HIV-positive Mitarbeiter im Gesundheitswesen
Ziel der „Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) e. V. und der Gesellschaft für Virologie (GfV) e. V. zur Prävention der nosokomialen Übertragung von Humanem Immunschwäche Virus (HIV) durch HIV-positive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen“ ist die Prävention nosokomialer HIV-Infektionen durch HIV-positive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen (Health Care Worker/HCW). Die Empfehlung dient primär dem Patientenschutz. Darüber hinaus sollen auch die beruflichen und sozialen Interessen HIV-positiver HCW angemessen berücksichtigt werden.
Geringes Risiko
Nosokomiale Übertragungen von HIV durch HCW wurden vereinzelt in der internationalen Literatur beschrieben. In Deutschland ist bisher keine solche Transmission dokumentiert worden.
Auch bei invasiven Maßnahmen ist das Übertragungsrisiko bei Einhaltung krankenhaushygienischer Schutzmaßnahmen als sehr gering einzustufen. Daher können auch im Falle einer HIV-Infektion eines HCW – analog der Empfehlung der DVV zur „Prävention der nosokomialen Übertragung des Hepatitis B-Virus (HBV) und Hepatitis C-Virus (HCV) durch im Gesundheitswesen Tätige“ (DVV 2007) – alle operativen und invasiven Tätigkeiten durchgeführt werden, sofern die HIV-Menge im Blut des betroffenen HCW dauerhaft auf ≤50 Kopien/ml abgesenkt ist und die nachfolgend aufgeführten allgemeinen und verhaltenspräventiven Maßnahmen konsequent beachtet werden.
Drei Stufen
Die hier vorgestellten Aspekte zur Prävention einer HIV-Übertragung durch HIV-positive HCW basieren auf drei Stufen:
- der Festlegung des Tätigkeitsspektrums in Abhängigkeit von der Viruslast,
- den zu erfüllenden Voraussetzungen zum Tätigwerden und
- den zu ergreifenden Schutzmaßnahmen.
Voraussetzungen
Die uneingeschränkte Tätigkeit des HIV-positiven HCW ist nur dann möglich, wenn Adhärenz bei der antiretroviralen Therapie besteht und wenn alle zur Vermeidung einer Infektionsübertragung erforderlichen Maßnahmen regelrecht eingehalten werden. Ferner ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Betriebsarzt und HCW hierbei Grundvoraussetzung.
Bei stabilen HI-Viruslastwerten ≤ 50 Kopien/ml können alle operativen und invasiven Tätigkeiten durchgeführt werden, sofern die nachfolgend aufgeführten allge-meinen und verhaltenspräventiven Maßnahmen konsequent beachtet werden:
- Tragen doppelter Handschuhe bei invasiven und operativen Tätigkeiten
- Regelmäßige arbeitsmedizinische Betreuung
- Regelmäßige, mindestens vierteljährliche Kontrollen der HI-Viruslast
- Regelmäßige Betreuung durch einen in der HIV-Therapie erfahrenen Arzt
- Im Bedarfsfall Beratung durch eine Expertenkommission
Wichtige Grundlage für die Beurteilung des adäquaten Einsatzes eines HCW ist primär die vertrauensvolle Kommunikation zwischen ihm und seinem Betriebsarzt.
Beträgt die HI-Viruslast > 50 Kopien/ml (länger als ca. 14 Tage) ist in einem Gespräch zwischen dem HIV-positiven HCW und dem Betriebsarzt zu klären, ob eine Gefährdung Dritter vorliegt oder ob diese Gefährdung akut und/oder künftig ausgeschlossen werden kann (z.B. durch Vermeidung von Tätigkeiten mit Übertragungsgefahr bis die Viruslast wieder ≤50 Kopien/ml beträgt). Erfolgt diese Absprache (dokumentiert) einvernehmlich, sind keine weiteren Schritte erforderlich. In allen anderen Fällen ist die Hinzuziehung weiterer Personen (Expertengremium) notwendig. Die Zusammensetzung dieses Expertengremiums sowie der Ablauf der Vorgehensweise richtet sich nach den Vorgaben des RKI und der DVV (DVV 2007, Wicker et al. 2008).
Tätigkeitsspektrum
Grundsätzlich gelten für HIV-positive HCW klar definierte Auflagen, z.B. das Tragen doppelter Handschuhe, die mit steigender Viruslast ggf. modifiziert werden müssen.
Viruslast <50 Kopien/ml
- Bei einer dauerhaften Viruslast von ≤50 Kopien/ml können von dem HIV-positiven HCW alle operativen und invasiven Tätigkeiten durchgeführt werden.
