Antje Sanogo, München
Systematischer HIV-Test bei Flüchtlingen
Das Thema „Migranten, Flüchtlinge und HIV(sowie andere infektiöse Krankheiten)“ wird in Deutschland nach wie vor mit seuchenschutzrechtlichen Vorstellungen aus dem vorigen und vorvorigen Jahrhundert behandelt. Nichts anderes lässt sich aus dem Umgang mit Flüchtlingen schließen, die im Rahmen des Asylverfahrens gesetzlich verpflichtet sind, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Der Inhalt dieser Untersuchung wird von jedem Bundesland selbst festgelegt.
Situation in Bayern
Broschüren der AidsHilfe München. Entwickelt von Antje Sanogo und Tzeggereda Mihreteab
In Bayern werden alle Flüchtlinge, die hier ihren Erstantrag auf Asyl stellen, auf HIV getestet. Rechtsgrundlage ist die „Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz vom 07.06.2002 zum Vollzug des § 62 AsylVfG“. Neben dem HIV-Test erfolgen Untersuchungen auf Anzeichen einer übertragbaren Krankheit und Tests auf Tuberkulose, Erreger der TPE-Ruhr-Gruppe, ggf. Choleravibrionen, Hepatitis B, Lues und Darmparasiten. Untersucht werden Blut-, Stuhl- und Urinproben. Der Antragsteller wird weder vor noch während der Untersuchung darüber informiert, auf welche Krankheiten er untersucht wird. Konkret heißt das, der Patient gibt Stuhl, Urin und Blut zur Untersuchung ab, ohne zu wissen, welche Untersuchungen mit diesen Proben durchgeführt werden. Es werden auch keine negativen Testergebnisse mitgeteilt (weder für HIV noch die anderen untersuchten Erreger). Daher erfahren auch Flüchtlinge mit negativen Testergebnissen nicht, dass bei ihnen ein HIV-Test durchgeführt wurde.
Situation in Sachsen
Auch in Sachsen findet eine systematische Testung von Flüchtlingen statt. Geregelt ist dies in der „Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur gesundheitlichen Betreuung von Asylbewerbern durch die Gesundheitsämter im Freistaat Sachsen“ vom 24.01.2008. Hier wird ebenfalls neben dem HIV-Test auf weitere Infektionskrankheiten (ähnlich wie in Bayern) untersucht. Im Gegensatz zu Bayern gibt es in Sachsen eine Pflicht zur Information der Flüchtlinge über Art und Umfang der medizinischen Untersuchung. Allerdings gibt es auch in Sachsen kein Recht der Flüchtlinge die Untersuchung oder einzelne Tests zu verweigern.
Geringe Prävalenz bei Flüchtlingen
Zur Rechtfertigung dieses Umgangs mit Flüchtlingen werden oft epidemiologische Daten herangezogen. Insbesondere Flüchtlinge kommen mehrheitlich aus den sogenannten Hochprävalenzländern (HPL). Also scheint der Rückschluss legitim, dass systematisch getestet werden müsse, weil besonders oder zumindest überdurchschnittlich viele HIV-Infizierte sonst unkontrolliert einreisen könnten. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich diese stärkere Betroffenheit nicht. In München wurden 2010 laut RKI 20 positive HIV-Tests bei Patienten aus HPL gemeldet. Selbst wenn man annimmt, dass alle 20 Patienten Flüchtlinge waren, die im Rahmen des Asylverfahrens positiv gestestet wurden, machen sie nur ca. 0,75% aller Asylbewerber aus, die 2010 in Oberbayern einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben. Und dies obwohl zu den Hauptherkunftsländern beispielsweise Nigeria zählt mit einer Prävalenzrate von 3,6% in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung (15-49 Jahre). Offensichtlich kann man von der epidemiologischen Betroffenheit der Herkunftsländer nicht auf die Betroffenheit der Flüchtlinge schließen.
Epidemiologisch ergeben sich also keinerlei Anhaltspunkte, die eine systematische Testung von Flüchtlingen rechtfertigen würden, selbst wenn man den seuchenschutzrechtlichen Vorstellungen verhaftet bliebe. Es ist die Frage zu stellen, warum dann in Bezug auf Flüchtlinge von den sowohl von der WHO als auch vom Nationalen Aids-Beirat und der Bundesregierung empfohlenen Testrichtlinien abgewichen wird, die besagen, dass ein HIV-Test nur nach informiertem Einverständnis des Patienten durchgeführt werden soll.
Erneutes Trauma
Unsere Erfahrungen mit der Testpraxis in Bayern zeigen, dass die systematische Testung auf HIV bei Flüchtlingen für die HIV-Prävention, wie wir sie in der BRD umsetzen, eher hinderlich ist.
Die fehlende bzw. mangelnde Aufklärung der Flüchtlinge über HIV/Aids und individuelle Risikosituationen vor dem HIV-Test führt häufig zu Problemen im Umgang mit der Erkrankung. Bei der Mitteilung des positiven Ergebnisses erfolgt dann zwar in aller Regel eine individuelle Beratung, jedoch geht deren Inhalt im Schock über das Ergebnis häufig unter. Das Ergebnis wird zum Teil nicht geglaubt, da die Verbindung zu der vor einigen Wochen durchgeführten medizinischen Untersuchung nicht mehr hergestellt wird. Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass viele Flüchtlinge in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes noch sehr stark mit mehr oder minder schweren traumatischen Ereignissen im Zusammenhang mit der Flucht beschäftigt sind und durch die vollkommen unerwartete Mitteilung über eine HIV-Infektion noch weiter traumatisiert werden. Der Grund dafür kann sein, dass sie sich in dieser Situ-ation erneut als machtloses Objekt erleben müssen.
