Prof. Joachim Szecsenyi, Heidelberg
Influenza in der Praxis
Während einer "normalen" Grippesaison infizieren sich in Deutschland bis zu 20% der Bevölkerung mit dem Influenza-Virus. Besonders gefährdet sind immungeschwächte Patienten. Bei exponierten bzw. frisch erkrankten Patienten empfiehlt sich deshalb eine antivirale Chemoprophylaxe bzw. Therapie mit einem Neuramidasehemmer. Bei geimpften Personen, die möglicherweise keinen ausreichenden Antikörperschutz aufgebaut haben, sollte die Therapie ebenfalls erwogen werden.
In Deutschland werden während der jährlichen Grippewellen schätzungsweise 10-20% der Bevölkerung infiziert. Sind mehr Menschen betroffen, spricht man von einer Grippe-Epidemie. In anglo-amerikanischen Ländern wird dagegen jede saisonale Grippewelle als Epidemie bezeichnet.
INFEKTIONSWEG
Influenzaviren werden überwiegend durch Tröpfchen beim Husten, Niesen usw. übertragen. Einzelne Publikationen legen aber auch die Möglichkeit einer aerogen Übertragung nahe, d.h. durch Tröpfchenkerne, die kleiner sind (<5 µm) und länger in der Luft schweben können. Darüber hinaus kann das Virus auch durch direkten Kontakt übertragen werden, z.B. Handschütteln nach Kontakt der Hände mit virushaltigen Sekreten. Als behülltes Virus ist das Influenza-Virus relativ empfindlich gegen schädigende Umwelteinflüsse. Unter güns-tigen Bedingungen (z.B. Feuchtigkeit und Temperatur) kann es über mehrere Stunden, bei niedrigen Temperaturen (z.B. <20 °C) im Wasser auch deutlich länger (bis zu einigen Monaten), persistieren.
ANSTECKUNGSFÄHIGKEIT
Die Ansteckungsfähigkeit beginnt bereits kurz (<24 Stunden) vor Auftreten der klinischen Symptomatik und besteht danach gewöhnlich für 3-5 Tage. Kleine Kinder können Viren früher und für längere Zeit als Erwachsene ausscheiden.
KLINISCHE SYMPTOMATIK
Die Inkubationszeit der Influenza ist mit ein bis drei Tage kurz. Typische Beschwerden bei Erkrankungsbeginn sind:
- plötzliches starkes Krankheitsgefühl
- hohes (=38,5°C) Fieber
- trockener Reizhusten
- Muskel- und/oder Kopfschmerzen
Weitere Symptome sind allgemeine Schwäche und Müdigkeit, Schweißausbrüche und Halsschmerzen. Gastrointestinale Symptome, wie Übelkeit und Diarrhoe, sind selten, aber möglich.
DIAGNOSTIK
Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI)
Die AGI ist ein System zur Überwachung der Influenza in Deutschland, durchgeführt vom Robert Koch-Institut, Berlin (Federführung), dem Deutschen Grünen Kreuz, Marburg und dem Nationalen Referenzzentrum für Influenza, Berlin. Das System hat drei Schwerpunkte:
- die Überwachung des Syndroms der "akuten respiratorischen Erkrankungen" (ARE); dieser Teil wird koordiniert vom Deutschen Grünen Kreuz;
- die virologische Diagnostik von Rachenabstrichen, durchgeführt von den Nationalen Referenzzent-ren für Influenza;
- die Meldedaten direkter Virus-Nachweise von Influenza, die beim RKI eingehen. Seit 01.01.2001 ist der direkte Nachweis von Influenza gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) meldepflichtig.