Viruslast 51-500 Kopien/ml
Wird im Rahmen der routinemäßigen Viruslastbestimmung eine HI-Viruslast zwischen 51 bis 500 Kopien/ml ermittelt, ist abzuklären, ob es sich ggf. um einen „Blip“ handelt. „Blips“ treten i.d.R. nur kurzfristig (<14 Tage) auf und sind mit einer Viruslast <500 Kopien/ml assoziiert (Nettles et al. 2005). Zur Abklärung ist dann eine wiederholte Testung innerhalb von ca. zwei Wochen erforderlich. Ein HIV-positiver HCW, der zunächst eine konstante Viruslast ≤50 Kopien/ml aufweist, bei dem jedoch kurzfristig (d.h. max. ca. 14 Tage) Werte zwischen 51 bis 500 Kopien/ml auftreten, kann weiterhin alle Tätigkeiten ausüben (ggf. unter individueller Berücksichtigung weiterer Parameter). Besteht die erhöhte Viruslast (51 bis 500 Kopien/ml) länger als ca. 14 Tage oder steigt die Viruslast auf >500 Kopien/ml, können nicht mehr alle operativen und invasiven Tätigkeiten ausgeübt und erst wieder aufgenommen werden, wenn die Viruslast konstant bei ≤50 Kopien/ml liegt.
Einschränkungen
HCW mit einer HI-Viruslast von >50 Kopien/ml (länger als ca. 14 Tage) dürfen keine übertragungsträchtigen bzw. verletzungsträchtigen Operationen/Tätigkeiten durchführen.
Nachfolgend werden unter Berücksichtigung der SHEA-Empfehlungen (Henderson et al. 2010) und der DVV-Empfehlungen zu HBV und HCV (DVV 2007) exemplarisch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, entsprechende Tätigkeiten aufgeführt:
Beengtes Operationsfeld mit schlechter oder unterbroche-ner Sichtkontrolle
Operationen mit eingeschränktem Operationsfeld, beispielsweise bei oralchirurgischen oder abdominal- und thoraxchirurgischen Eingriffen in der Tiefe von Körperhöhlen, erfordern hohe Konzentration und technische Fertigkeiten des Operateurs und erhöhen die Verletzungswahrscheinlichkeit, insbesondere wenn manuelles Tasten bei gleichzeitiger Verwendung spitzer Instrumente erforderlich ist.
Lange Operationsdauer (Handschuhwechsel alle 2-3 Stunden erforderlich!)
Mit zunehmender Operationsdauer steigt die Anzahl okkulter Perforationen des Handschuhs und damit die Wahrscheinlichkeit einer Virustransmission. Nach einer Eingriffsdauer von 2-3 Stunden sollten beide Handschuhpaare gewechselt werden.
Mikroverletzungen durch Nahtmaterial
Kräftiges und häufiges Knoten birgt die Gefahr von Verletzungen insbesondere in den Beugefalten der Finger (kleine Schürfwunden bis hin zu tiefen Wunden) durch Einschneiden des Fadens in die Haut. Insbesondere geflochtenes Nahtmaterial kann als Depot oder Leitschiene für Virusmaterial zur Transmission führen.
Manuelle Präparation in der Nähe von Instrumenten oder freistehenden Drähten oder Knochenfragmenten
Operationen mit manueller Führung und Tasten der Nadel sowie gleichzeitiges Arbeiten mit den Fingern und scharfen Instrumenten bergen ein hohes Risiko für Stich- oder Schnittverletzungen, welches sich im Falle von schwierig einsehbarem oder anatomisch bedingt schwer zugänglichem OP-Situs zusätzlich erhöht. Operationen mit spitzen Gegenständen im Gewebe (z.B. Verschluss der Sternotomie oder Anlegen von Cerclagen aus Draht/Stahl, scharfkantige Implantate oder spitze/scharfe Knochenfragmente) bergen mitunter das höchste Verletzungsrisiko. Ein erhöhtes Risiko für intraoperative Verletzungen geht in besonderem Maße vom Verschluss großer Operationszugänge aus, wenn die Wundränder manuell (meist vom Assistenten) und nicht von Instrumenten gehalten werden.
Ausnahmen
Bei einer Erhöhung der Viruslast auf >50 Kopien/ml (länger als ca. 14 Tage)
- kann die Durchführung von Notfalleingriffen mit höchster Dringlichkeit bzw. die Ausweitung des Tätigkeitsfeldes auf verletzungsträchtige Notoperationen unter Berücksichtigung des Erfahrungs- und Ausbildungstandes des Mitarbeiters in Ausnahmefällen zugelassen werden. Dies sollte nur für diejenigen HCW gelten, die bereits einen hohen Kenntnisstand erworben haben und über große Erfahrung verfügen (z.B. Not-Sectio, Notfallthorako- oder -laparotomie, Schockraumverantwortung). Hier sind die Risiken einer Virustransmission gegen den Nutzen des Eingriffs kritisch abzuwägen.
