Ansgar Rieke, Koblenz
HIV und Niere – Teil 2

Bei Niereninsuffizienz muss ggf. die Dosis von Medikamenten angepasst werden. Zur ART stehen mehrere Substanzen und auch STR zur Verfügung, von denen einige sogar bei Dialyse zugelassen sind nach Nutzen-Risiko-Abwägung. Darüber hinaus sollte man angesichts der hohen Komorbidität dieser Population insbesondere auch auf die Dosisanpassung der Begleitmedikation und auf Wechselwirkungen achten.

RT bei eingeschränkter Nierenfunktion

Schema einer Hämodialyse-Maschine
Schema einer Hämodialyse-Maschine

NNRTI, PI und INSTI (inklusive Dolutegravir und Bictegravir) sowie Maraviroc werden fast ausschließlich hepatisch eliminiert. Eine Dosisanpassung ist daher nur bei NRTI notwendig, es sei denn, es besteht gleichzeitig eine Leberinsuffizienz. Maraviroc ist bei eingeschränkter Nierenfunktion und Kombination mit einem CYP3A-
Hemmer je nach Substanz und GFR unterschiedlich zu dosieren. Bei Fixkombinationen ist die am stärksten kumulierende Substanz maßgeblich.

TDF sollte spätestens ab einer GFR <60 ml/Min nicht mehr eingesetzt werden. TAF bzw. FTC/TAF kann bis zu einer GFR >30 ml/Min gegeben werden, bei einer GFR ≥15 ml/min und <30 ml/min oder bei Patienten mit einer geschätzten CrCl <15 ml/min soll der Einsatz laut Fachinformation vermieden werden, da Daten zur Sicherheit fehlen.

Bei fortschreitender Niereninsuffizienz ist wegen der hohen Zahl an Medikamenten auch eine Zweifachtherapie der ART zu erwägen: Bei Dolutegravir/Lamivudin (DTG/3TC) ist Lamivudin der limitierende Faktor und wird bei einer GFR <50 ml/Min nicht mehr empfohlen. Alternativ kann das STR aufgebrochen werden und der Lamivudin-Anteil kann an die GFR angepasst werden (vergl. Tab. 1). Dolutegravir/Rilpivirin ist eine denkbare Option, ist aber aufgrund fehlender Daten nicht explizit zugelassen und sollte mit Vorsicht in Kombination mit einem CYP3A-Inhibitor eingesetzt werden.

Tab 1  Dosisanpassung von ARV bei eingeschränkter Nierenfunktion
Tab 1 Dosisanpassung von ARV bei eingeschränkter Nierenfunktion

Nierenersatztherapie

Formen der Nierenersatztherapie

Hämofiltration

Hämofiltration ist eine reine Ultrafiltration und Ersatz durch Elektrolytlösung. Dem Blut wird Flüssigkeit entzogen, ohne dass eine Spüllösung (Dialysat) verwendet wird. Aufgrund eines über eine Pumpe angelegten Druckgradienten (Transmembrandruck) an der Filtermembran wird Plasmaflüssigkeit aus dem Blut über die Membran entzogen (Ultrafiltration). Durch diesen transmembranen Fluss werden auch alle filtergängigen Stoffe mitentfernt. Dies ermöglicht eine langsame Entgiftung und bei Bedarf eine schnelle Volumenveränderung. Die entzogene Flüssigkeit wird durch eine Elektrolytlösung (Substituat) individuell angepasst ersetzt. Es handelt sich um ein maschinelles Verfahren.

Kontinuierliche Hämofiltration (CAVH/CVVH)

Bei der kontinuierlichen arteriovenösen Hämofiltration (CAVH) ist der Blutfluss spontan von Arterie zu Vene, wodurch der Eigendruck einer Arterie Plasmaflüssigkeit abpresst und durch eine Elektrolytlösung ersetzt wird. Diese wenig effektive und vom Blutdruck abhängige Methode wurde bald durch die pumpengetriebene kontinuierliche venovenöse Hämofiltration (CVVH) abgelöst, die ihrerseits durch die Kombination mit Dialyse zur kontinuierlichen venovenösen Hämodiafiltration erweitert worden ist (CVVHDF). Diese Verfahren werden insbesondere auf Intensivstationen zur Behandlung von Patienten mit akutem Nierenversagen eingesetzt.

