Kommentar Prof. Dr. Hartwig Klinker, Würzburg
Richtig gemacht: Interaktionen werden beachtet!
Prof. Dr. Hartwig Klinker
Infektiologie
Würzburg
© priv.
PI zeichnen sich durch eine hohe Resistenzbarriere aus, haben ein signifikantes Nebenwirkungsspektrum und sind in besonderem Maße von pharmakokinetischen Wechselwirkungen betroffen, wobei sie hier einerseits selbst Einflüssen diverser Komedikation unterliegen, andererseits aber auch – überwiegend durch Inhibition des Cytochrom P 450-Systems – die Pharmakokinetik anderer Substanzen verändern. Akzentuiert wird die Beeinflussung der Pharmakokinetik durch den Einsatz der Booster-Substanzen Ritonavir und Cobicistat. Diese Booster sind mit der möglichen Ausnahme von Atazanavir regelmäßig Bestandteil einer PI-Therapie und werden auch in der Therapie mit dem Integraseinhibitor Elvitegravir eingesetzt.
Spärliche Daten
Die Übersichtsarbeit von K. Behnke adressiert exklusiv die Wechselwirkung von PI/Boostersubstanzen mit Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) als wichtiger Begleitmedikation bei kardiovaskulärer Komorbidität. Dabei stützt sich die Datenlage insgesamt auf lediglich wenige und kleinere Pharmakokinetik-Studien. Die klinischen Folgen der Wechselwirkung wird für die drei wichtigsten TAH außer Acetylsalicylsäure (hier ist keine relevante Interaktion anzunehmen) unterschiedlich beurteilt: Von Clopidogrel wird wegen einer signifikanten Wirkungsabschwächung bei PI/Booster-Begleitmedikation abgeraten, die Prasugrel-Wirkung scheint hingegen trotz geänderter Pharmakokinetik weitgehend erhalten zu bleiben, Ticagrelor ist wegen zu erwartender, erheblicher Wirkungsverstärkung zusammen mit PI/Booster kontraindiziert.
Bei Fehlen größerer Studien, insbesondere solcher mit klinischen Endpunkten, erscheint es ratsam, den genannten Empfehlungen zu folgen. Allgemein kann man davon ausgehen, dass eine Änderung der Substanzexposition ab ca. 25-30% eine klinische Relevanz bezüglich der Wirksamkeit bzw. Toxizität haben kann. Ob sich dieses Risiko individuell verwirklicht, hängt von einer Vielzahl von Kofaktoren ab, die sich oft schwer in ihrer Bedeutung abschätzen lassen.
Tab 1 Interaktionspotenzial zwischen Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) und HIV-Proteaseinhibitoren (PI)
Tab 2 Interaktionspotenzial zwischen Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) und HIV-Integraseinhibitoren (INI)
Tab 3 Interaktionspotenzial zwischen Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) und Nicht-Nukleosidischen Reverse Transcriptase-Inhibitoren (NNRTI)
Datenbanken helfen weiter
Über Datenbanken ist es heute unkompliziert und rasch möglich, sich einen Überblick über das Interaktionsrisiko von Medikamentenkombinationen und auch eine Alternativmedikation zu verschaffen. Die diesem Kommentar anhängenden Tabellen zeigen beispielhaft die Bewertung der Kombination von TAH mit verschiedener ART und sind der Interaktionsdatenbank der Pharmakologie der Universität Liverpool (www.hiv-druginteractions.org) entnommen.
Die in der Übersichtsarbeit dargestellten, den Bayerischen Arzneimittelverordnungsdaten für das erste Halbjahr 2020 entnommenen Zahlen belegen, dass TAH tatsächlich eine relevante Komedikation bei PatientInnen unter einer ART darstellen (n = 233, entsprechend 1,7%), eine Komedikation von problematischen TAH mit PI/Booster aber weitgehend vermieden wird (n = 19, entsprechend 8,2%).
Im Falle einer notwendig erachteten, interaktionsträchtigen TAH-PI/Booster-Kombination sind eine engmaschige Kontrolle der PatientInnen, die intensivierte Suche nach ART-Alternativen und eine enge Kooperation mit dem Kardiologen, auch zur Frage einer Alternativ-TAH, anzuraten.
Quellen:
Klinker
H, HIV&more 1/2013
www.HIV-druginteractions.org (5.7.2021)