Richard Kamm, München
Erfahrungen in der Suchtpraxis

Richard Kamm Praxis Concept MünchenRichard Kamm
Praxis Concept München
Kaiserstr. 1 · 80801 München  
Email: richard.kamm.muc@web.de

Seit März 2022 versuchen wir, ukrainische Patienten möglichst unbürokratisch aufzunehmen. Die erste Patientin gelangte tatsächlich an einem Samstag zur Aufnahme, ein Tag der sonst für Aufnahmen nicht vorgesehen ist. Andere ukrainische Patienten begannen wir ebenfalls gegen unseren Standard in der Abendsprechstunde zu substituieren.

Die Patienten gelangen auf unterschiedlichen Wegen zu uns: Teilweise durch Anfragen über den ärztlichen Bereitschaftsdienst, teilweise über befreundete HIV-Schwerpunktpraxen oder über die Städtische Clearingstelle für Suchtkranke.

Sind die Patienten bei uns angekommen wird die Kommunikation zwischen unserem Praxispersonal und den ukrainischen Patienten sowohl über Begleitpersonen, die dolmetschen, als auch über Sprachprogramme der Smartphones – die glücklicherweise erstaunlich gut funktionieren – geführt. Alle Patienten sind im Besitz eines Smartphones.

Zu unserem Aufnahmeprocedere am ersten Tag gehört neben der Urinkontrolle auch eine Laboruntersuchung auf Hepatitis A, Hepatitis B, Hepatitis C, HIV und Lues.

Alle schon substituiert

Bisher waren alle Patienten schon in der Ukraine mit Methadon oder auch mit einem Buprenorphin-Präparat substituiert. So stellten wir die Patienten mit der anamnestisch erhobenen Substanz sukzessive auf die angegebene Wirkdosis ein, nachdem wir uns von der Abhängigkeit mittels Urinkontrolle und ersten Entzugssymptomen vergewissert hatten. Interessanterweise waren alle Patienten kurz nach Aufnahme in unserer Praxis in den Urinkontrollen beigebrauchsfrei.

Nach der „Pflicht“ die „Kür“

Wir konnten sicher davon ausgehen, dass die Substitution für die ukrainischen Patienten über das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)i mittels Behandlungsscheinii übernommen wird.

Welche Behandlungen werden aber noch übernommen?

  1. Therapie von Abszessen und Ulcera
  2. Impfungen, hier vor allem ganz aktuell Covidimpfung
  3. Diagnostik/Therapie der Tuberkuloseiii
  4. Diagnostik/Therapie der HIV-Infektion
    1.  bekannt und auch schon in der Ukraine behandeltiv
    2.  von uns neu festgestellt
  5.  HCV Infektion – bereits bekannt

In der Presse ist zu erfahren, dass die Geflüchteten aus der Ukraine „…nach Asylbewerberleistungsgesetz behandelt werden sollen, aber so großzügig, dass sie GKV Leistungskatalog entsprechend medizinische Leistungen bekommen sollen…“.

Beim zuständigen Amt in München nachgefragt lautet die Antwort dann so:

Leistungen werden gemäß §4 Abs 1 Satz 1 AsylbLG nur zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände gewährt.Ob eine behandlungsbedürftige akute Erkrankung oder ein behandlungsbedürftiger Schmerzzustand vorliegt, wird ausschließlich durch den behandelnden Arzt festgestellt. Die ärztliche Behandlung ist damit auf die Krankheitssymptome auszurichten.

Durch das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit wird der Umfang der Behandlung auf das Wesentliche reduziert. Der Leistungsumfang erstreckt sich daher nur auf die im Einzelfall unbedingt notwendige ärztliche Behandlung, einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln.“

Das klingt nach einem Spagat.

Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG):

  • Behandlung bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen, Schwangerschaft und Geburt
  • Schutzimpfungen
  • Versorgung mit Arzneimitteln
  • Sonstige Leistungen, die zur Genesung beziehungsweise Besserung oder Linderung von Krankheiten und Krankheitsfolgen erforderlich sind oder die Verschlechterung einer bestehenden Krankheit verhindern
  • Leistungen zur Sicherung der Gesundheit, z.B. bei medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen und chronischen Krankheiten

Kostenübernahme

Wie erwartet stellte es gar kein Problem dar für die Patienten einen Behandlungsschein für die Substitution zu bekommen. Ebenso gehört die Versorgung von akuten Erkrankungen wie Abzessen oder Ulcera zum Leistungsspektrum des AsylbLG. Größtes Augenmerk bei den Impfungen legten wir der allgemeinen Lage entsprechend auf die Impfung gegen SARS-CoV-2v. Je nach Bedarf werden wir den Diphtherie-, Tetanus-, Keuchhusten-, Poliomyelitis- und Masernimpfstatus auffrischen.

Bei in der Ukraine bekannt hoher Prävalenz der Tuberkulose raten wir unseren Patienten zu einer Röntgen Thorax Untersuchung. Schwieriger wird da schon die Therapieentscheidung bei HIV.

Bei Patienten die bereits in der Ukraine eine antivirale Therapie erhalten haben, führen wir die Therapie mit den entsprechenden Präparaten fort. Bei nicht vortherapierten Patienten bzw. bei Patienten bei denen wir die HIV-Infektion erstdiagnostiziert haben überprüfen wir zunächst den Immunstatus mittels HIV-Viruslast und Lymphozytentypisierung.

Hepatitis C

Die Behandlung der Hepatitis C stellt einen Graubereich zwischen den beiden Aussagen oben dar. Zunächst haben wir in der Regel keine Vorbefunde, sondern alleine die Anamnese und unsere aktuellen Blutbefunde. Zudem ist die Dringlichkeitseinstufung der Behandlung der Hepatitis C nicht eindeutig.

In einigen Bundesländern (Berlin, Hamburg, Thüringen und andere) besteht neben der Vergabe von Behandlungsscheinen ein einfacheres Verfahren. In Vereinbarung mit den Ländern können die Krankenkassen auftragsweise die Betreuung übernehmen.

Ganz aktuell haben Bund und Länder beschlossen, dass Geflüchtete aus der Ukraine ab dem 1. Juni 2022 staatliche Grundsicherung erhalten, ohne Asylverfahren zu durchlaufen.

Mit anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt erhalten sie dann Leistungen die ungefähr Hartz IV entsprechen und eine umfassende Gesundheitsvorsorge enthalten. Dann könnten wir den neuen Leitlinien entsprechend auch die Hepatitis C behandeln.


i Siehe Kasten 1

ii Asylsuchende bekommen von den zuständigen Kommunen einen Behandlungsschein ausgestellt, mit dem sie eine Arztpraxis aufsuchen können

Über diesen Schein rechnen Ärzte die Leistung nach den Vorgaben des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit ihrer Kassenärztlichen Vereinigung ab

iii Bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft sind Screeninguntersuchungen auf Tuberkulose nach §36 (4) Infektionsschutzgesetz (IfSG)vorgegeben

iv Hier wiederum stellt sich die Frage wie das PEI (Paul Ehrlich Institut) die Information bekommt, dass jetzt ein HiV Infizierter neu in Deutschland lebt

Liegt ein Nachweis über eine Impfung mit einem in der EU zugelassenen Impfstoff vor, wird die Impfung entsprechend der Empfehlung vervollständigt.

v Liegt kein Nachweis vor oder wurde mit einem in der EU nichtzugelassenen Impfstoff geimpft wird eine Grundimmunisierung angestrebt

Ausgabe 2 - 2022Back

Meldungen

Ältere Meldungen weiter

Diese Website bietet aktuelle Informationen zu HIV/Aids sowie zur HIV/HCV-Koinfektion. Im Mittelpunkt stehen HIV-Test, Symptome und Auswirkungen der HIV-Infektion, Behandlung der HIV-Infektion, HIV-Medikamente mit Nebenwirkungen und Komplikationen, Aids, Hepatitis B und C. Ein Verzeichnis der Ärzte mit Schwerpunkt HIV ergänzt das Angebot.