STD-SENTINEL
Lymphogranuloma venereum Häufigkeit nimmt zu

Ein weiteres Ergebnis des bundesweiten Sentinel-Systems zu STDs: Die sexuell übertragbare Infektion Lymphogranuloma venereum (LGV) , die durch Chlamydia trachomatis (Serovar L1-L3) verursacht wird, nimmt in Deutschland unter HIV-infizierten Männern zu. Unklar ist noch, ob eventuell eine in HIV-Schwerpunktpraxen weiter verbreitete Chlamydien-Diagnostik die höhere Inzidenz unter HIV-positiven Männern erklären könnte.


Abb. 3: Uceration am Penisstamm

LGV verläuft in drei Stadien. Die Primärläsion besteht aus einer in der Regel schmerzlosen Papel am Eintrittsort des Erregers. Je nach Lokalisation der Primärläsion kann eine unspezifische Urethritis oder Zervizitis oder eine Proktitis mit analem Juckreiz entstehen. Im weiteren Verlauf kommt es zur Schwellung von inguinalen, perirektalen oder paraaortalen Lymphknoten. Die Lymphknoten können eitrig einschmelzen (Bubonen) und neigen dann zur Fistelbildung mit der Gefahr der Ruptur1, 2. Ein anorektaler Befall manifestiert sich durch anorektale Schmerzen und Brennen, analen Ausfluss, Blut und Eiterauflagen auf dem Stuhl, Tenesmen, abwechselnd Durchfall und Obstipation, sowie Unterbauchschmerzen3. Es können sich eine hämorrhagische Proktitis oder Proktokolitis, ähnlich anderen entzündlichen Enddarmerkrankungen wie z.B. Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa4, entwickeln. Im letzten Stadium der Erkrankung kann es durch Entzündung und Vernarbung der Lymphbahnen zu Lymphstauungen kommen. Bei anorektalem Befall sind Fisteln, perirektale Abszesse, Strikturen und Pseudotumoren, sowie chronische Obstruktionen der Lymphkapillaren häufige Komplikationen5. Bei einer zugleich bestehenden HIV-Infektion sind untypische und schwerere Verläufe möglich.

SEIT 2003 VERMEHRT IN EUROPA

LGV ist vor allem in Afrika, Asien und Südamerika verbreitet1, 6, 7 und tritt in Deutschland und anderen Industriestaaten sporadisch auf. Im Jahre 2003 wurden in den Niederlanden LGV-Erkrankungen bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), beobachtet8. In den Jahren 2004-5 folgten Berichte von Erkrankungen unter MSM aus Frankreich, Belgien und Großbritannien9-11. Auch in Deutschland werden seit 2003 vermehrt LGV-Erkrankungen bei MSM festgestellt12-14. Auffällig ist bei diesem Ausbruch, dass rektale Symptome im Vordergrund standen. Im Folgenden soll ein Update der Situation in Deutschland gegeben werden.

ERFASSUNG MIT STD-SENTINEL

Mögliche und Verdachtsfälle sowie gesicherte LGV-Erkrankungen wurden durch das STD-Sentinel und untersuchende Labore erfasst. Folgende Falldefinitionen wurden benutzt: Eine mögliche LGV-Erkrankung lag vor, wenn rektale Symptome wie eine Proktitis oder eine inguinale Lymphknotenschwellung vorlagen und die serologische Untersuchung auf Chlamydia trachomatis (CT) positiv war. Ein Verdacht auf LGV lag bei Symptomen und einem CT-Nachweis mittels PCR vor. Gesichert war eine LGV-Erkrankung bei dem Nachweis des Genotyps L1-L3 im Abstrichmaterial.

Die Labordiagnostik von LGV wurde durch eine DNA-Amplifizierung von Abstrichmaterial aus Läsionen oder Lymphknotenaspiraten durch PCR (Cobas TaqMan CT, Roche, Mannheim) oder SDA (ProbeTec ET, Becton-Dickinson, MD) durchgeführt. Chlamydia trachomatis Genotypen wurden durch eine Sequenzanalyse der variablen omp1-gene Region (VS1, VS2, and VS4) identifiziert und durch PCR amplifiziert.

