HIV Prävention: PrEP & Mikrobizide - der Hype geht weiter.
Die Reihe von Vorträgen zu Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP, von manchen auch augenzwinkernd als Popp-ART bezeichnet) begann mit den Ergebnissen der Partners PrEP-Studie. 4758 serodiskordante heterosexuelle Paare, bei denen der HIV-positive Partner bzw. die Partnerin noch keine antiretrovirale Therapie benötigte, wurden auf drei Gruppen randomisiert, die entweder Placebo, Tenofovir (TDF, Viread®) oder Tenofovir und Emtricitabine (TDF/FTC, Truvada®) erhielten. Die geplante Nachbeobachtungszeit betrug drei Jahre, im Median waren es 23 Monate was insgesamt 7830 Personenjahre Nachbeobachtung ergab. Die Adhärenz (gemessen an der Zahl der ausgegebenen Pillen) war mit 96% sehr hoch und in den drei Gruppen vergleichbar. Im Laufe der Nachbeobachtung wurden rund 20% der HIV-positiven Partner behandlungsbedürftig und erhielten eine leitliniengerechte Therapie. Insgesamt wurden 96 neue positive Testergebnisse gefunden. Davon stellten sich aber 14 als bereits zum Zeitpunkt der Randomisierung infiziert aber noch seronegativ heraus. Von den verbleibenden 82 Infektionen ereigneten sich 17 im TDF-Arm, 13 im Arm, der TDF/FTC erhielt und 52 in der Placebo-Gruppe. Dies ergibt eine statistisch hochsignifikante Risikoreduktion im Vergleich zu Placebo von 67% für TDF bzw. 75% für TDF/FTC. Der Unterschied zwischen diesen beiden war nicht signifikant. Eine Risikoreduktion ergab sich für alle vordefinierten Subgruppen (Geschlecht, Alter, Ungeschützter Sex, Herkunftsland, Beschneidungsstatus, Viruslast bzw. CD4-Zellzahl des infizierten Partners). Die Rate der Nebenwirkungen (sowohl klinische als auch Laborwerte) waren in allen drei Gruppen sehr ähnlich ohne statistisch signifikante Unterschiede. Einzig die Müdigkeit im ersten Monat war unter TDF und TDF/FTC ausgeprägter als unter Placebo. Aufgrund dieser Auswertung wurde der Placebo-Arm beendet und die Patienten neu randomisiert (auf TDF bzw. TDF/FTC). Die Studie läuft weiter bis Ende 2012. Zwei von acht Personen, die bereits eine frische HIV-Infektion hatten, als sie mit der PrEP begannen, entwickelten Resistenzmutationen: Eine K65R und eine M184V Mutation wurden gefunden. Zusätzlich fand man bei vier Patienten NNRTI-Resistenzmutationen, die aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht durch die Studienmedikation hervorgerufen wurden, sondern übertragene Resistenzen darstellen. Eine desinhibitorische Veränderung des Sexualverhaltens wurde nicht festgestellt. Im Gegenteil: Zu Beginn der Studie berichteten 27% der Paare über ungeschützten Verkehr im vergangenen Monat. Dieser Anteil nahm während der Studie kontinuierlich ab (bis auf knapp 10%) und war in allen drei Armen ähnlich hoch.
Die nächste Präsentation befasste sich mit dem Zusammenhang zwischen Schutz vor einer HIV-Infektion und Plasma-Spiegeln von TDF in der Partners-PrEP-Studie. Aus der iPrEX-Studie wusste man, dass 9% der Patienten, die sich infizierten und 51% der negativen Kontrollen nachweisbare TDF-Spiegel hatten, was einer Risikoreduktion von 92% bei nachweisbaren Spiegeln entspricht (hierbei wurde eine Nachweisgrenze von 10ng/ml zu Grunde gelegt). Zum Vergleich: Bei täglicher Einnahme von TDF unter kontrollierten Bedingungen (DOT), haben 97,5% der Probanden Spiegel von mehr als 40ng/ml).
