Fortbildung Kasuistik
Infektionen bei Migranten stammen nicht immer aus der Heimat
Wenn sich HIV-infizierte Menschen aus Hochprävalenzgebieten vorstellen, geht man meist davon aus, dass die Infektion im Heimatland erworben wurde. Das ist nicht immer der Fall. Es lohnt sich, genau nachzufragen.
Im März 2007 stellte sich bei uns in der Praxis ein schwarzafrikanischer Patient von der Elfenbeinküste vor, der seit vier Jahren in Deutschland lebt. Er berichtete, niemals ernsthaft krank gewesen zu sein. Im Januar 2007 wurde er dann wegen wässriger Diarrhoe, unklarem Fieber und akuter Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit der Verdachtsdiagnose Typhus abdominalis in ein Krankenhaus eingeliefert. Es war jedoch eine akute HIV-Infektion. Das Ergebnis des HIV-Tests im Januar 2007: Suchtest p24-Ag und Anti-HIV-Ak positiv, im Western Blot Anti-HIV-gp41 als positive Bande im Referenzbereich. Bei der Erstvorstellung in unserer Praxis hatte der Patient eine CD4-Zellzahl von 244 pro µl (16,4%) bei einer Viruslast von 78.048 Kopien/ml. Die Resistenzanalyse ergab einen Subtyp CRF02_AG (nach Abgleich mit den Datenbanken Stanford, g2p und NCBI mit folgenden Resistenzen im Protease Gen: L10F, K20I, M36I, L63P, A71V und V82A).
WOHER STAMMT DIESES VIRUS?
Der aus einem Endemiegebiet stammende Patient hatte vor seiner Erkrankung nie einen HIV-Test machen lassen. Er berichtete von einer Beziehung mit einer deutschen Frau, mit der er wiederholt ungeschützten Sex hatte. Die deutsche Geliebte des Afrikaners, die bereits 2005 bei uns kurzzeitig in Behandlung war, stellte sich dann Anfang April 2007 erneut vor. Das Ergebnis der Tests: Auch diese therapienaive Patientin wurde bereits mit einem resistenten Virus infiziert. Folgende Mutationen konnten 2005 detektiert werden: M41L, T215ST im Reverse-Transkriptase-Gen und L10F, M36I, L63P und V82A im Protease-Gen. Nach eigenen Angaben wurde sie damals von Ihrem schwarzafrikanischen Ehemann infiziert, der bereits antiretroviral behandelt war. Im Rahmen der weiteren Therapieplanung erfolgte eine erneute Resistenzanalyse die zeigte, dass die resistenzrelevanten Mutationen in der Reversen Transkriptase nicht mehr nachweisbar sind.
Mit Einverständnis beider zum Abgleich der HIV-Sequenzen in der Resistenzdatenbank fiel die hohe Übereinstimmung des Virus - Subtyp CRF02_AG, ähnliche resistenzassoziierte Proteasemutationen und ein fast identisches Muster der Polymorphismen, - auf.
Die Übereinstimmung der Sequenzen beider Patienten betrug 98,2%. Die resistenzassoziierten Mutationen in der Reversen Transkriptase, die bei der Patientin in 2005 teilweise als Quasispezies (Teilpopulation) neben dem HI-Wildtyp Virus vorlagen, wurden anscheinend nicht auf den Patienten übertragen. Sie sind ohne Selektionsdruck einer antiretroviralen Therapie zugunsten des Wildtyps verdrängt worden, können aber in Viren des zellulären Reservoirs der Patientin archiviert sein. Übertragen werden allerdings nur die sich aktiv replizierenden Viren. Obwohl die resistenzassoziierten Mutationen im Proteasegen die Fitness des Virus beeinträchtigen, kam es hier zu keiner Änderung des Mutationsmusters, so dass man davon ausgehen kann das für diesen Bereich in den Viruspopulationen der Patientin kein Wildtyp vorhanden ist.
HIV-RISIKO VERDRÄNGT
Im weiteren Verlauf ergab sich dann folgender Sachverhalt. Die Patientin war verheiratet und ist Mutter einer dreieinhalbjährigen Tochter. Im Februar 2007 verstarb ihr Mann, der aus Togo stammte, nach langem Krankenhausaufenthalt an einem HIV-assoziierten Non-Hodgkin Lymphom (NHL). Sie habe die Tragweite der Diagnose verdrängt und das Risiko nicht wahr haben wollen. "Ich hatte Angst und wollte mich einfach nicht testen lassen", erklärte die Patientin. Den von der Elfenbeinküste stammenden jungen Schwarzafrikaner hatte sie 2006 kennen gelernt.
In diesem Fall hat also eine Deutsche, die ihre mögliche HIV-Infektion "ausgeblendet" hatte, einen jungen Afrikaner mit einem resistenten Virus infiziert. Der Patient hatte sich in seinem Heimatland, einem HIV-Hochprävalenzgebiet, nicht mit HIV infiziert und hat das Risiko für eine Infektion in Deutschland offensichtlich unterschätzt. Kurioserweise infizierte er sich hier mit dem HIV-Subtyp, der in seinem Heimatland vorherrscht. In der Zwischenzeit hat sich die Immunsituation des Patienten kontinuierlich verschlechtert, so dass eine antiretrovirale Therapie gestartet wurde. Trotz des problematischen Beginns der Beziehung planen beide eine gemeinsame Zukunft und wollen demnächst heiraten.
Jan Vachta · Christian Höhn · Dr. Heribert Knechten
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