Auf der Webseite der AGI
(www.influenza.rki.de/index.html)
findet man von der 40. bis zur 15. Kalenderwoche, also während der Wintersaison, aktuelle und
fundierte Informationen zur Aktivität der Influenza in ganz Deutschland. RV
Die Diagnose Influenza anhand der klinischen Symptomatik zu stellen, ist schwierig, denn andere respiratorische Infektionen führen zu ähnlichen Beschwerden. Klinisches Leitsymptom ist am ehesten der plötzliche Erkrankungsbeginn mit hohem Fieber und starkem Krankheitsgefühl. Ist eine Influenzawelle im Gange, hat diese Symptomatik einen so guten Vorhersagewert, dass man die Diagnose allein klinisch stellen kann. Eine labordiagnostische Sicherung der Diagnose ist dann lediglich bei schweren Verläufen und Komplikationen obligat.
Klinisch wichtig ist die Schnelligkeit der Diagnostik. Für die Therapie ist die Diag-nostik nur dann relevant, wenn das Ergebnis innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung steht. Geeignete Methoden für eine solche Schnelldiagnostik ist der direkte Nachweis viraler Antigene mittels Immunfluoreszenz, ELISA oder Schnellteste.
Der Nachweis mittels PCR und die Virus-isolierung mittels Kultur können in der Regel nur hochspezialisierte Laboratorien durchführen. Dies betrifft auch die weitere Subtypisierung von Influenza-A-Viren sowie die Identifizierung zirkulierender Varianten von Influenza-A- und -B-Viren. Ein serologischer Antikörpernachweis mittels Komplementbindungsreaktion (KBR), ELISA oder Immunfluoreszenz ist vor allem im Rahmen epidemiologischer Studien von Bedeutung.
SCHNELLTESTE
Influenza-Schnellteste beruhen auf dem Nachweis von Influenza-Antigenen. Diese Antigene befinden sich in Membranen auf dem Teststreifen. Als Probenmaterial werden Nasenspülflüssigkeit und Nasen/Rachenabstrich genutzt. Die Materialentnahme sollte in den ersten zwei Tagen nach Krankheitsbeginn erfolgen. Die Schnellteste erreichen eine Sensitivität von ca. 80% und eine Spezifizität von ca. 85%. Die Kosten des Influenza-Schnelltests werden nicht von der GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) erstattet.
VERLAUF UND KOMPLIKATIONEN
Patienten und Betreuer gegen Grippe impfen!
Alle Menschen, die ein erhöhtes Risiko einer Influenza-Infektion bzw. ein erhöhtes Risiko von Influenza-assoziierten Komplikationen haben, sollten gegen Grippe geimpft werden. Dazu gehören im allgemeinen Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen, insbesondere auch HIV-Infizierte, Asthmatiker, Diabetiker usw. Ein erhöhtes Risiko einer Ansteckung hat auch das betreuende medizinische Personal. Ärzte, Schwestern und Pfleger sollten daher auch geimpft werden - nicht zuletzt zum Schutz der Patienten, denn welcher Arzt geht gleich nach Hause, wenn er sich schlecht fühlt? Kontraindikationen für die Impfung sind lediglich eine schwere allergische Reaktion auf Hühnereiweiß sowie ein Guillain-Barre-Syndrom sechs Wochen nach einer Schutzimpfung.
Die Symptome bei Influenza können unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Der Schweregrad der Erkrankung korreliert da-bei mit dem Ausmaß der Virusreplikation sowie der Immunantwort. Bei immunkompetenten, gesunden Menschen verschwinden die Symptome spontan innerhalb von 7-14 Tagen. Allgemeines Schwächegefühl, Husten und Appetitlosigkeit können jedoch noch Wochen nach der Besserung anhalten.
KOMPLIKATIONEN
Das höchste Risiko für Komplikationen im Rahmen einer Influenza haben:
- Kinder
- Ältere Menschen
- Immungeschwächte Patienten
- Patienten mit schwerwiegenden chronischen Erkrankungen
Bei den Komplikationen unterscheidet man direkte viral bedingte Komplikationen sowie Komplikationen durch eine bakterielle Superinfektion. Am häufigsten ist die bakterielle Pneumonie (Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Staphylokokken), bei Kindern die Otitis media. Seltener, aber umso schwerwiegender ist die virale Influenza-Pneumonie, die innerhalb von Stunden großflächige Lungenblutungen hervorrufen und tödlich enden kann. Ein viraler Befall des Myokards, der Muskulatur, der Meningen und des Gehirns können zu bleibenden Folgeschäden führen.
