Interview mit Dr. Ulrich Marcus, Robert Koch-institut
Affenpocken – Epidemiologie und Impfung in Deutschland

Dr. Ulrich Marcus, Robert Koch-Institut

Dr. Ulrich Marcus, Robert Koch-Institut
Seit 1983 im Robert Koch-Institut im Bereich HIV und STI tätig.
Die Affenpocken gehören eigentlich zum Fachgebiet 35: Gastrointestinale Infektionen, Zoonosen und tropische Infektionen. Aufgrund der überwiegend sexuellen Transmission in Deutschland arbeiten beide Bereiche eng zusammen.
E-Mail: MarcusU@rki.de

Affenpocken. Der erste Fall in Deutschland Anfang Juni – innerhalb von acht Wochen 2.600 Fälle. Hat Sie das überrascht?

Marcus: Nein, nicht wirklich. Wir haben die Zahlen und die Dynamik in England und anderen Ländern verfolgt, die etwas früher betroffen waren als Deutschland. Bei uns ist die Entwicklung ähnlich und damit nicht wirklich überraschend.

Wie ist die Dynamik an Neuinfektionen?

Marcus:Die Neuinfektionen gehen nicht mehr steil nach oben. Wir sehen ein Plateau, eine gleichbleibende Zahl von Neuinfektionen, wobei sich der regionale Focus etwas verschiebt. Im „Hotspot Berlin“ sind die Zahlen gerade etwas rückläufig, während andere Regionen z.B. Köln und Ruhrgebiet, Nordrhein-Westfalen, aufholen. Betroffen sind hier vor allem die großen Städte mit einem hohen Anteil von MSM.

Welche Bedeutung haben Spreader Events?

Marcus:Events hatten zu Beginn der Ausbreitung eine große Rolle gespielt, man kannte die Gefahr einfach nicht. Mittlerweile ist die Awareness bei den Männern mit den höchsten Risiken groß und die Bedeutung der Events wird kleiner. Die Mehrzahl der Männer verhält sich auch Risiko-bewusst. Man achtet auf Symptome, isoliert sich,
benachrichtigt Partner. Nach dem CSD in Köln haben wir noch einen Ausschlag gesehen, aber nach dem CSD in Berlin bisher noch nicht.

Betroffen sind vor allem MSM, aber auch einige Frauen haben sich infiziert…

Marcus: Jeder kann sich infizieren, das war von Anfang an klar. Die Transmission erfolgt durch engen persönlichen Kontakt und dieser Kontakt muss nicht sexuell sein. Übertragungen im häuslichen Umfeld ohne persönlichen Kontakt haben wir bisher nicht beobachtet, aber ob die Transmission dann beispielsweise durch Küssen oder aufgewirbelte Krusten passiert ist, lässt sich naturgemäß nicht nachvollziehen.

Die Quarantänedauer beträgt aktuell 21 Tage. Wird das so bleiben?

Marcus: Die Selbstisolierung der Erkrankten ist eine wichtige Maßnahme, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Bezüglich der Quarantäneanordnung für Kontaktpersonen stehen wir im ständigen Austausch mit dem Bundesministerium für Gesundheit und der Community und versuchen die Maßnahmen an den Stand der Wissenschaft anzupassen. Mehr kann ich dazu momentan nicht sagen. Eine Reihe von Gesundheitsämtern hat sich entschieden, weniger einschneidende Maßnahmen zu verhängen.

Die Impfung gegen die Affenpocken in Deutschland hat gerade begonnen. Wie ist der Stand?

Marcus:Bisher hat Deutschland etwas mehr als 40.000 Dosen bekommen, wovon ein großer Teil relativ schnell verimpft wurde. Wie dieser Impfstoff verteilt wurde, haben die Gesundheitsminister auf ihrer Länderkonferenz entschieden. Wir sind dazu gefragt worden und haben eine Zuteilung entsprechend Verteilung der MSM, der MSM mit HIV-Infektion, der PrEP-User und der Affenpocken-Fälle vorgeschlagen. Eine größere Lieferung von 200.000 Dosen wird noch im dritten Quartal erwartet.

200.000 Impf-Dosen sollen kommen, die Aids-Hilfe hat 1 Million Dosen gefordert. Wo liegt die Wahrheit?

Marcus:Schwer zu sagen. Die Aids-Hilfe geht von weiteren 500.000 MSM mit Infektionsrisiko in Deutschland aus. Wenn alle zweimal geimpft werden, kommt man auf 1 Million Dosen. Das ist rechnerisch richtig, wenn man jeden MSM impfen möchte. Auch wenn prinzipiell jeder sexuelle Kontakt eine Infektion zur Folge haben kann, ist nicht jeder MSM statistisch gleichermaßen gefährdet. Momentan haben wir erst mal - hoffentlich bald - 200.000 Dosen. Wenn diese Dosen entsprechend der STIKO-Empfehlung an MSM mit HIV, MSM mit hoher Partnerzahl, Prep-User, MSM mit STI im letzten halben Jahr verimpft sind, werden wir sehen, wie sich die Epidemie und die Impfstoff-Nachfrage weiterentwickeln. Wir sollten uns glaube ich darauf vorbereiten, dass mehr Impfstoff bestellt werden muss, und dass die Impfempfehlungen nochmal angepasst werden müssen.

Werden wir die Affenpocken wieder los?

Marcus:Nein, dieses Virus werden wir leider nicht wieder los. Selbst wenn wir es in Deutschland zurückdrängen könnten, kann es jederzeit aus anderen Ländern erneut importiert werden.


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