Von Siegfried Schwarze
Neue HIV-Medikamente

Atlanta, 4. 3. 2013

Die Retrovirus Conference ist immer auch eine Veranstaltung für Grundlagenforscher. Entsprechend detailverliebt und technisch sind auch viele Vorträge (d.h. für den Rest der Zuhörer praktisch unverständlich). Einige Vorträge sind dennoch immer gut besucht, vor allem, wenn es um neue Substanzen geht. So auch diesmal, doch die Zahl der echten Neuigkeiten hielt sich wieder mal in Grenzen.

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Comparative Study of Tenofovir Alafenamide vs Tenofovir Disoproxil Fumarate

Tenofovir Alafenamid (TAF) – das bessere Tenofovir?

TAF ist ein anderes Prodrug des Tenofovirs als das momentan erhältliche Tenofovir Disoproxilfumarat (TDF) , das gegenüber der Muttersubstanz einige Verbesserungen aufweist:

  • Die intrazellulären Spiegel sind etwa 7fach höher als beim Tenofovir
  • Die Plasmaspiegel sind gleichzeitig etwa 90% geringer.

Daraus resultiert eine etwa gleiche klinische Wirksamkeit bei einem Zehntel der Dosis. Gleichzeitig werden deutlich niedrigere Spiegel in Niere und Knochen erwartet, was die Toxizität verringern sollte. Wenn TAF in einer Fixkombination mit Cobicistat gegeben wird, sind nochmals niedrigere Dosierungen (lediglich 10mg) erforderlich, das Cobicistat eine Boosterwirkung auf TAF hat.

In einer Phase 2-Studie wurde die Fixkombination aus Elvitegravir, Cobicistat, Tenofovir und Emtricitabine gegen die gleiche Kombination mit TAF statt Tenofovir geprüft. 100 bzw. 50 Patienten wurden randomisiert den beiden Armen zugeteilt. Nach 24 Wochen hatten 89,7% (TDF) bzw.86,6% eine Viruslast von weniger als 50 Kopien/ml. Die Verträglichkeit war in beiden Armen vergleichbar. Interessanterweise scheinen sowohl das HDL- als auch das LDL-Cholesterin unter TAF etwas stärker anzusteigen als unter TDF. Das Serumkreatinin stieg unter TAF um 0,07mg/dl an, unter TDF um 0,12. Auch die Knochendichte fiel unter TAF etwas weniger ab als unter TDF.

Die Ergebnisse rechtfertigen eine weitere Entwicklung von TAF im Rahmen von Phase 3-Studien. Wenn alles nach Plan geht, dürfte die neue Substanz also ungefähr zu dem Zeitpunkt auf den Markt kommen, zu dem TDF seinen Patentschutz verliert.

MK-1439: Ein NNRTI der nächsten Generation?

Alle bisherigen NNRTI plagt eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Kreuzresistenz. Es besteht also ein Bedarf an Substanzen, die auch bei NNRTI-Resistenzen noch wirken. MK-1439 wurde mit dem Ziel entwickelt, auch bei Vorliegen der am häufigsten übertragenen NNRTI Mutationen (K103N, Y181C, G190A) noch wirksam zu sein. Die Substanz wird über CYP3A4/5 metabolisiert, ist aber selbst kein nennenswerter Inhibitor oder Induktor dieses Enzymsystems. Bisher wurden Einzeldosen bis 1200 mg und multiple Dosierungen bis 750mg einmal täglich untersucht. Die Halbwertszeit liegt im Bereich von 11-16 Sutnden, der Steady State wird nach etwa sieben Tagen erreicht. Selbst eine Dosierung von nur 12mg ergibt Talspiegel, die noch über der IC95 von Wildtypviren liegen. In Phase 1-Studien an gesunden Probanden zeigte die Substanz ein gutes Verträglichkeitsprofil: Keine signifikanten Veränderungen des Blutbilds, des Urins und des EKGs. Es wurden weder ZNS-Symptome, noch Hautausschläge bemerkt – Nebenwirkungen, die bei anderen NNRTI relativ häufig auftreten. In einer Phase 1b-Studie an HIV-Infizierten wurde die Substanz als Monotherapie über sieben Tage gegeben, dabei wurde ein Viruslastsenkung von 1,37 log bei einer Dosis von 25mg/Tag beobachtet und von 1,26 log bei 200mg/Tag. Anschließend erhielten die Patienten eine suppressive Dreifachkombination. In der folgenden Phase 2-Studie werden Dosierungen zwischen 25 und 200mg/Tag untersucht werden. Wenn die weiteren Studien erfolgreich verlaufen, stünde erstmals ein NNRTI zur Verfügung, der auch bei Vorliegen primärer NNRTI-Mutationen noch eingesetzt werden könnte.

LEDGIN – die Integrasehemmer mit Nachbrenner?

