8.
INTERDISZIPLINÄRER KONGRESS FÜR SUCHTMEDIZIN, MÜNCHEN, 05.-07.07.2007
Suchtmedizin - Identität und Interdisziplinarität
Der 8. interdisziplinäre Kongress für Suchtmedizin fand wie gewohnt Anfang Juli in München statt. Die Organisatoren Prof. Michael Soyka und PD Dr. Markus Backmund konnten über 700 Besucher begrüßen, womit die Tagung der größte suchtmedizinische Kongress in Deutschland ist. Der Kongress informierte breit über neue Entwicklungen aus allen Suchtformen und die lebendigen Diskussionen zeigten die Produktivität des interdisziplinären Dialogs. Ein Schwerpunkt des Kongresses war die Stellung der Suchtmedizin im Spannungsfeld zwischen den somatischen und den psychologischen Fächern.
BU: Kongresspräsident PD Dr. Markus Backmund bei der Verleihung der Posterpreise
Frau Prof. Claudia Spies vom Zentrum für Anästhesie und Intensivmedizin der Charité, Berlin, präsentierte Daten, wie häufig Alkohol- und Drogenabhängigkeit auf einer intensivmedizinischen Einheit diagnostiziert werden. 35% in dieser Einrichtung hatten alkoholbezogene Störungen, bis 34% Störungen durch illegale Drogen. Suchterkrankungen werden in diesem Setting allerdings nicht selten "übersehen", da sie keine Abbildung in den DRG´s finden. Dabei lohnt sich die Aufmerksamkeit, denn wie Spies belegte, sind selbst in auf der Intensivstation präventive Botschaften (psychoedukative Intervention) in Form von Kurzinterventionen wirkungsvoll vermittelbar.
SCHWIERIGE SELBSTFINDUNG DER SUCHTMEDIZIN
Mehrere Referenten nahmen zum schwierigen Thema der Definition des Fachgebietes Suchtmedizin Stellung. Prof. Hendrik van der Busche vom UKE Hamburg Eppendorf beklagte, wie sehr die Allgemeinmedizin, in der 80% aller Süchtigen versorgt werden, von den anderen medizinischen Disziplinen mit dem Problem der Versorgung Süchtiger allein gelassen wird. Prof. Ambros Uchtenhagen aus Zürich setzte sich mit dem Für und Wider einer Ansiedlung der Suchttherapie in der Psychiatrie auseinander. Sein Resumee: Die Suchtmedizin muss nicht unbedingt in der Psychiatrie angesiedelt sein, allerdings muss eine funktionelle Vernetzung mit der Psychiatrie bestehen.
Dr. Jörg Gölz aus Berlin legte dar, dass die Identität der Suchtmedizin noch sehr ungesichert und verletzlich ist. Einmal ist diese Disziplin eine der jüngsten innerhalb der Medizin. Zum zweiten erstreckt sie sich über mehrere medizinische Fachgebiete. Ihre theoretische Fundierung entlehnt sie den Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften. Insofern ist sie keine medizinische Disziplin im strengen naturwissenschaftlichen Sinne. Weiterhin ist sie auf die interdisziplinäre Kooperation mit vielen nichtmedizinischen Berufen angewiesen. Alle diese Merkmale führen zu einer Identitätsdiffusion, da ständig die eigenen Maßstäbe an die anderer Berufe bzw. anderer Forschungsgebiete angepasst werden müssen.
PD Dr. Markus Backmund aus München wies auf die Modifikation der Psychotherapie hin, wie sie bei Behandlung Süchtiger notwendig wird. Nicht die klassische Zurückhaltung des Psychotherapeuten ist gefragt, sondern der Psychotherapeut muss für den Patienten sichtbar werden als zeitlich zuverlässiger Partner, der ihn trägt, akzeptiert und auf seine suchttypischen Ängste eingeht.
Prof. Michael Krausz aus Vancouver stellte die immensen wirtschaftlichen Lasten in mehrfacher Milliardenhöhe dar, die durch Abhängigkeitserkrankungen für die Gesellschaft entstehen. Er forderte für die Suchtmedizin den Status eines eigenständigen Faches.
