Deutsche AIDS-Hilfe
HIV UND BESCHÄFTIGUNG
Durch die Kombinationstherapien hat sich die gesundheitliche Situation HIV-positiver Menschen und damit auch ihre Leistungsfähigkeit wesentlich verbessert. Die Zahl derer, die weiterhin ihren Beruf ausüben, (wieder) ins Erwerbsleben eintreten oder sich auf Jobsuche befinden, hat in den letzten Jahren daher deutlich zugenommen. Allerdings haben Menschen mit HIV nach wie vor (berechtigte) Angst davor, am Arbeitsplatz ihre HIV-Infektion offenzulegen. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat sich daher mit der "Entwicklungspartnerschaft" (EP) LINK-UP an dem arbeitsmarktpolitischen EU-Programm EQUAL beteiligt, das auf den Abbau von Diskriminierung und Ungleichbehandlung jeglicher Art zielt.
In der Schweiz sind laut einer Befragung bereits 70% der mit HIV Lebenden in Lohn und Brot. In Deutschland dürfte ihr Anteil laut Expertenschätzungen bei etwa 50% liegen, und laut einer Studie möchten sogar 80% der nicht Erwerbstätigen mit HIV wieder arbeiten - was auch aus medizinischer Sicht sinnvoll ist: Arbeit trägt ja nicht nur zur Sicherung des Lebensunterhalts bei, sondern strukturiert auch den Alltag, gibt das Gefühl, gebraucht zu werden, und verschafft soziale Kontakte - all das fördert die körperliche und seelische Gesundheit. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind für Menschen mit HIV und anderen chronischen Krankheiten jedoch alles andere als rosig.
STRESS AM ARBEITSPLATZ
"Sag ich, dass ich positiv bin, oder sag ich's lieber nicht?" - diese Frage stellen sich Beschäftigte und Jobsuchende mit HIV in aller Regel. Ein offener Umgang hätte schließlich den Vorteil, dass man in Zeiten, in denen die Erkrankung Probleme macht, auf das Verständnis und die Unterstützung der Kolleg(inn)en und des Arbeitgebers setzen könnte. Die Realität sieht aber meist anders aus, denn auch heute noch kann eine bekannt gewordene HIV-Infektion Angst und Ablehnung auslösen und dazu führen, dass der oder die "Enttarnte" diskriminiert, gemobbt und schlimmstenfalls entlassen wird. Die Gründe dafür sind vor allem Fehlinformationen oder geringe Kenntnisse über die Übertragungswege des Virus, oft auch die Annahme, Menschen mit HIV seien den Anforderungen des Arbeitslebens nicht gewachsen. Und nicht zuletzt sind auch Vorurteile mit im Spiel, denn bei den HIV-Positiven handelt es sich mehrheitlich um Menschen, die allein schon wegen ihrer sexuellen Orientierung, ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Drogenkonsums diskriminiert werden. Arbeitgeber sind zwar grundsätzlich verpflichtet, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Mobbing zu schützen, und dürfen niemanden wegen seiner HIV-Infektion entlassen - schließlich kann das Virus bei alltäglichen Kontakten ja nicht übertragen werden. Erfahrungsgemäß hält das kündigungswillige Arbeitgeber jedoch nicht davon ab, nach anderen Gründen zu suchen, um solche Mitarbeiter/innen loszuwerden. HIV-Positive entscheiden sich daher meist gegen eine Offenlegung ihrer HIV-Infektion.
AUSFLÜCHTE WEGEN HÄUFIGER ARZTBESUCHE
Bei anhaltend wirksamer Therapie können Beschäftigte mit HIV über viele Jahre berufstätig bleiben. Zur Kontrolle des Infektionsverlaufs und Therapieerfolgs sind jedoch regelmäßige Untersuchungen notwendig, was gerade bei Vollzeitbeschäftigung auch zu Fehlzeiten führen kann. Und wie bei anderen chronischen Krankheiten kann auch bei einer HIV-Infektion der Gesundheitszustand schwanken und die Leistungskraft mal besser und mal schlechter sein ("episodic conditions"). Zum Beispiel verursachen die Medikamente bei manchen HIV-Positiven Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall, Hautausschläge, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit - vor allem bei Behandlungsbeginn oder bei einer Therapieumstellung, die dann notwendig wird, wenn die Medikamente aufgrund einer Resistenzentwicklung nicht mehr wirken. Diese Beschwerden fallen je nach Mensch unterschiedlich stark aus, klingen aber meist nach einigen Wochen wieder ab oder werden zumindest erträglicher, sodass man mit ihnen leben kann. Schlechtere Phasen, in denen man häufiger als sonst zum Arzt muss oder öfter ausfällt, belasten aber umso mehr, wenn man bei diesbezüglichen Nachfragen aus dem Kollegenkreis zu immer neuen Ausflüchten und Lügen greifen muss. Dieses Versteckspiel kann zu dauerhaften Leistungseinbußen führen - Stress ist schließlich Gift fürs Immunsystem und begünstigt das Fortschreiten der HIV-Erkrankung.