Um den Zusammenhang zwischen Plasma-Spiegeln und Schutzwirkung genauer zu charakterisieren, wurden 30 Serokonverter sowie 200 zufällig ausgewählte Probanden aus der Partners-PreP-Studie regelmäßig auf die Höhe der TDF-Spiegel untersucht. Nach einer Einmalgabe von TDF ist dieses 9-10 Tage im Blut nachweisbar. Bei 82% der Proben von nichtinfizierten Probanden fanden sich nachweisbare Spiegel, bei den Serokonvertern hingegen nur in 31% der Fälle (TDF-Arm) bzw. 25% (TDF/FTC-Arm). Dies entspricht einer Risikoreduktion bei nachweisbaren Spiegeln von 86% bzw. 90% in den beiden Armen. Bei der Quantifizierung zeigte sich, dass wenn Spiegel messbar sind, diese in den meisten Fällen hoch waren (>= 40ng/ml). Mit anderen Worten: Die Probanden nahmen ihre PrEP entweder sehr zuverlässig oder gar nicht. Eine „mittlere“ Adhärenz fand man nur bei 6-10% der Probanden.
Eine weitere Analyse benutzte Daten aus iPrEx sowie STRAND (eine Untersuchung der Plasmaspiegel bei überwachter Einnahme von TDF zweimal, viermal bzw. siebenmal pro Woche) um die Einnahmehäufigkeit abzuschätzen. Dabei ließen die Plasma-Spiegel der Serokonverter auf eine Einnahme von weniger als zwei Tabletten TDF pro Woche schließen. Selbst in der Gruppe der Nichtinfizierten hatten nur 18% Spiegel, die mit einer täglichen Einnahme vereinbar waren. Dennoch betrug die Wirksamkeit der Prophylaxe in dieser Studie 42%. Aus den Daten der beiden Studien errechnete man eine Wirksamkeit bei zweimal wöchentlicher Einnahme von TDF von 76%, bei viermal wöchentlich 96% und bei täglicher Einnahme von 99%.
Die Fem-PrEP-Studie (2120 afrikanische Frauen, randomisiert auf TDF/FTC oder Placebo) fand große Beachtung, weil sie wegen mangelnder Wirksamkeit abgebrochen wurde. Da dieses Ergebnis im Gegensatz zu anderen Studien steht, wurden die Gründe besonders sorgfältig analysiert. Vermutlich gab es mehrere Umstände, die zu diesem Resultat führten:
- Studienmedikation war eine Zeit lang nicht verfügbar
- Patientinnen berichteten über eine Adhärenz von mindestens 95%, nachweisbare TDF-Spiegel fand man aber nur bei 15-38% der Studienbesuche.
- trotz oraler Kontrazeptionsmaßnahmen wurden in der TDF/FTC-Gruppe mehr Frauen schwanger als im Placebo-Arm, was auf Probleme mit der täglichen Einnahme von Tabletten schließen lässt.
Insgesamt war es vermutlich eine Kombination aus organisatorischen und individuellen Faktoren, die diese Studie scheitern ließ, damit stellt sich aber die berechtigte Frage nach der Machbarkeit einer PrEP in einem realen Setting außerhalb von Studien.
Diese Frage muss man sich auch hinsichtlich der Befunde der Resistenzanalysen stellen, die sich recht kurz zusammenfassen lassen: Wenn Resistenzen gefunden wurden, dann waren sie entweder übertragene Resistenzen oder die Patienten waren bei Beginn der PrEP bereits infiziert aber noch nicht serokonvertiert, so dass die verwendeten Tests nicht anschlugen. Geht man davon aus, dass die PrEP vor allem für Menschen mit hohem Infektionsrisiko gedacht ist, würde dieser Fall bei einer breiten Anwendung vermutlich ziemlich häufig auftreten und es wäre mit einem starken Anstieg von Resistenzen gegen die verwendeten Substanzen zu rechnen.
