Abacavir und Myokardinfarkt
In einer Studie der Arbeitsgruppe um Patrick Mallon, Dublin, wurden 61 Patienten vom ABC/3TC entweder weiterbehandelt oder auf F/TAF umgestellt. Die dritte Substanz bleib unverändert. Die Thrombozytenfunktion und zwar die Plättchenaggregations-Reaktivität auf steigende Konzentration verschiedener aktivierender Substanzen wurde in einer Substudie nach 4 und 12 Wochen ausgewertet. Es fand sich nach Switch auf TAF eine geringere Reaktivität der Plättchen auf zwei aktivierende Substanzen (TRAP und ADP) sowie eine höhere Expression von Glykoprotein VI. Die Autoren schließen daraus, dass ABC die Neigung zur Thrombozytenaggregation erhöht.
Eine englische Arbeitsgruppe fand in vitro einen stärkeren prothrombotischen Effekt von Abacavir als von TAF und eine spanische Arbeitsgruppe fand im Tiermodell, dass der prothrombotische Effekt von Abacavir von der Anwesenheit von Leukozyten abhängig ist.
In einem mathematischen Modell der amerikanischen Arbeitsgruppe um Pricilla Hsue, San Fransisco, wurde der Effekt verschiedener Strategien zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos von HIV-Patienten berechnet. Der Switch weg ABC führte zu einer Reduktion des kardiovaskulären Risikos vergleichbar mit einem Rauch-Stopp.
Kommentar Dr. Ramona Pauli
Vor 10 Jahren wurde erstmals ein erhöhtes Herzinfarktrisiko unter Abacavir beschrieben. Seither gab es zahlreiche Arbeiten zu diesem Thema mit widersprüchlichen Ergebnissen. Die neuen Daten deuten in eine Richtung, sind aber sicherlich nicht als finaler Beweis für Abacavir als klinisch relevanter, unabhängiger Risikofaktor für Herzinfarkte zu bewerten. Erschwert wird die Beurteilung auch durch den Umstand, dass einige der Arbeiten finanziell von Gilead Sciences unterstützt wurden und der Zeitpunkt der Präsentation fast mit dem Zeitpunkt der Einführung von Bictegravir/F/TAF in den USA zusammen fällt.
Was ist die Konsequenz für die Praxis? Der/die Arzt/Ärztin ist hier in der Zwickmühle. Die wissenschaftliche Beweislage ist nicht schlüssig und in die Diskussion/Studienlage fließen nicht überschaubare Marketing-Interessen von beiden Seiten ein. Eine Patentlösung gibt es daher nicht, die Entscheidung für oder gegen Abacavir bleibt im Bereich des Glaubens angesiedelt.