun anders als 2017 die Behandlung so rasch wie möglich, spätestens aber zu Beginn des 2. Trimenons begonnen werden. Wird eine Frau unter ART schwanger, sollte eine erfolgreiche Therapie weitergeführt werden, allerdings nach Prüfung „um die in der Schwangerschaft empfohlenen Substanzen oder Substanzen mit möglichst umfangreicher Datenlage zu verwenden“. Eine Änderung soll erfolgen, wenn die ART nicht aus Substanzen mit ausreichender Datenlage zur Sicherheit besteht.

Theoretisch stehen für die ART in der Schwangerschaft Medikamente aus allen Substanzklassen zur Verfügung. Allerdings sind die meisten antiretroviralen Medikamente bis auf Atazanavir, Lopinavir, Darunavir und Zidovudin nicht für den Einsatz in der Schwangerschaft zugelassen und die begrenzten klinischen Erfahrungen lassen noch keine abschließende Nutzen-Risiko-Abschätzung zu.

Abb 1Empfohlene Substanzen und ihre Dosierung für die Erstlinientherapie in der Schwangerschaft
Abb 1 Empfohlene Substanzen und ihre Dosierung für die Erstlinientherapie in der Schwangerschaft

Geburt

Bei Schwangeren, deren HIV-RNA <50 Kopien/ml beträgt mindestens vier Wochen vor und bis zur Entbindung soll eine vaginale Entbindung erfolgen, unter den Voraussetzungen:

  • die Schwangere nimmt eine ART ein
  • Geburtshelfer*innen sehen keine relevanten geburtshilflichen Risiken

Zusätzlich gibt die Leitlinie praktische Empfehlungen für die vaginal intendierte Geburt:

  • Fruchtblase möglichst lange erhalten
  • Verzicht auf eine Kopfschwartenelektrode
  • Strengere Indikationsstellung bei vaginal operativen Entbindungen und zu Mikroblutuntersuchungen
  • Großzügigere Indikation zur sekundären Sectio bei pathologischem fetalen Herzfrequenzmuster, prolongiertem Geburtsverlauf oder v.a. Amnioninfektionssyndrom
  • Geburtseinleitungen anhand geburtshilflicher Kriterien

Mehrheitlicher Konsens ist, dass keine intrapartale Expositionsprophylaxe aber eine postnatale Expositionsprophylaxe erfolgen soll. Nur wenn bereits vor der Schwangerschaft eine erfolgreiche ART bestand und die HIV-RNA während der gesamten Schwangerschaft und zeitnah vor der Geburt immer <50 Kopien/ml lag, kann auf eine postnatale Expositionsprophylaxe verzichtet werden.

Abb 2Vorgehen bei bestehender ART zu Beginn der Schwangerschaft
Abb 2 Vorgehen bei bestehender ART zu Beginn der Schwangerschaft

Bei Schwangeren mit einer HIV-RNA >50 aber <1.000 Kopien/ml in der 36. SSW soll frühestens ab der 37+0 SSW eine elektive Sectio erfolgen und es soll eine intrapartale Expositionsprophylaxe und postnatale Expositionsprophylaxe gegeben werden. Das gleiche Vorgehen bei der Mutter gilt für Schwangere mit einer HIV-RNA >1.000 Kopien/ml. Allerdings soll aufgrund des hohen HIV-Transmissionsrisikos in dieser Konstellation die postpartale Expositionsprophylaxe des Neugeborenen um weitere antiretrovirale Medikamente erweitert bzw. ggf. entsprechend der Vorbehandlung der Mutter angepasst werden.

