„Trans und nicht-binäre Menschen machen viele, viele schlechte Erfahrungen“
Chris und Jonas, das RKI hat jede Menge Daten zur sexuellen Gesundheit von trans und nicht-binären Menschen gesammelt. Womit habt ihr euch in der DAH beschäftigt?
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Chris: Wir haben den Blick zum Beispiel darauf geworfen, inwiefern trans und nicht-binäre Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich vulnerabel sind – etwa vor, während oder nach ihrer Transition, vor oder nach ihrem Coming-out. Wir wollten herausfinden, ob solche Prozesse in Bezug auf die allgemeine und speziell die sexuelle Gesundheit eine Rolle spielen, und wenn ja, welche.
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Jonas: Wir haben auch versucht, einen erweiterten Blick auf sexuelle Gesundheit zu werfen. Gibt es zum Beispiel psychosoziale Faktoren, die dazu führen, dass Menschen in sexuellen Situationen weniger auf sich Acht geben – etwa, weil sie sich gegenüber Partner*innen weniger gut durchsetzen können oder sich vulnerabel fühlen?
Welche Fragen kamen in euren Gesprächen auf?
Jonas: Zum Beispiel: Welche Faktoren helfen, sich zu empowern? Was hilft den Leuten, ein gutes Selbstbewusstsein und Verhandlungskompetenz und damit am Ende eine Sexualität zu entwickeln, die ihnen guttut, die sie stärkt und in der sie gut auf sich aufpassen können?
Chris: Wir haben aber nicht nur mit den Leuten gesprochen, sondern auch schriftliche und biografische Methoden eingesetzt – mit einem Fokus darauf, was ihnen in ihrer Entwicklung geholfen hat und was hinderlich war. Da haben wir sehr wertvolle Einblicke bekommen, die sonst so in der Forschung selten auftauchen.
Empfehlungen der Studie „Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys“
Empfehlungen
- mehr Test- und Beratungsangebote speziell für trans und nicht-binäre Menschen – communitynah und mit Profis aus den adressierten Gruppen (Peer-to-Peer-Beratung)
- spezielle Angebote
- in breiter aufgestellten Einrichtungen, etwa Testtage für trans und nicht-binäre Menschen
- Informationsmaterial zu sexueller Gesundheit, das die Bedürfnisse von trans und nicht-binären Menschen abbildet
- Informationsmaterial für Fachpersonal in Beratungs- und Teststellen sowie medizinischen Einrichtungen
- Berücksichtigung des Themas in der Ausbildung/bei Fortbildungen für medizinisches und beraterisches Personal
- Akzeptanz und Abbildung der real existierenden geschlechtlichen Vielfalt in medizinischen Strukturen und Verfahren (z.B. Anamnese-/Meldebögen, Studien)
- Qualitätssiegel für Einrichtungen mit Kompetenz in diesem Bereich
- Angebote für Selbsterfahrung, Körperarbeit und Selbsthilfe, um Scham ab- und Selbstbewusstsein aufzubauen
- Förderung von Angeboten aus den Communitys für die Communitys.
Link
zur Broschüre
https://www.aidshilfe.de/shop/pdf/13032
Link
zum Forschungsbericht
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Studien/TASG-Ergebnisse.html
Sind neue Ergebnisse herausgekommen, die spezifisch für Deutschland sind?
Jonas: Die psychischen Belastungen sind auf unterschiedlichen Kontinenten ähnlich. Speziell für Deutschland haben wir festgestellt, dass trans und nicht-binäre Menschen in ihrer geschlechtlichen Identität viel zu oft nicht wahrgenommen oder nicht anerkannt werden.
Chris: Auf trans und nicht-binäre Menschen sind weder Mediziner*innen noch Berater*innen ausreichend vorbereitet. Sie fühlen sich im Medizinsystem deswegen oft nicht willkommen und gesehen, sondern gefährdet.
Welche Momente oder Geschichten haben euch besonders bewegt?
Chris: Am meisten erschüttert haben mich die Berichte von sexualisierter Gewalt, die so gehäuft auftraten, und wie lange Menschen mit den Folgen kämpfen. Das kann für die Biografien der Betroffenen sehr einschneidend sein, und diese Erfahrungen müssen in der Arbeit mit trans und nicht-binären Personen berücksichtigt werden. Positiv dagegen wird mir die Vernetzung unter den Teilnehmer*innen in Erinnerung bleiben. Viele haben unsere Forschungsveranstaltungen als einen Rahmen für Empowerment gesehen und haben teilgenommen, weil sie sich über ihre sexuelle Gesundheit austauschen wollten.
Jonas: Bei einer unserer letzten Tagesveranstaltungen haben sich die Teilnehmer*innen entschieden, trotz begrenzter Zeit einfach weiterzudiskutieren. Sie wollten gehört werden, zu dieser Forschung beitragen, damit sich an ihrer Lebensrealität und ihrer Gesundheitsversorgung endlich etwas ändert. Dieses Selbstbewusstsein fand ich beeindruckend und cool.
Das Forschungsprojekt ist abgeschlossen. Wie geht es nun weiter?
Chris: Wir haben gerade einen
Forschungsbericht und eine Broschüre mit den grundlegenden Daten und
Ergebnissen veröffentlicht. Zusätzlich haben wir 33
Empfehlungen formuliert, die sich an unterschiedliche
Bereiche
wenden: von der Gesamtgesellschaft bis zu den Beratungs- und
Test-Angeboten, darunter auch die Aidshilfen. Jetzt gilt es, diese
Empfehlungen zu verankern und umzusetzen.
Jonas: Wir brauchen flächendeckende Grundlagenschulungen für das Personal im öffentlichen Gesundheitswesen und in den Aidshilfen. Wir brauchen mehr von diesen Leuchtturmprojekten und wir müssen viel stärker darauf hinarbeiten, dass sie ein sicherer und diskriminierungsarmer Raum werden.
Chris: Es gibt auch keine gut recherchierten und fundierten Info-Materialien zur sexuellen Gesundheit von trans und nicht-binären Personen in Deutschland, diese Lücke muss geschlossen werden!
Jonas: Außerdem sind fundamentale Fragen nicht hinreichend aufbereitet.
Peer-to-Peer-Beratung©Illustration von Tomka Weiß
Zum Beispiel?
Jonas: Bei der HIV-PrEP arbeiten wir immer nur mit Ableitungen, weil es keine spezifischen Studien in Bezug auf die Wirksamkeit in den Genitalschleimhäuten nach medizinischer Transition gibt. Die wird es vermutlich auch nie geben, weil die Genitalien zu unterschiedlich beschaffen sind. Da gibt es viele Fragen, zu denen man die Antworten vielleicht sogar schon zusammentragen könnte, aber das hat bisher halt niemand getan.
Wie geht es innerhalb der Aids-hilfen weiter?
Chris: In einem Anschluss-Projekt im Rahmen der Selbsthilfe geht es nun darum, Peer-to-Peer- und Train-the-Trainer-Module zu entwickeln. Selbstorganisierte Empowerment-Formate und Community-Angebote stärken trans und nicht-binäre Menschen in ihrer sexuellen Gesundheit nämlich am meisten, zum Beispiel der Austausch zu Themen rund um Körper, Sexualität, Dating und Verhandlungskompetenz.