Die Tatsache, dass negative Testergebnisse nicht mitgeteilt werden, hat zur Folge, dass der überwiegende Teil der auf HIV getesteten Flüchtlinge, niemals erfährt, dass diese Untersuchung an ihnen durchgeführt wurde. Dies gilt übrigens auch für alle anderen Untersuchungen. Eine Bewertung der Tatsache, dass Menschen ohne ihre Zustimmung medizinisch untersucht werden und niemals erfahren, was Inhalt und Ergebnis der Untersuchung war und was mit den genommen Blut-, Stuhl- und Urinproben passiert, überlasse ich jedem selbst. Das geringste Übel ist in diesem Zusammenhang wohl eine verschenkte Möglichkeit zur Aufklärung über HIV im Allgemeinen und die konkrete Situation in Deutschland im Speziellen.
Kein Vertrauen in Schweigepflicht
Wir sehen weiterhin, dass der Zugang zum Gesundheitssystem insbesondere zu Präventionsangeboten für Flüchtlinge unnötig erschwert wird. Flüchtlinge erleben das deutsche Gesundheitssystem kurz nach ihrer Ankunft, sozusagen bei der ersten Begegnung, als entmündigend und repressiv. Dies prägt die Wahrnehmung dieses Systems für viele Flüchtlinge entscheidend. Die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung innerhalb des Gesundheitssystems wird verstärkt. Somit ist es auch sehr schwer im weiteren Verlauf des Aufenthalts zu erkennen, dass ein selbstbestimmter Umgang mit Angeboten des Gesundheitssystems möglich ist und vorteilhaft sein kann. So erleben wir bei Flüchtlingen häufig, dass kein Vertrauen in die ärztliche Schweigepflicht besteht. Vielmehr beobachten wir Befürchtungen, dass es generell üblich sei, bei Migranten einfach ohne Information bestimmte Untersuchungen durchzuführen. Dies kann dazu führen, dass der Kontakt mit diesem als repressiv erlebten Gesundheitssystem gemieden wird. So entsteht völlig unnötig eine Barriere für den Zugang zu informativen und präventiven Angeboten des Gesundheitssystems. Dies kann ein wichtiger Grund für die Ablehnung sein, die wir erleben, wenn wir HIV-Prävention in oder mit Migranten-Communities organisieren wollen.
Antje Sanogo (rechts) und ihre ehrenamtliche Mitarbeiterin Frau Tzeggereda Mihreteab (links)
Menschenrechte beachten!
Es zeigt sich erneut deutlich, dass durch die Verletzung von menschenrechtlichen und anderen wichtigen rechtlichen Standards bei vermeintlich besonders von HIV gefährdeten Gruppen, die besondere Gefährdung dieser Menschen zumindest verschärft, wenn nicht gar erst geschaffen wird, indem diese Gruppen durch diskriminierende Behandlung von Aufklärung und Information über HIV abgeschnitten werden. Somit lautet die Schlussfolgerung: Nur durch den Abbau von diskriminierenden, menschenrechtlich bedenklichen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften in Bezug auf HIV-Tests bei Flüchtlingen kann der Zugang zu Aufklärung und Information über HIV und zum HIV-Test verbessert werden.
GESUNDHEIT IST EIN MENSCHENRECHT
Deshalb engagieren wir uns für einen verbesserten Zugang zu medizinischer Versorgung als humanitäres Grundrecht für benachteiligte Bevölkerungsgruppen - weltweit, auch in Deutschland. Im Münchner Projekt open.med beraten und versorgen mehr als 80 ehrenamtliche Fachkräfte Menschen ohne Krankenversicherung und setzen sich dafür ein, dass die PatientInnen ihr Recht auf Gesundheit bekommen.
Mehr Information unter: www.aerztederwelt.org
Möchten Sie Teil unseres ehrenamtlichen Netzwerks werden?
Wenden Sie sich bitte an: Michael Prestele,
Tel.: 089 45 23 081 - 14
E-Mail: michael.prestele@aerztederwelt.org
Empfehlungen zur Einverständniserklärung bei HiV-test
Votum 39 des nationalen AidS-beirates (2001)
„… Der Nationale AIDS-Beirat appelliert an das Bundesministerium für Gesundheit, auf die zuständigen Ressorts von Bund und Länder mit dem Ziel einzuwirken, die Beratungsqualität beim HIV-Antikörpertest von Zuwanderern zu sichern. Solche Tests sollten ausschließlich mit Einwilligung des informierten und einsichtsfähigen Betroffenen erfolgen. …“
Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung der HiV/AidS-Nekämpfungsstrategie der Bundesregierung (2007)
Aktion 3 Solidarität und Antidiskriminierung:
„Infektionsschutzgesetz
… Bei Gesundheitsuntersuchungen ist, insbesondere in Bezug auf HIV-Infektionen, strikt das Übermaßverbot zu beachten. …
Gesundheitsprüfung
…Systematische Untersuchungen auf HIV/AIDS finden auf der Grundlage dieser Vorschriften nicht statt. …“
WHO/UNAIDS-Empfehlungen (guidance on HIV testing and councelling in health facilities, 2007):
– Alle HIV-Tests müssen freiwillig, vertraulich sein und nur mit Einverständnis des Patienten vorgenommen werden.
– Patienten haben das Recht den Test zu verweigern. Es soll nicht auf HIV getestet werden gegen ihren Willen, ohne ihr Wissen, ohne adäquate Information oder ohne die Testergebnisse mitzuteilen.
– Anbieter-Initiierte HIV-Tests sind nicht und sollen nicht als Zwangsmaßnahme oder
Pflichttest gestaltet sein
(eigene Übersetzung)