11th IAS Conference On HIV Science 18-21 July 2021
IAS 2021IAS – Viel Fortbildung und ein paar wissenschaftliche Highlights

Der „wissenschaftlich einflussreichste HIV-Kongress“ (Wording der IAS) fand mit Ausnahme des kleinen hybriden German Hub in Berlin virtuell statt. Möglicherweise dem Format geschuldet gab es viele gute Übersichtsvorträge und nur wenige wegweisende neue Studien.


IAS Moderator

Die großen „CME-Plenarvorträge“ wurden von Dr. Eckhart von Hirschhausen angekündigt, dessen Anmoderation und Auftreten an Sprecher der Deutschen Tagesschau-Nachrichten erinnerte. Die für Kliniker relevanten Highlights waren dünn gesät. Besonders interessant waren die Studien zu neuen Substanzen und Applikationsformen, die klar zeigen, die Zukunft gehört „Long Acting“ und 2DR. Im Mittelpunkt standen dabei die neuen Substanzen Lenacapavir und Islatravir (vergl. Beitrag Christian Hoffmann, Seite 12). Technisch scheint es mittlerweile sogar möglich zu sein, mehrere antiretrovirale Substanzen in einem Implantat mit ultralangsamer Freisetzung zu kombinieren (Benhabbour et al., PEC313).

Kapsidinhibitor

Abb 1  CAPELLA: Lenacapavir bei stark Vorbehandelten. 26 Wochen
Abb 1 CAPELLA: Lenacapavir bei stark Vorbehandelten. 26 Wochen

Der Kapsidinhibitor Lenacapavir (LEN) von Gilead Sciences kann als Tablette täglich und subkutan alle 6 Monate appliziert werden. Er wurde in ersten kleinen klinischen Studien in der Salvage-Situation und als Firstline geprüft. Die erste Auswertung der Daten nach jeweils etwas mehr als einem halben Jahr zeigte eine gute Verträglichkeit und auch Wirksamkeit. In der Firstline-Studie CALIBRATE war der Effekt von B/F/TAF und LEN+F/TAF vergleichbar, in der Salvage-Studie CAPELLA an stark Vorbehandelten mit Therapieversagen hatten 81% unter Lenacapavir + OBR eine Viruslast <50 Kopien/ml erreicht (Abb. 1). In einigen wenigen Fällen kam es zur Resistenzentwicklung, was bei antiretroviralen Substanzen keine Überraschung ist. Es bleibt abzuwarten, wie hoch die Resistenzschwelle und die Verträglichkeit im Langzeitverlauf sind (Molina J-M et al., ALX01LB02; Gupta S et al., OALB0302). Auch zur PrEP scheint die neue Substanz geeignet zu sein. Im Tierversuch schützte eine Injektion die Tiere 10 Wochen und länger vor der Infektion (Bekerman E et al, PECLB24).

NRTTI Islatravir

Das NRTTI Islatravir von MSD kann ebenfalls oral gegeben werden oder in einem Implantat verpackt eine Wirkung bis zu einem Jahr enthalten. Die Auswertung der 96-Wochen-Daten der Studie P011 ergab eine gute Verträglichkeit von Islatravir in Kombination mit Doravirin. Kopfschmerzen waren im Vergleich zur Doravirin/3TC/TDF mit 11% vs 7% beim 2DR etwas häufiger, Durchfälle mit 8% vs 19% seltener (Cunningham D et al., OAB0300744). Aufgrund der langen Halbwertszeit von Islatravir ist ein lang wirksamer Partner wünschenswert. Dies könne der neue NNRTI MK-8507 von MSD sein. Einer Kombination als einmal wöchentliches orales Regime steht zumindest aus pharmakokinetischer Sicht nichts entgegen (Ankrom W et al., PEB169). Ein anderer Kombinationspartner könnte Lenacapavir sein. Die beiden Unternehmen haben bereits eine Kooperation vereinbart. Auch zur PrEP wird Islatravir entwickelt. Bei monatlicher Gabe einer einzigen Tablette wurden ausreichende Plasmaspiegel erreicht (Hillier S et al. OALC01LB03).

Cabotegravir

Der INSTI Cabotegravir wird aktuell auch zur PrEP entwickelt. In HPTN084 war Spritze alle acht Wochen der täglichen Einnahme von F/TDF bereits so überlegen, dass die Studie abgebrochen wurde. Die nun präsentierte Auswertung belegt einen ähnlich guten Effekt bei Frauen ebenfalls aufgrund der besseren Adhärenz. Alle vier HIV-Infektionen im Cabotegravir-Arm ereigneten sich bei Frauen mit nicht adäquaten Injektionsabständen (Marzinke M et al. PECLB25).

Dolutegravir + Rilpivirin

Abb 2  FLAIR: Cabotegravir + Rilpivirin IM Q4W als Firstline. 124 Wochen. Snapshot-Analyse
Abb 2 FLAIR: Cabotegravir + Rilpivirin IM Q4W als Firstline. 124 Wochen. Snapshot-Analyse

In der Studie FLAIR wird Cabotegravir + Rilpivirin IM Q4W als Firstline geprüft. Zwischen Woche 96 und 124 wurde ein virologisches Versagen mit resultierenden INSTI- und NNRTI-RAMs beobachtet. Insgesamt kam es in den 124 Wochen somit bei fünf Patienten zum virologischen Versagen (Abb. 2). Die Verträglichkeit der Spritzen war kein Problem, sie wurde im Lauf der Zeit sogar immer besser. Lediglich ein Patient brach die Behandlung deshalb zwischen Woche 96 und 124 ab (Orkin C et al., OAB00413).