WICHTIG: EIN UNTERSTÜTZENDES ARBEITSUMFELD
Neben einer wirksamen Therapie ist ein stabiles, unterstützendes Arbeitsumfeld die beste Voraussetzung, um als Mensch mit HIV im Arbeitsleben zu bestehen - trotz Phasen mit verminderter Leistungsfähigkeit. Diese Erkenntnis hat multinationale Unternehmen mit Niederlassungen in Ländern mit sehr weiter HIV-Verbreitung wie etwa Südafrika, Thailand oder Brasilien aus der Not heraus bereits zum Handeln veranlasst: Weil die Ressource Arbeitskraft infolge HIV-bedingter Sterbefälle spärlicher wird, viel Geld in die Ausbildung immer wieder neuer Fachkräfte investiert werden muss und auch der hohe Krankenstand die Personalkosten in die Höhe treibt, haben sie Gesundheitsprogramme gestartet, die Aufklärung (vor allem zum HIV-Test), medizinische Versorgung, Abbau von Diskriminierung und Unterstützung HIV-Positiver am Arbeitsplatz umfassen. Einige dieser "Global Players" sorgen auch an ihren Standorten in Deutschland dafür, dass die HIV-Infektion zumindest zum Thema gemacht wird. Ansonsten ist die Bereitschaft der Arbeitgeber, ihre Belegschaften für den Umgang mit HIV-positiven Kolleg(inn)en zu sensibilisieren, eher gering - das gilt für fast alle Länder mit vergleichsweise geringer HIV-Verbreitung. Hinzu kommt, dass vor allem kleine und mittelständische Unternehmen befürchten, die Beschäftigung von Mitarbeiter(inne)n mit chronischen Erkrankungen führe zu nicht verkraftbaren wirtschaftlichen Einbußen. Wo man sich nicht rundheraus weigert, HIV-Positive und Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen als Arbeitskräfte zu akzeptieren, lässt sich durch gezielte Maßnahmen von außen jedoch einiges bewegen, wie unser Projekt LINK-UP gezeigt hat.
LINK-UP ALS IMPULSGEBER
Mit ihrer "Entwicklungspartnerschaft" (EP) LINK-UP hat sich die Deutsche AIDS-Hilfe seit Juli 2005 an dem arbeitsmarktpolitischen EU-Programm EQUAL beteiligt, das auf den Abbau von Diskriminierung und Ungleichbehandlung jeglicher Art zielt. Mit seinen acht in Aidsorganisationen angesiedelten und in der DAH-Bundesgeschäftsstelle koordinierten Teilprojekten wollte LINK-UP zum einen die Erwerbsfähigkeit von HIV-Positiven und Menschen aus den Zielgruppen der Aidshilfearbeit fördern und ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, zum anderen die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen erhöhen und eine integrationsfördernde Arbeitsgestaltung vorantreiben.
Dass alle acht Teilprojekte bis zum Schluss "am Ball" blieben, ist beileibe keine Selbstverständlichkeit angesichts der administrativen Tücken, die mit der Durchführung von Maßnahmen verbunden sind, die aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert werden. Noch dazu bewegten sie sich auf Neuland und konnten auf keine systematisch gesammelten Erfahrungen zurückgreifen, worauf auch der Monitoring-Bericht des von der DAH beauftragten Instituts für Evaluation hinweist. Bisher nämlich hat die Aidsarbeit eher auf die Bewältigung der HIV-Erkrankung denn auf das Thema "HIV und Beschäftigung" fokussiert; in der Beratung ging es daher primär um Fragen zur Berentung und nicht um den Einstieg ins Arbeitsleben. Kein Wunder also, dass sich in den Teilprojekten viele unvorhergesehene Fragen und Probleme stellten, aufgrund derer immer wieder konzeptionelle Anpassungen erforderlich wurden. Dann jedoch hieß es "volle Kraft voraus": Die Ziele von LINK-UP sollten schließlich bis zum Ende der Projektlaufzeit am 31. Dezember 2007 umgesetzt sein.
Als Informationsinstanz und Ratgeber hat sich unsere EP LINK-UP inzwischen weit über Aidshilfe-Zusammenhänge hinaus einen Namen gemacht. Kontaktiert wurde sie vor allem in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten, wo nach wie vor große Unsicherheit besteht. So ist z.B. die Frage des Arbeitgebers, ob man HIV-positiv sei, nicht zulässig, auch nicht bei Neueinstellungen; wird sie dennoch gestellt, darf sie wahrheitswidrig verneint werden. Das gilt jedoch nicht für die Tätigkeit als Chirurg/in oder Pilot/in, weil hier, so das Argument, Dritte gefährdet werden könnten. Auskunft bei LINK-UP holten sich natürlich vor allem unsere regionalen Mitgliedsorganisationen, um die Fragen ihrer Klient(inn)en kompetent beantworten zu können. Häufig jedoch nutzten auch Jobcenter und Arbeitsagenturen sowie Arbeitgeber und Beschäftigte unseren Service. LINK-UP hat deshalb intensive Recherchen nach umfassender Expertise durchgeführt, deren Ergebnisse systematisch zusammengestellt und Beratungseinrichtungen, Gewerkschaften und Arbeitgebern zugänglich gemacht werden sollen.
Christine Höpfner/Holger Sweers
Aufklärung und Information/Lektorat · Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
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