Besonders gefährdet sind immungeschwächte Patienten. Bei HIV-Patienten fand sich in entsprechenden Studien eine erhöhte Rate an Hospitalisierungen für Herz- und Lungenerkrankungen während den Grippewellen als zu anderen Jahreszeiten. Zudem scheint die Influenza bei HIV-Infizierten protrahiert und mit einer höheren Komplikationsrate zu verlaufen. Die Schutzimpfung wird insbesondere für diese Personengruppe empfohlen.
CHEMOPROPHYLAXE/THERAPIE
Die Behandlung der Influenza bei Personen, die nicht zu den Risikogruppen gehören und bei denen somit ein unkomplizierter Verlauf erwartet werden kann, erfolgt überwiegend symptomatisch, d.h. Ruhe, Flüssigkeit, fiebersenkende Mittel. Bei Kindern sollte man auf die Gabe von Salizylaten (z.B. Acetylsalicylsäure) wegen der Gefahr der Entstehung eines Reye-Syndroms (akute Enzephalopathie in Kombination mit fettiger Degeneration der Leber) verzichten. Bei bakterieller Superinfektion sind Antibiotika indiziert.
INDIKATION
Die spezifische Therapie bzw. Chemoprophylaxe mit antiviralen Arzneimitteln ist bei Personen mit einem hohen Risiko für Komplikationen sinnvoll. Eine Chemoprophylaxe für sieben Tage sollte bei exponierten Patienten durchgeführt werden, z.B. bei HIV-Patienten, in deren Haushalt jemand erkrankt ist. Gefährdete Patienten in Institutionen, in denen Influenza-Patienten behandelt werden, sollten bis zur Entlassung eine Chemoprophylaxe erhalten. Eine Chemoprophylaxe bzw. Therapie sollte bei geimpften Personen in Erwägung gezogen werden, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Patient nicht aus-reichend Antikörper gebildet hat. Bei erkrankten und gefährdeten Patienten, sollte die Behandlung spätestens 48 Stunden nach Einsetzen der Symptome beginnen.
NEURAMINIDASEHEMMER
Zur antiviralen Influenza-Prophylaxe/Therapie stehen zwei Substanzklassen zur Verfügung: Der M2-Membranproteinhemmer Amantadin und die Neuraminidasehemmer Oseltamivir und Zanamivir. Amantadin verhindert das Eindringen des Virus in den Zellkern, indem es das virale Membranprotein blockiert. Nachteile von Amantadin sind, dass es nur gegen Influenza-A-Viren wirkt, sehr rasch zur Resis-tenz führt und häufig neurologische Nebenwirkungen (z.B. Schlaflosigkeit, Nervosität) hat. In den USA beispielsweise empfiehlt die CDC aus diesen Gründen, Amantadin in der aktuellen Grippesaison 2007/8 nicht einzusetzen.
Mittel der Wahl sind damit die Neuraminidasehemmer Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®). Sie hemmen die virale Neuraminidase und damit die Freisetzung neugebildeter Viren. Beide Substanzen wirken sowohl gegen Influenza-A- als auch Influenza-B-Viren. Resistenzen treten wesentlich seltener auf als bei Amantadin. Relevante Nebenwirkungen sind bei dem oral einzunehmenden Oseltamivir Übelkeit/Erbrechen und bei dem inhalativ einzunehmenden Zanamivir gelegentlich asthmoide Anfälle. Neuraminidasehemmer vermindern den Schweregrad und die Dauer der Erkrankung und senken das Risiko einer Hospitalisierung. Oseltamivir ist bei Kindern ab 1 Jahr, Amantadin bei Kindern ab 5 Jahren und Zanamivir bei Kindern ab 12 Jahren zugelassen.
Prof. Joachim Szecsenyi
Universitätsklinikum Heidelberg
Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung
Voßstraße 2 · D-69115 Heidelberg