Geniusdialyse

Bei der üblichen Hämodialyse werden 100-150 Liter Dialysat kontinuierlich aus Reinwasser und konzentrierten Salzlösungen für die Verwendung im Dialysator hergestellt und nach Gebrauch entsorgt. Das Reinwasser muss dabei möglichst salz- und keimarm sein. Bei der Geniusdialyse mit einer so genannten Tankniere werden 90 Liter Dialysat in einem Tank der Maschine gespeichert und im Verlaufe der 4-5 stündigen Dialyse benutzt und von unten wieder in den Tank zurückgeleitet. Im Gegensatz zu früheren Tanknieren kommt es bei der Genius-Dialyse durch die Unterschichtung des benützten Dialysates nicht zu einer Durchmischung von verbrauchten und unverbrauchten Dialysat. Da im Dialysat vorhandene Keime durch UV - Bestrahlung im Geniusdialysegerät weitestgehend abgetötet werden, bietet dieses Verfahren die beste Dialysatqualität.

High-Flux-Dialyse

Das wesentliche Element der High-Flux-Dialyse besteht in der Verwendung von Dialysatoren mit größeren Poren zur Entfernung von sowohl urämischen Toxinen als auch Flüssigkeiten. Bei der herkömmlichen Dialyse werden Abfallprodukte und Elektrolyte per Diffusion aus dem Blut des Patienten entfernt – die Bewegung von gelösten Substanzen von einer Lösung mit höherer Konzentration (Blut) zu einer mit niedrigerer Konzentration (dem Dialysat) durch eine semipermeable Membran. Der Blut-Harnstoff-Stickstoff (BHS) wird gemessen und als eine Wiedergabe aller Toxine, die die Niere normalerweise entfernt, verfolgt. Mit einer High-Flux-Dialyse werden BHS deutlich schneller entfernt.

Peritonealdialyse

Bei der Peritonealdialyse wird ein Teil des Bauchfells als Dialysator genutzt. Dazu wird über einen implantierten Dauerkatheter eine Lösung in die Bauchhöhle infundiert, die dort vier bis acht Stunden verbleibt. Anschließend wird das Dialysat wieder abgelassen. Dieser Vorgang und der damit verbundene Wechsel der Spülflüssigkeit über einen Beutel wird vier- bis fünfmal am Tag durchgeführt und dauert etwa je eine halbe Stunde. Alternativ können die Wechsel auch mit Hilfe einer Maschine automatisch durchgeführt werden.

Je nach PatientIn und seiner/ihrer Lebenssituation kommen als Nierenersatztherapie die dreimal wöchentliche Hämodialyse (HD) in der Regel über je fünf Stunden zur Anwendung. Es gibt verschiedene Verfahren der Hämodialyse (vergl. Kasten Seite 19). Das in Deutschland gebräuchlichste Verfahren ist die Hämodialyse. Auch die
Peritonealdialyse (CAPD/CCPD oder IPD) ist bei HIV möglich. Diese wird zuhause durchgeführt und kann so mitunter die Selbstbestimmung und Lebensqualität des Patienten erhalten. Es gibt keine bevorzugte Nierenersatzmethode für Menschen mit HIV.

Die chronische Dialyse eines HIV-PatientIn wird am Dialysezentrum oft als „Stressfaktor“ erlebt verbunden mit Infektionsängsten und Ablehnung durch das Personal. Das offene Zugehen auf die Dialysepraxis und Vermittlung von „U=U“ und Ansprechen von Vorbehalten und Ängsten ist dringend angeraten. Zusätzlich muss die Gesamtmedikation des Patienten (in der Regel sehr umfangreich) auf DDI mit der ART geprüft werden und gemeinsam zwischen Nephrologen und HIV-Spezialisten abgesprochen werden.

ART bei Dialyse

In Deutschland sind etwa 500.000 Menschen dialysepflichtig, schätzungsweise 1.500 bis 2.500 davon sind HIV-positiv. Im Hinblick auf die ART muss lediglich bei NRTI die Dosis angepasst werden mit Ausnahme von FTC/TAF, das bei terminaler Niereninsuffizienz bzw. Dialyse laut Fachinformation entsprechend der Nutzen-Risiko-Abwägung ohne Dosisreduk tion eingesetzt werden kann. Gleiches gilt für Abacavir (ABC), das allerdings wegen der regelhaft hohen kardiovaskulären Morbidität dieser Patienten nicht geeignet ist. Integraseinhibitoren, alle Proteasehemmer und NNRTI stehen ohne Dosisanpassung zur Verfügung. Gleiches gilt für die Peritonealdialyse.