ZUNAHME IN DEUTSCHLAND

Zwischen Juli 2002 und März 2007 wurden insgesamt 176 Erkrankungen bekannt. Bis auf eine Ausnahme waren alle Erkrankten Männer. Davon waren 88% gesicherte (Genotyp L2), 10 Verdachts- und 11 mögliche LGV-Fälle. Die mittlere Anzahl der diagnostizierten LGV-Erkrankungen stieg von durchschnittlich 2,2 pro Monat im Jahre 2004 auf 4,7 in 2005 und 6,5 in 2006; 2007 wurden bisher 10 Erkrankungen diagnostiziert (Abb. 1).


Abb. 1: Anzahl der möglichen, Verdachts- und gesicherten LGV- Erkrankungen nach Diagnosemonat, Deutschland, Juli 2002 - März 2007, n=176

LGV wurde in 9 Bundesländern diagnostiziert, davon 50% der Erkrankungen in Hamburg, 21% in Berlin und 14% in München. Bei 77% sind rektale Abstriche vorgenommen worden, vermutlich aufgrund einer rektalen Beschwerdesymptomatik. Die Patienten waren bei Diagnosestellung durchschnittlich 39 Jahre alt (Abb. 2).


Abb. 2: Altersverteilung der möglichen, Verdachts- und gesicher- ten LGV-Erkrankungen, Deutschland, Juli 2002-März 2007, n=170

Bei 81 (46%) der Erkrankungen war bekannt, dass es sich um MSM handelt. 124 (70%) der Erkrankungen wurden aus HIV-Schwerpunktpraxen bekannt. 104 (59%) Erkrankte waren zum Zeitpunkt der LGV-Diagnose bereits als HIV-positiv bekannt gewesen, bei 38% war der HIV-Status unbekannt und bei fünf Erkrankten wurde ein negativer HIV-Status angegeben.

ANSTIEG WEGEN MEHR DIAGNOSTIK?

Prof. Dr. Straube Konsiliarlabor für Chlamydien Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Medizinische Mikro- biologie, Semmelweisstr. 4, 07740 Jena Tel.: +49 (0) 3641 - 93 31 06
Herr Dr. Meyer Labor Arndt und Partner Lademannbogen 61, 22339 Hamburg Tel.: +49 (0) 40 - 53 80 50
PD Dr. rer. nat.
Birgit Henrich
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene Universitätsstraße 1, 40225 Düsseldorf Tel.: +49 (0) 211- 8 11 52 06
Tab. 1: Liste der Labore, die eine LGV-Diagnostik durchführen

Die Anzahl der diagnostizierten LGV-Erkrankungen in Deutschland steigt weiter. Es ist unklar, ob dies ein wahrer Anstieg ist, oder lediglich auf vermehrte Diagnostik zurückzuführen ist. Auch was die räumliche Verteilung und den hohen Anteil von HIV-infizierten Männern unter den Erkrankten betrifft, sind Verzerrungen durch eine selektive Aufmerksamkeit und Diagnostik wahrscheinlich. So wird bei HIV-Infizierten und in HIV-Schwerpunktpraxen eine Chlamydiendiagnostik häufiger durchgeführt als z.B. in einer Allgemeinarztpraxis bei einem HIV-negativen Mann. Dennoch ist auch in Ländern mit vollständigeren Erfassungssystemen für LGV der Anteil der HIV-Infektionen unter den LGV-Fällen sehr hoch15, 16. Dies deutet darauf hin, dass LGV besonders unter HIV-positiven MSM zirkuliert.

RECHTZEITIG AN LGV DENKEN!

Wir müssen weiterhin von einer Untererfassung ausgehen, da die meisten LGV-Erkrankungen aufgrund der ungewöhnlichen Symptomatik nicht frühzeitig erkannt werden. Daher sollte bei einer unklaren inguinalen Lymphknotenschwellung und/oder rektalen Beschwerden eine Diagnostik auf Chlamydia trachomatis und LGV durchgeführt werden17. Labore, die eine Genotypisierung durchführen, sind in der Tabelle 1 aufgelistet. Wenn möglich, sollten die Sexualpartner der Betroffenen über die Infektion informiert und einer Diagnostik zugeführt werden.