BUPRENORPHIN-MISSBRAUCH
Auf der Tagung wurden dann die ersten Erfahrungsberichte von deutschen Suchtschwerpunktpraxen zur Umstellung der Substitution von reinem Buprenorphin auf Buprenorphin plus Naloxon präsentiert. Die Kombination mit einem reinen Opiatantagonisten war notwendig geworden, weil Buprenorphin statt sublingual zunehmend intravenös und nasal angewandt wurde, um ein gesteigertes Rauscherleben zu finden. Die Kombination mit Naloxon führt bei missbräuchlicher Applikation nicht mehr zum erwünschten Rausch, sondern rasch zu Entzugssymptomen.
16. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin - Berlin, 2.-4. November 2007
Forschungsergebnisse in der Suchtmedizin und therapeutische Konsequenzen
Veranstaltungsort
Ludwig-Erhard-Haus, Fasanenstraße 85, D-10623 Berlin
Veranstalter
Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS)
Anmeldung per Email:
kongress@dgsuchtmedizin.de
Nähere Informationen zum Programm finden Sie unter
www.dgsuchtmedizin.de/kongress/index.html.
NEUROBIOLOGIE KÖNNTE BALD SUCHT ERKLÄREN
Prof. Wolfgang Zieglgänsberger vom Max-Planck-Institut München referierte zur Neurobiologie der Sucht und kündigte an, dass eines Tages Substanzen gefunden werden, die die Engramme im Suchtgedächtnis inaktivieren könnten. Damit ergäbe sich eine Möglichkeit zukünftig die Lernvorgänge zu beeinflussen, die zur Sucht führen. In zwei weiteren Vorträgen zur Neurobiologie wurden die guten Erfolge mit neueren Antiepileptika zur Coupierung des Alkoholentzugs und bei der Rückfallprophylaxe bei Alkoholikern dargestellt.
Prof. Michael Soyka aus Meiringen/München stellte 3-Jahres-Katamnesen einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung vor und zeigte, dass die Abstinenzrate von 44% mit der nach stationärer Therapie vergleichbar ist.
URIN HÄUFIG MANIPULIERT
Die Drogenanalytik des Urins von substitutierten Patienten stellt ein besonderes Problem dar. Der Umfang der Urinkontrollen ist nirgendwo verbindlich fixiert, d.h. mit welchen Mitteln, in welcher Frequenz und unter welchen Bedingungen kontrolliert werden sollte. Untersuchungen auf forensischem Niveau sind zu teuer, die kostengünstigen Teststäbchen sind zu ungenau. Also bedarf es der engen Kooperation mit einem Drogenlabor, bei der beide Partner ihre qualitätssichernden Ansprüche aneinander angleichen müssen. Dass Urinproben in hohem Maße manipuliert werden, zeigt sich bei der Anwendung von "Marker-Urin". Der Patient trinkt 30 Minuten vor der Urinprobe eine Flüssigkeit, deren Marker im Urin auftaucht. Auf diese Weise lässt sich erkennen, ob der Heroin- und Benzodiazepin-Beikonsum deutlich höher liegt als in konventionell untersuchten Urinproben. In einer Untersuchung hatten 35% der Probanden ihren Urin manipulativ verändert.
GLÜCKSSPIEL UND NIKOTINABUSUS
Bei den Verhaltenssüchten standen Glücksspielsucht und Nikotinabhängigkeit auf dem Programm. Die Klassifikation der Glücksspielsucht als Suchterkrankung seit 2001 ermöglicht die Kostenübernahme für Therapie und Rehabilitation sowie die Entwicklung präventiver und rückfallprophylaktischer Strategien. Spielsüchtige mit narzisstischen Störungen oder zusätzlicher stoffgebundener Abhängigkeit werden in Reha-Abteilungen für Abhängigkeitskranke behandelt, Spielsüchtige mit depressiver Komorbidität in psychosomatischen Reha-Einrichtungen. Als Nachsorge empfiehlt sich der Besuch von Gruppen der Anonymen Spieler.
Bei der Tabakabhängigkeit stellte das Institut für Therapieforschung (IFT) in München die Ergebnisse eines modifizierten Tabakentwöhnungsprogramms vor. Die neuen Modifikationen beruhen auf der Evaluation des alten Programms. Ferner wurden alle Hinweise aus der neueren Literatur eingearbeitet. Das Ergebnis ist eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Intervention mit ausschließlich evidenzbasierten Programmelementen ("Rauchfrei in 10 Schritten"). In der Intend-to-treat-Analyse lagen die Abstinenzraten nach sechs Monaten mit 40% doppelt so hoch wie mit dem alten Programm.