Die Studienlage zur ART bei Dialyse ist dünn. Es gibt eine open label single arm Studie von 26 Centren (USA und Europa (Eron 2019). Für diese 55 PatientInnen an der Dialyse existieren 48 Wochen Daten zur Fixkombination
Elvitegravir/Cobicistat/FTC/TAF, die die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Substanzkombination belegen. Analog zu den oben genannten Daten aber ohne Studien-Evidenz müsste auch der Einsatz der STR Darunavir/Cobicistat FTC/TAF, Rilpivirin/FTC/TAF und FTC/TAF möglich sein. Die beiden letzteren sind auch bei Hämodialyse zugelassen, der Einsatz wird aber in der Fachinformation nicht empfohlen, ist also eine Einzelfallabwägung nach entsprechender Risiko-Nutzen-Abwägung. Es empfiehlt sich, die STR-Fixkombinationen grundsätzlich täglich und am Dialysetag nach der Dialyse einzunehmen.

Wegen der Fülle an Begleitmedikamenten und potentiellen Wechselwirkungen ist eine Therapie ohne Booster und Cobicistat wünschenswert. Daher ist eine Studie zu Biktegravir/FTC/TAF (BIC/FTC/TAF) bei Hämodialyse besonders begrüßenswert. In einer ersten Phase 3b open label single arm-Studie in Europa und den USA wurden 10 der oben erwähnten 55 Dialyse-PatientInnen, die virologisch 96 Wochen unter EVG/c/FTC/TAF komplett supprimiert waren auf BIC/FTC/TAF umgestellt. 48 Wochen nach dem Switch waren alle PatientInnen konstant unter der Nachweisgrenze mit stabiler Immunität und ohne relevante Nebenwirkungen (Rieke et al. DÖAK 2021 # 46813).

Tab 2  Behandlung der Pneumocystis-Pneumonie bei Niereninsuffizienz
Tab 2 Behandlung der Pneumocystis-Pneumonie bei Niereninsuffizienz

Tab 3  Behandlung von Virusinfektionen wie CMV, HSV, VZV bei Niereninsuffizienz
Tab 3 Behandlung von Virusinfektionen wie CMV, HSV, VZV bei Niereninsuffizienz

Studien zu dualen Regimen bei Dialyse existieren nicht. Der Einsatz von Darunavir, Dolutegravir, Dolutegravir/Rilpivirin und Cabotegravir/Rilpivirin i.m. scheint im Hinblick auf die überwiegend hepatische Elimination möglich.

Ein sorgfältiges Monitoring von Serumkreatinin, Proteinurie, Erythrozyturie, Glukosurie und Serumphosphat ist in jedem Fall anzuraten, sofern eine Restdiurese besteht.

Niere, ART und Komedikation

Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist nicht nur auf die ggf. notwendige Dosisanpassung der ART zu achten, sondern auch auf die Komedikation. Hier stehen für den HIV-BehandlerIn zunächst die Komedikation bei Pneumocystis-Pneumonie und deren Prophylaxe (Tab. 2), bei CMV-Retinitis und anderen Viruserkrankungen (Tab. 3), usw. im Vordergrund. Aber auch bei anderen gängigen Medikamenten z.B. zur Hypertonie-, Diabetes-, KHK-Behandlung und -Prävention muss die Dosis ggf. angepasst werden. Übersichtliche Informationen zu jeder einzelnen Substanz findet man auf www.dosing.de (Webseite des Pharmakologischen Instituts der Universität Heidelberg).

Zusammenfassung

Die Zahl der PatientInnen mit Comorbiditäten und HIV wird bis 2030 kontinuierlich zunehmen. Neben den typischen Nierenerkrankungen wie HIVAN, Glomerulonephritiden werden die art. Hypertonie, Diabetes mell., Metabolisches Syndrom und die Folgen einer chronischen Inflammation das Bild prägen. Mit dem Wechsel der ART von geboosterten PI`s zu Integrase basierten ART-Kombinationen und von TDF auf TAF sind die renalen Risiken einer ART auf die Niere gesunken. Regelmäßige Kontrollen mit Bestimmung der eGFR und Proteinurie zur Verlaufskontrolle sind dennoch notwendig. Auch bei terminaler Niereninsuffizienz stehen heute effektive ART Kombinationen zur Verfügung, allerdings ist die Datenlage noch dünn.

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