Ein Vortrag, der eher dem Grundlagenbereich zuzuordnen war, befasste sich mit einer Klasse von Integrasehemmern, die einen anderen Wirkmechanismus aufweisen als die bisher eingesetzen Strangtransferhemmer (Integrase strand transfer inhibitors, kurz InSTI). LEDGF/p75 ist ein Kofaktor der viralen Integrase, der die Bindung an die zelluläre DNA vermittelt. LEDGINs binden an die LEDGF/p75 Bindungsstelle der Integrase und blockieren somit deren Wirkung. Interessanterweise hat diese Substanzklasse aber noch eine zweite Wirkung: Im Gegensatz zu den bisherigen Integrasehemmern werden diese zusammen mit der Integrase in neue Virionen eingebaut und blockieren auch die Infektiosität der neu gebildeten Partikel, ganz ähnlich , wie dies auch Proteasehemmer tun. Vermutlich führen sie zu einer Dimerisierung der Integrase so dass diese ihre Funktion nicht mehr erfüllen kann. LEDGINs haben somit eine „frühe“ und „späte“ Wirkung. Außerdem wirken sie additiv zu den bisherigen Integrasehemmern, da sie an einer anderen Stelle der Integrase binden. Über konkrete Substanzen wurde noch nicht gesprochen, doch der Wirkmechanismus hört sich schon mal sehr viel versprechend an. Diese Substanzen könnten nicht nur in der Behandlung, sondern auch in der Prävention einen hohen Stellenwert bekommen.

Bevirimat ist tot, es lebe Bevirimat (bzw. dessen Derivate)

Bevirimat ist ein sogenannter „Maturationshemmer“, der schon jahrelang durch die Kongresse geistert. Es hemmt den letzten Schritt der Virusreifung, die proteolytische Abspaltung des Capsid-Proteins aus dem gag-Vorläufer. Also ein ähnlicher Wirkmechanismus wie bei den Proteasehemmern. Die Substanz hat sehr gute Eigenschaften und ist wohl auch exzellent verträglich. Das Problem ist, dass etwa die Hälfte der Wildtypviren einen Polymorphismus aufweisen, die diese Substanz unwirksam machen. Daraufhin hat der Hersteller etwa 500 chemische Abwandlungen der Substanz synthetisiert und sie auf die Wirkung gegen Viren mit unterschiedlichen Polymorphismen getestet. Dabei wurden Substanzen gefunden, die einerseits das günstige Profil der Muttersubstanz haben, andererseits aber auch gegen die Viren mit Polymorphismus wirksam sind. Nun wird daran gearbeitet, diese Varianten noch weiter zu optimieren um schließlich Kandidaten für die klinischen Prüfungen zu haben. Da der Polymorphismus, der die Wirkung von Bevirimat aufhebt, aus der Veränderung nur einer einzigen Aminosäure beruht, bleibt abzuwarten, wie hoch die Resistenzbarriere dieser Substanzklasse sein wird.

Cenicriviroc – zweifach gehemmt = doppelt gut?

Offenbar gibt es unter den Firmen einen geheimen Wettbewerb Substanzen mit immer unaussprechlicheren Namen zu entwickeln. Cenicriviroc ist in dieser Hinsicht ein Highlight. Davon abgesehen bindet es – ähnlich wie Maraviroc – an den CCR5-Rezeptor, blockiert aber zusätzlich noch den CCR2-Rezeptor. Dieser bindet MCP-1, das „Monocyte Chemoattractant Protein 1“, das bei Entzündungsreaktionen wie z.B. der Rheumatoiden Arthritis eine Rolle spielt. Durch dieses doppelte Wirkprinzip erhofft man sich zum einen eine Hemmung CCR5-troper Viren, zum anderen aber auch eine Verringerung der durch HIV hervorgerufenen, chronischen Entzündungsreaktion. Cenicriviroc hat eine lange Halbwertszeit von 30-40 Stunden, was eine einmal tägliche Dosierung ermöglicht, wird über CYP3A4 und CYP2C8 verstoffwechselt ohne selbst Induktor oder Inhibitor zu sein und wirkt synergistisch mit allen anderen antiretroviralen Substanzklassen.

In einer Phase 2b-Studie wurde es in Kombination mit FTC/TDF (Truvada®) gegen die Kombination aus Truvada® und Efavirenz (Sustiva®) geprüft. Da Cenicriviroc mit einer Mahlzeit eingenommen werden muss, ergab sich für die Studienteilnehmer ein etwas komplexes Einnahmeschema: Cenicriviroc (oder das entsprechende Plazebo) zum Frühstück, Sustiva® (bzw. Plazebo)vor dem Schlafengehen und Truvada® wann immer sie wollten. Nach 24 Wochen hatten war der Anteil der Patienten mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze wie folgt:

  • Cenicriviroc 100mg: 76%
  • Cencriviroc 200mg: 73%
  • Efavirenz 600mg: 71%

Allerdings gab es unter Efavirenz nur 4% virologische Non-Responder im Vergleich zu 12% und 14% in den beiden Cenicriviroc-Gruppen. Das bessere Abschneiden ist also darauf zurückzuführen, dass die Substanz besser verträglich ist als Efavirenz. Dass die Ansprechraten insgesamt niedriger ausfielen als man erwartet hatte, lag vermutlich an dem anspruchsvollen Einnahmeschema.

Der Anstieg der CD4-Zellzahl war unter Cenicriviroc etwas ausgeprägter (+147 bzw. +170 zellen/µl) als unter Efavirenz (+135/µl) – diese Unterschiede sind aber wegen der geringen Patientenzahlen mit Vorsicht zu interpretieren. Hinsichtlich der Nebenwirkungen fiel unter der 200mg Dosierung von Cenicriviroc eine CPK-Erhöhung auf. Die Lipide entwickelten sich günstiger als unter EFV. Wie für einen CCR2-Hemmer zu erwarten, stieg unter Cenicriviroc das MCP-1 im Plasma an, während das sCD14, das in Studien wie SMART als unabhängiger Prädiktor für Mortalität gefunden wurde, nahm unter Cenicriviroc ab. Inwieweit sich diese Effekte in einen klinischen Vorteil für die Patienten übersetzen lassen, sollen Phase 3-Studien zeigen.

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