Besondere Situationen

Bei unbekanntem HIV-Status sollte ein HIV-Schnelltest angeboten und ggf. gleichzeitig ein HIV-Suchtest erfolgen. In Abhängigkeit des (Schnell-)Testergebnisses wird über die intrapartale und postnatale HIV-Transmissionsprophylaxe entschieden. Bei HIV-positiven Schwangeren ohne ART oder unbekannter Viruslast wird eine intrapartale und erweiterte postnatale Expositionsprophylaxe empfohlen. Besondere Herausforderungen stellt der sehr frühe vorzeitige Blasensprung sowie vorzeitige Wehentätigkeit zwischen der 24. und 28. SSW dar. Die erforderlichen Maßnahmen zur Induktion der Lungenreifung wirken frühestens nach 24 Stunden und geraten damit evtl. mit den Maßnahmen zur Verhinderung der HIV-Transmission in Konflikt. In einem solchen Fall muss das hohe Risiko kindlicher Schäden auf Grund der fehlenden Lungenreife gegen das Risiko einer HIV-Transmission (je nach mütterlicher HIV-RNA) abgewogen werden. Eine „milde Frühgeburtlichkeit“ ≥33+0 SSW scheint die HIV-Transmissionshäufigkeit nicht zu erhöhen. Zur „extremen Frühgeburtlichkeit“ <33+0 SSW gibt es nur wenige Daten und unterschiedliche Ergebnisse.

Tab 1Einschätzung der Substanzen hinsichtlich ihres Einsatzes in der Schwangerschaft
Tab 1 Einschätzung der Substanzen hinsichtlich ihres Einsatzes in der Schwangerschaft

Stillen

Es besteht starker Konsens, dass bei supprimierter mütterlicher Viruslast (<50 Kopien/ml) soll die Entscheidung über das Stillen unter Abwägung von Nutzen und Risiken in einem partizipativen Prozess getroffen werden. Stillen trägt zur Gesundheit von Mutter und Kind bei und wird in Deutschland von der Nationalen Stillkommission für mindestens 6 Monate empfohlen.

Für Mütter mit HIV in besonderen Situationen (geflüchtete Frauen, Leben in Gemeinschaftsunterkünften, Migration) kann Stillen eine besondere Bedeutung haben oder Herausforderung darstellen. Es gilt deshalb im klinischen Alltag, eine gemeinsame Entscheidung zu finden, die die Vor- und Nachteile des Stillens im Einzelfall gegeneinander abwägt.

Drei Voraussetzungen sind für sicheres Stillen essentiell:

  1.  Über mehrere Monate dokumentiert effektive ART mit negativer HIV-RNA (<50 Kopien/ml) der Mutter. Im Idealfall während der ganzen Schwangerschaft, mindestens aber bei den letzten beiden aufeinanderfolgenden Messungen vor der Geburt (Intervall von mindestens vier Wochen und letzte Messung nach der 36. Schwangerschaftswoche).
  2.  Zuverlässige ART-Einnahme (verdeutlicht u.a. durch sehr gute Adhärenz in der Vergangenheit).
  3.  Bereitschaft zur Teilnahme am zusätzlichen HIV-RNA Monitoring in der Stillzeit (Mutter monatlich, Säugling siehe Tab. 2).

Tab 2Empfehlungen für das praktische Vorgehen bei Stillwunsch der Mutter mit HIV
Tab 2 Empfehlungen für das praktische Vorgehen bei Stillwunsch der Mutter mit HIV

Die DAIG hat spezielle schriftliche Materialien mit Hintergrundinformation zum Stillen mit HIV entwickelt, die den Schwangeren zur Verfügung gestellt werden sollen und über die Homepage der DAIG (https://daignet.de/site-content) abrufbar sind.

Bei einer Viruslast >50 HIV-RNA Kopien soll ein Stillverzicht empfohlen werden.

Deutsches Schwangerschaftsregister

Auf nationaler Ebene sollten Ärzt*innen sich am Schwangerschaftsregister der Deutschen AIDS-Gesellschaft (Kontakt: schwangerschaftsregister@daignet.de) beteiligen. HIV-exponierte und -positive Kinder sollten an die Kohorte der PAAD (Pädiatrische Arbeitsgemeinschaft AIDS Deutschland e.V.) gemeldet werden (Kontakt über www.kinder-aids.de).

Weitere Informationen zur HIV-Infektion und Schwangerschaft kann man bei verschiedenen Telefon-Hotlines und Ansprechstationen einholen. Telefonnummern und Adressen findet man auf Seite 24 der Leitlinie abrufbar im Internet



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