Kommentar: Kritik der Deutschen AIDS-Hilfe

Die DVV-GfV-Empfehlungen (Rabenau 2012) beziehen sich auf „Health-Care-Worker“. Dieser Begriff wird mit „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen“ übersetzt. 

Diese Ausweitung auf alle Beschäftigten im Gesundheitswesen ist aus Sicht der DAH unnötig. Es gibt viele Bereiche in Klinik und Praxis, in denen die Beschäftigten keinen Patientenkontakt haben.

Krankenbett-Motiv

Selbst Krankenpflegepersonal hätte man komplett ausschließen können. Der bislang einzig dokumentierte Fall einer Übertragung durch eine Krankenschwester (Boujon 2000) ist vom wissenschaftlichen Standpunkt aus der am wenigsten sichere: der Vorgang der Übertragung blieb hier unklar. Damit gilt in den Empfehlungen für alle, was eigentlich nur für einen kleinen Kreis operativ / invasiv tätiger Mediziner/innen gelten sollte.

Am auffälligsten wird diese Situation in der Vorgabe, „bei invasiven und operativen Tätigkeiten“ doppelte Handschuhe zu verwenden. Die amerikanischen Empfehlungen grenzen hier klarer ab, um welche Operationen es sich handelt und um welche nicht. In den amerikanischen Leitlinien wird daher auch besser deutlich, dass die Auflagen nicht für nur anwesende Medizinstudenten, nicht für OP-Schwestern oder andere Krankenpflegekräfte gilt.

Die amerikanischen SHEA-Empfehlungen teilen operative bzw. invasive Eingriffe in drei Kategorien auf. Wir beschreiben anhand von Beispielen diese drei Kategorien (unvollständig):

Kategorien für operative/invasive Eingriffe in den SHEA-Empfehlungen. Kurzgefasst, nach Erreger  und Viruslast (Henderson 2012). Laut SHEA gibt es neben der Vorschrift für die Handschuhe  weitere Auflagen: die Viruslast muss zweimal im Jahr überprüft werden, der „Health-Care-Worker“  muss bei einem HIV-Experten in Behandlung sein und von einem Experten zur Infektionskontrolle  (Betriebsarzt?) beraten werden. Mit freundlicher Genehmigung HIV-Report 4/2012

Kategorien für operative/invasive Eingriffe in den SHEA-Empfehlungen. Kurzgefasst, nach Erreger  und Viruslast (Henderson 2012). Laut SHEA gibt es neben der Vorschrift für die Handschuhe  weitere Auflagen: die Viruslast muss zweimal im Jahr überprüft werden, der „Health-Care-Worker“  muss bei einem HIV-Experten in Behandlung sein und von einem Experten zur Infektionskontrolle  (Betriebsarzt?) beraten werden. Mit freundlicher Genehmigung HIV-Report 4/2012

Die Auflistung dient auch besser der Klärung, dass die Tätigkeiten von Krankenpflegekräften wie Blutabnehmen, Injektionen setzen, Infusionen und Verbände wechseln unter keine der drei Kategorien fällt. Hier reichen die üblichen Hygieneregeln. Diese sind schließlich dafür gemacht, nicht nur eine HIV-Übertragung, sondern auch die Übertragung anderer Infektionskrankheiten auszuschließen.

Wahrscheinlichkeit einer Übertragung

Sowohl die amerikanischen SHEA- als auch die deutschen DVV-GfV-Empfehlungen schätzen das durchschnittliche Risiko, sich mit einem scharfen Gegenstand (Nadel, Skalpell), der mit virushaltigem Blut behaftet ist, anzustecken, wie folgt ein:              

HIV ca. 0,3%
Hepatitis C (HCV) ca. 3%
Hepatitis B (HBV) ca. 30%

Die angegebenen Transmissionswahrscheinlichkeiten sind Durchschnittswerte. Im individuellen Fall hängt das Risiko u.a. auch von der Viruslast, von der in die Wunde gelangten Blutmenge und von der Wundtiefe (oberflächlicher Kratzer oder Blutung in Operationsbereich) ab.

In Deutschland wurde seit Beginn der HIV-Epidemie noch kein einziger Fall beschrieben. Auch weltweit gibt es (laut DVV-GfV und SHEA-Empfehlungen) in der wissenschaftlichen Literatur gerade einmal vier Fälle. In einer Studie wurde untersucht, ob HIV-positive „Health-Care-Worker“ Patient(inn)en angesteckt haben könnten. Das Centers for Disease Control and Prevention (CDC) testete über 22.000 Patientinnen und Patienten von über 51 HIV-positiven Health-Care-Worker. Eine HIV-Übertragung von HCW auf Patient(inn)en konnte nicht nachgewiesen werden (Robert 1995).

Sowohl DVV-GfV als auch SHEA-Empfehlungen betonen, dass eine HIV-Übertragung von Ärzten (bzw. „Health-Care-Workern“) auf Patienten eine absolute Rarität darstellt und im normalen Klinik- oder Praxisalltag praktisch ausgeschlossen werden kann.

Generell gibt es ein nicht unbedeutendes Risiko sich im Krankenhaus mit sogenannten Krankenhauskeimen zu infizieren (nosokomiale Infektionen). Daher gibt es zur Erfassung solcher Infektionen ein bundesweites „Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS)“.

Nun ist es bei weitem nicht so, dass sich alle nosokomialen Infektionen auf Hygienefehler von Ärzten/Ärztinnen und Krankenpflegekräften zurückführen ließen. Laut Geffers und Gastmeier zeigen Untersuchungen, dass sich durch Infektionskontrollstrategien Reduktionen zwischen 11 und 55% erreichen lassen.

Es gibt also viel zu tun zur Reduktion nosokomialer Infektionen. Die Ausgrenzung von HIV-positiven Mitarbeiter/innen trägt nicht dazu bei, ebenso wenig das Tragen doppelter Handschuhe.


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