Alle bisherigen Studien zu Mikrobiziden untersuchten die vaginale Applikation. Dies vernachlässigt aber, dass auch bei Heterosexuellen Analverkehr vergleichsweise häufig ist (in einer afrikanischen Studie berichteten etwa 30% über ungeschützten Analverkehr im vergangenen Jahr). Das Mikrobizidgel mit 1% TDF, das in CAPRISA verwendet wurde, ist stark hyperosmolar und führt zu Beschwerden, wenn es rektal angewendet wird. Deshalb wurde eine Formulierung mit niedrigerer Osmolarität entwickelt und in einer Studie gegen ein Placebo-Gel sowie gegen ein Gel mit 2% Nonoxynol-9 verglichen. Die neue Formulierung wurde deutlich besser vertragen, allerdings zeigte sich eine stark veränderte Genexpression im Enddarm. Ob dies klinisch von Bedeutung ist, muss weiter untersucht werden. Hier stellt sich insgesamt die Frage, inwieweit die verwendeten Gleitmittel auf Wasser-, Silikon-, oder Fettbasis das Infektionsrisiko beeinflussen. Hierzu gibt es noch viel zu wenige Untersuchungen.
Schließlich wurde noch über eine neue Substanz bzw. Formulierung zur PrEP berichtet: Der NNRTI Rilpivirine (oral bereits als Edurant® verfügbar) als injizierbare Nanosuspension. Bei Frauen waren die erreichten Konzentrationen in der Vaginalflüssigkeit gleich oder höher als im Blut während die Konzentrationen im Analsekret bei Männern mit denen im Blut einhergingen. Auf der Basis dieser Daten soll die Formulierung weiterentwickelt werden.
In einer Podiumsrunde wurden die bisherigen Daten zur PrEP kritisch erörtert. Bis heute haben vier klinische Studien mit teilweise sehr unterschiedlichem Setting eine Wirksamkeit der PrEP von 39 bis 75% ergeben, während zwei Studien keine Wirksamkeit zeigen konnten. Dafür sind statistische, biologische und verhaltensassoziierte Gründe denkbar. Bei sorgfältiger Planung der Studien (wovon man ausgeht...) sind statistische Gründe vernachlässigbar. Zu den möglichen biologischen Gründen zählen unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen im rektalen bzw. vaginalen Gewebe, Infektionen / Inflammationen des Genitaltrakts, Einfluss der hormonalen Empfängnisverhütung, Viruslast des Partners usw. Der wichtigste Faktor dürften aber die Probanden selbst sein. Die Adhärenz hinsichtlich der Anwendung der PrEP aber auch der Studienvisits beeinflusst das Ergebnis der Studien entscheidend. Auch die Auswahl der Studienpopulation ist wesentlich, so sind z.B. diskordante Paare eine spezielle Gruppe hinsichtlich der Stabilität der Beziehung und der biologischen Selektion, da ja bisher noch keine Übertragung stattfand. Es gilt also auch hier, noch weitere Forschung zu betreiben.
In zwei Ausblicken ging es um intermittierende PrEP und um zukünftige Entwicklungen.
Mit Ausnahme von CAPRISA wurde bisher in klinischen Studien nur die kontinuierliche PrEP, also die tägliche Anwendung / Einnahme antiviraler Substanzen, untersucht. Es ist aber auch denkbar, die PrEP nur um den Zeitpunkt des Sexualkontakts anzuwenden, in regelmäßigen aber längeren Abständen oder als Kombination dieser beiden Varianten, z.B. wöchentliche Einnahme und zusätzlich eine Dosis nach dem Sex.
Unbestreitbar ist die intermittierende PrEP billiger als die kontinuierliche. Aber was Verträglichkeit, Adhärenz und Resistenzrisiko anbelangt, ist die intermittierende PrEP möglicherweise problematisch.
Wichtig ist, dass vor Aufnahme einer PrEP eine bestehende HIV-Infektion ausgeschlossen wird. Nach allem, was man bisher weiß, brauchen PrEP-Maßnahmen eine gewisse „Vorlaufzeit“, damit ausreichende Gewebespiegel erreicht werden und auch eine „Dosis danach“, damit diese Spiegel auch lange genug aufrecht erhalten werden. Da aber viele Sexualkontakte nicht geplant erfolgen, erschweren diese Bedingungen eine episodische PrEP.
Insgesamt werden die ungelösten Probleme der PrEP durch die intermittierende Anwendung nicht weniger, im Gegenteil, es wird noch wichtiger, die Anwender gründlich zu informieren und zu trainieren.