- kann beispielsweise bei Großschadensereignissen, dringlichen Notfallindikationen oder lebensrettenden Soforteingriffen auf der Grundlage einer Nutzen-Schaden-Abwägung (Lebensrettung), grundsätzlich eine uneingeschränkte Tätigkeitsausübung gelten.
Kontrollen
Die HIV-Viruslast ist durch mindestens vierteljährliche Kontrollen zu überprüfen und die Einschätzung der Infektiosität nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik ggf. vorzunehmen. Der Sicherheitsspielraum der HI-Viruslast ist – anders als bei der SHEA-Empfehlung (Henderson et al. 2010) – so gewählt, dass auch vorübergehende Überschreitungen der HIV-Viruslast (bis 500 Kopien/ml) angesichts von unvermeidbaren Messschwankungen toleriert werden können.
Postexpositionelle Prophylaxe
Verletzt sich der HIV-positive HCW und es kommt zu einer Exposition von Patienten (bzw. Dritten, z.B. andere Mitarbeiter im OP) mit dem Blut des HIV-positiven Mitarbeiters, sind die Betroffenen über das Risiko zu informieren und ihnen ist unverzüglich eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) anzubieten. Dies gilt auch, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Exposition besteht, z.B. wenn nicht klar ist, ob aus einer Schnittverletzung des HIV-positiven HCW Blut in den OP-Situs gelangt ist.
Sollte es zur Übertragung größerer Mengen an Blut gekommen sein, muss – soweit möglich - unmittelbar eine PEP – auch in Narkose – erfolgen (mit Dokumentation und anschließender Aufklärung des Patienten).
Ferner ist es erforderlich, eine Blutprobe des HIV-positiven HCW zu asservieren, um – falls es tatsächlich zu einer HIV-Infektion des Exponierten kommt – den Ursprung dieser Infektion über eine Nukleinsäure-Sequenzanalyse abklären zu können, die Infektiosität (Viruslast) des Mitarbeiters zum Zeitpunkt der möglichen Transmission sowie eventuell vorhandene Resistenzen zu bestimmen. Ebenso ist eine Blutprobe des betroffenen Patienten zur Feststellung des Ausgangsstatus zu asservieren.
Ethische und juristische Aspekte
Unter Einhaltung der Vorgaben dieser Empfehlungen gehen von HIV-positiven HCW mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Gefahren für Patienten aus, daher lässt sich aus ethischer Sicht argumentieren, dass keine Verpflichtung besteht, den Patienten über die Infektion des HCW zu informieren.
Unter Einhaltung der Vorgaben dieser Empfehlungen gehen von HIV-positiven HCW mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Gefahren für Patienten aus, daher lässt sich aus ethischer Sicht argumentieren, dass keine Verpflichtung besteht, den Patienten über die Infektion des HCW zu informieren.
Kommt es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu einer potenziellen Gefährdung eines Patienten, ist dieser über das Risiko zu informieren und ihm eine PEP anzubieten. Gleichzeitig ergibt sich die Forderung einer adäquaten Aufklärung zur PEP nach einem derartigen Zwischenfall. Die Schwierigkeit und Bedeutung dieser Krisenkommunikation wird häufig unterschätzt. Es ist aus ethischer und juristischer Sicht nicht nur erforderlich, dass der Patient informiert wird, sondern dass er diese Informationen auf umfassende und verständliche Weise erhält, um sich entscheiden zu können. Daher sollte die Information des Patienten beispielsweise durch einen in der HIV-Therapie erfahrenen Arzt unter Berücksichtigung der besonderen psychischen Situation erfolgen.
Aufsichtsbehörden
Im Sozialgesetzbuch werden Aussagen getroffen, die sich sowohl auf den Schutz der Beschäftigten, als auch auf den Schutz der Patienten vor Gesundheitsgefahren beziehen (VII, § 21: „Der Unternehmer ist für die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren verantwortlich. Die Versicherten haben nach ihren Möglichkeiten alle Maßnahmen zur Verhütung von [...] arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu unterstützen und die entsprechenden Anweisungen des Unternehmers zu befolgen“).
Der HIV-positive HCW muss daher, sofern er in Bereichen arbeitet, die mit einem Übertragungsrisiko für Patienten einhergehen, Maßnahmen ergreifen, die die Ausbreitung jedweder Infektionserreger, nicht nur der HIV-Infektion, verhindern. Dies bedeutet, dass der HCW sich dem Betriebsarzt bzw. der Expertenkommission anvertrauen sollte. Der Betriebsarzt und die Expertenkommission unterliegen der Schweigepflicht, bzw. tagen in unkritischen Fällen anonym. Es muss eine Gefährdungsanalyse des Arbeitsplatzes durchgeführt werden und gegebenenfalls die Weiterbeschäftigung des HIV-positiven HCW in nicht kritischen Bereichen erfolgen.