Gibt es Prädiktoren für das Versagen einer LA-Spritzentherapie? Eine Arbeitsgruppe aus drei großen Pariser Kliniken hat einen höheren BMI, den HIV-1 Subtyp A6/A1 sowie Rilpivirin-RAMs als Risikofaktoren identifiziert (Charpentier C et al., OAB030622). Eine archivierte K103N vor dem Switch bei supprimierten Patienten scheint dagegen kein Problem darzustellen. Das ergab die 24-Wochen-Analyse einer europäischen Multizenter-Studie (Moyle G et al., PEBLB12).

Dolutegravir/Lamivudin

Das 2DR Dolutegravir/3TC funktioniert auch in einem Test-and-Treat Setting, selbst wenn die Viruslast hoch ist. Nur bei wenigen Teilnehmern der STAT-Studie musste die Therapie wegen einer Hepatitis B-Koinfektion oder eines virologischen Versagens (n=2/100 ohne RAMs) angepasst werden (Rolle C-P et al., PEB182). Bei der akuten HIV-Infektion führt Dolutegravir/Lamividin erwartungsgemäß zur rascheren Senkung der Viruslast als Darunavir/r plus F/TDF allerdings ohne günstigeren Effekt auf das HIV-Reservoir im Blut (Cheret A et al., E01B31).

Im Switch-Setting hat sich Dolutegravir/3TC bereits in der TANGO-Studie bewährt (Wyk van W et al., PEB164). Auch in der SALSA-Studie hat die Umstellung von einem konventionellen 3er-Regime bei supprimierten Patienten gut funktioniert, allerdings kam es unter dem 2DR innerhalb eines Jahres zu einer stärkeren Gewichtszunahme (2,1 kg vs 0,6 kg) (Llibre JM et al,, OALB0303).

Dolutegravir bei Konzeption

Dolutegravir während der Konzeption hat keinen Einfluss auf die Entstehung von Neuralrohrdefekten. In der noch laufenden Tsepamo-Studie wurden mittlerweile deutlich mehr Konzeptionen/Schwangerschaften unter Dolutegravir dokumentiert. Die neue Auswertung der Daten bis 31. März 2021 zeigte keinen Unterschied in der Häufigkeit von Neuralrohrdefekten bei Neugeborenen von Müttern mit oder ohne Dolutegravir. Dies unterstützt – so die Autorin – die Empfehlung der WHO von Dolutegravir als Firstline für alle Erwachsenen auch für Frauen im gebärfähigen Alter (Zash R et al., PEBLB14).

Langzeit-Updates

Langzeitdaten geben Sicherheit. So war Doravirin/3TC/TDF in DRIVE-AHEAD auch nach 192 Wochen effektiv und gut verträglich (Orkin C et al., PEB147). Biktegravir/F/TAF war nach vier Jahren ebenfalls gut wirksam,
verträglich und ohne Resistenzentwicklung (Arribas J et al., PEP151) und im Hinblick auf die virologische Wirksamkeit nach 144 Wochen mit Dolutegravir/ABC/3TC bzw. Dolutegravir plus F/TAF vergleichbar (Acosta R et al., PEB150).

Abb 3  HIV HEART AGING-Kohorte im Ruhrgebiet. Gewichtsverlauf über 5 Jahre bei Menschen mit und ohne HIV
Abb 3 HIV HEART AGING-Kohorte im Ruhrgebiet. Gewichtsverlauf über 5 Jahre bei Menschen mit und ohne HIV

Gewichtszunahme

Abb 4  ZeNix: Bedaquilin, Pretomanid und Linezolid bei hochresistenter Tuberkulose. MITT-Analyse
Abb 4 ZeNix: Bedaquilin, Pretomanid und Linezolid bei hochresistenter Tuberkulose. MITT-Analyse

Abb 5  AMBITION-cm: Einmalig hochdosiertes liposomales Amphotericin B vs 7 TageAmphotericin B jeweils plus FU und FLU. Gesamtmortalität zu Woche 10
Abb 5 AMBITION-cm: Einmalig hochdosiertes liposomales Amphotericin B vs 7 TageAmphotericin B jeweils plus FU und FLU. Gesamtmortalität zu Woche 10

Eine Gewichtszunahme unter ART wirft die Frage auf, inwieweit die Medikamente ursächlich beteiligt sind. Die Frage wird derzeit kontrovers diskutiert, eine klare Antwort ist nicht in Sicht (Vergl. Kommentar Rockstroh Seite 22). Die Auswertung der deutschen HIV HEART AGING Arbeitsgruppe hat einen neuen Aspekt eingebracht. Beim Vergleich ihrer Kohorte mit der Normalbevölkerung kamen die Autoren zum Schluss, dass Übergewicht (zumindest im Ruhrgebiet) ein häufiges Problem ist und die beobachtete Gewichtzunahme bei Menschen mit HIV möglicherweise nicht ein „return to health“, sondern ein „coming back to normal“ darstellt (Abb. 3) (Mavrani L et al., PEB 125).

Klinisch relevant

Klinisch relevante Studien gab es zur hochresistenten Tuberkulose und Kryptokokken-Meningitis. In der Studie ZeNix konnte bei der hochresistenten Tuberkulose beim Regime Pretomanid, Bedaquilin und Linezolid die Theraä Linezolid auf Knochenmark und Nerven waren deutlich geringer (Conradie F et al., OALB01LB02). Bei der Kryptokokken-Meningitis hat sich die einmalige Gabe von hochdosiertem liposomalen Amphotericin B dem konventionellen Amphotericin B über sieben Tage jeweils in Kombination mit 5FC und FLU als überlegen erwiesen (Abb. 5) (Lawrence C et al., OALB01LB03).


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