Dr. Viviane Bremer,
Robert Koch-Institut Berlin,
Email: BremerV@rki.de

Autoren:
Dr. Viviane Bremer MPH1,
Dr. Thomas Meyer2,
PD Dr. Birgit Henrich3,
Prof. Dr. Eberhard Straube4,
Dr. Osamah Hamouda MPH1
1Robert Koch-Institut,
Abt. für Infektionsepidemio-logie, Berlin
2Labor Prof. Arndt und Partner, Hamburg
3Institut für Medizinische Mikrobiologie
und Krankenhaushygiene, Düsseldorf
4Institut für Medizinische Mikrobiologie, Jena

Literatur

1. Lupi O, Madkan V, Tyring SK. Tropical dermatology: bacterial tropical diseases. J Am Acad Dermatol. 2006 Apr;54(4):559-78; quiz 78-80.

2. Perenboom RM. Lymphogranuloma venereum proctitis: An emerging sexually transmitted disease in HIV-positive men in the Netherlands. Drugs Today (Barc). 2006 Mar;42 Suppl A:43-5.

3. Williams D, Churchill D. Ulcerative proctitis in men who have sex with men: an emerging outbreak. Bmj. 2006 Jan 14;332(7533):99-100.

4. Tinmouth J, Rachlis A, Wesson T, Hsieh E. Lymphogranuloma venereum in North America: case reports and an update for gastroenterologists. Clin Gastroenterol Hepatol. 2006 Apr;4(4):469-73.

5. Perine PL, Stamm WE. Lymphogranuloma venereum. In: Holmes KH, Sparling PF, Mardh P-A, Lemon SM, Stamm WE, Piot P, et al., eds. Sexually Transmitted Diseases. 3 ed. New York: McGraw-Hill 1999:423-32.

6. Osoba AO. Sero-epidemiological study of Lymphogranuloma venereum in Western Nigeria. Afr J Med Med Sci. 1977 Sep;6(3):125-32.

7. Viravan C, Dance DA, Ariyarit C, Looareesuwan S, Wattanagoon Y, Davis TM, et al. A prospective clinical and bacteriologic study of inguinal buboes in Thai men. Clin Infect Dis. 1996 Feb;22(2):233-9.

8. Götz H, Nieuwenhuis R, Ossewaarde T, Thio HB, Meijden Wvd, Dees J, et al. Preliminary report of an outreak of lymphogranuloma venereum in homosexual men in the Netherlands, with implications for other countries in Western Europe. Eurosurveillance Weekly. 2004 Jan 23;8(4).

9. Herida M, Sednaoui P, Couturier E, Neau D, Clerc M, Scieux C, et al. Rectal lymphogranuloma venereum, France. Emerg Infect Dis. 2005 Mar;11(3):505-6.

10. Vandenbruaene M, Ostyn B, Crucitti T, Schrijver KD, Sasse A, Sergeant M, et al. Lymphogranuloma venereum outbreak in men who have sex with men (MSM) in Belgium, January 2004 to July 2005. Euro Surveill. 2005;10(9).

11. Macdonald N, Ison C, Martin I, Alexander S, Lowndes C, Simms I, et al. Initial results of enhanced surveilllance for lymphogranuloma venereum (LGV) in England. Eurosurveillance Weekly. 2005;10(1).

12. v Krosigk A, Meyer T, Jordan S, Graefe K, Plettenberg A, Stoehr A. [Dramatic increase in lymphogranuloma venereum among homosexual men in Hamburg]. J Dtsch Dermatol Ges. 2004 Aug;2(8):676-80.

13. Robert Koch-Institut. Zum gehäuften Auftreten von Lymphogranuloma venereum in Hamburg im Jahr 2003. Epidemiologisches Bulletin. 2004 Jun 18;2005(25):197-8.

14. Bremer V, Meyer T, Marcus U, Hamouda O. Lymphogranuloma venereum emerging in men who have sex with men in Germany. Euro Surveill. 2006;11(9):152-4.

15. Laar Mvd, Koedijk F, Gotz H, Vries Hd. A slow epidemic of LGV in the Netherlands in 2004 and 2005. Euro Surveill. 2006 September 2006;11(9):150-2.

16. Herida M, de Barbeyrac B, Sednaoui P, Scieux C, Lemarchand N, Kreplak G, et al. Rectal lymphogranuloma venereum surveillance in France 2004-2005. Euro Surveill. 2006 Sep 20;11(9):155-6.

17. Van der Bij AK, Spaargaren J, Morre SA, Fennema HS, Mindel A, Coutinho RA, et al. Diagnostic and clinical implications of anorectal lymphogranuloma venereum in men who have sex with men: a retrospective case-control study. Clin Infect Dis. 2006 Jan 15;42(2):186-94.

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