Christoph
D. Spinner, Wolfgang Reindl, Roland M. Schmid Und Christian Lersch, München
Panproktitis durch lokale
Wasserstoffperoxidintoxikation
Ein 34jähriger männlicher Patient mit osteuropäischem Migrationshintergrund stellte sich am Wochenende notfallmäßig mit kolikartigen abdominellen Schmerzen, Tenesmen und Hämatochezie in der Notaufnahme unserer Klinik vor. Die Beschwerden bestanden anamnestisch seit 1-2 Stunden und seien ohne Prodromi aufgetreten. Auf Nachfrage beschrieb der schüchtern wirkende Patient eine unverdünnte 3%-ige Wasserstoff-peroxid-Lösung (H2O2)-Lösung zum Zwecke der Darmreinigung mit Hilfe eines „Irrigators“ (Vorrichtung zur selbständigen Darmreinigung bei Koprostase) eingeführt zu haben. Dies erfolgte im Rahmen der Vorbereitung auf einen homosexuellen Sexualkontakt. Nach Applikation verspürte der Patient plötzlich einsetzende kolikartige und im Verlauf progrediente Schmerzen. Seither wurden 20 Stuhlgänge pro Stunde berichtet.
Abb. 1 und 2 Sonographische Darstellung der bis auf 15 mm verdickten Darmwand in 2 Ebenen
Massiver Befund
Zum Zeitpunkt der Aufnahme bestand laborchemisch eine Leukozytose (13,62 G/l) bei fehlender Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP) ohne relevante Zeichen einer Blutungsanämie (Hämoglobin 15,5 mg/dl) oder Koagulopathie (INR 1,1, aPTT 29 sek.). Klinisch bestand ein diffuser abdomineller Druckschmerz ohne Anhalt für abdominelle Abwehrspannung. Es erfolgte eine Anlagesie mit Butylscopolamin und Metamizol. Sonographisch zeigte sich eine Verdickung der Rektumwand auf bis zu 15 mm (Abb. 1 und 2). Wir haben eine Rektosigmoidoskopie mit Nachweis einer bis ins Sigma reichenden ödematös-geröteten und kontaktvulnerablen Darmschleimhaut ohne Nekrosen durchgeführt (Abb. 3). Zusammenfassend sahen wir das Bild einer oberflächlich-verätzten Darmmukosa.
Falsche Darmreinigung
Nach 24stündiger stationärer Überwachung, symptomatischer Volumenersatztherapie und analgetischer Medikation kam es zur spontanen Besserung der Symptomatik. Zur Prophylaxe möglicher rektaler Stenosen wurde eine lokale Steroid-Therapie mittels Budesonid-Klysma über 7 Tage durchgeführt. Im Rahmen einer ausführlichen Aufklärung erklärte der Patient, die 3%-ige Wasserstoffperoxidlösung und Einführhilfe für hohe rektale Applikation („Irrigator“) von einer Freundin zur Verwendung vor rezeptivem Analverkehr erhalten zu haben. Die Anweisung zur Verdünnung der Lösung habe er versäumt. Im Rahmen der Sexualanamnese beschreibt er mehrfache ungeschützte Kontakte zu Männern, insbesondere ein HIV- oder STD-Übertragungsrisiko war ihm bislang nicht bekannt. Nach unauffälliger HIV- und Lues-Diagnostik erfolgte eine ausführliche Aufklärung über „safe-sex“-Verhalten einschließlich der Übertragbarkeit möglicher Geschlechtskrankheiten („STD-counseling“). Eine endoskopische Verlaufskontrolle des klinisch beschwerdefreien Patienten im Intervall von vier Wochen ergab einen Normalbefund der eingesehenen Mukosa, insbesondere kein Hinweis auf das Vorliegen einer Stenose.
Diskussion
Abb. 3 Makroskopische Darstellung der oberflächlich-verätzten, ödematös-geröteten Schleimhaut des Rektums
Wir berichten den Fall einer Panproktitis durch Wasserstoffperoxidintoxikation. H2O2 ist eine schwache Säure mit starker oxidativer Wirkung. Seine bleichende, desinfizierende und antiseptische Wirkung ist bereits lange bekannt. Wasserstoffperoxid kam im medizinischen Bereich neben der Instrumentendesinfektion auch im Bereich der Pädiatrie in verschiedenen Dosierungen von 0,75%-1,25% zur Therapie des Mekoniumileus zum Einsatz.1 Bereits unmittelbar nach der Einführung war der Einsatz aufgrund berichteter lebensgefährlicher Komplikationen umstritten.2 In der Folge verlor Wasserstoffperoxid im Rahmen dieser Indikation rasch an Bedeutung. In der Literatur finden sich wenige Fallberichte zur Proktitis durch Wasserstoffperoxid-Lösung im Rahmen der rektalen Anwendung bei Obstipation oder zur antiseptischen Therapie bei rektovaginalen Fisteln.3,4 In Einzelfällen sind lebensgefährliche Komplikationen durch seine Applikation beschrieben.5 Auch in der deutschsprachigen Literatur finden sich Berichte über Kolitiden nach lokaler Wasserstoffperoxidapplikation im Rahmen der Lösung impaktierter Koststeine als Differentialdiagnose einer regionalen Kolitis.6 Aufgrund einer fehlerhaften Instrumentenaufbereitung mit 3%-iger Wasserstoffperoxid-Lösung konnte in einer 14-tägigen Episode im Jahre 1989 in den USA die Auswirkungen der akzidentiellen lokalen Wasserstoffperoxid-Intoxikation studiert werden. Hierbei erwies sich bereits die eingesetzte 3%-ige Lösung zur Instrumentendesinfektion als toxisch.7 Zur Diagnostik ist die Endoskopie als sichere und einfache Möglichkeit zur Beurteilung der lokalen Entzündungsaktivität geeignet.3 In Fallberichten konnte bei wenig ausgeprägter regionaler Kolitis zumeist eine spontane Besserung ohne Indikation zur stationären Überwachung beschrieben werden.8 Im Verlauf werden Komplikationen wie Fistelbildung oder Stenosen nur selten beobachtet, würden aber grundsätzlich eine chirurgische Intervention erfordern. Die Bedeutung therapeutischer Optionen wie lokaler Steroidapplikation oder chirurgischer Intervention ist aufgrund fehlender klinischer Studien unklar.9
Migranten aufklären
Neben der akzidentiellen H2O2-assoziierten Kolitis fand sich in unserem beschrieben Fallbericht auch ein deutlich erhöhtes sexuelles Risikoverhalten mit erhöhtem STD- und HIV-Transmissionrisiko bei ungeschütztem Sexualverkehr mit Männern (MSM). Die Gruppe der Zentral- und Osteuropäischen Einwanderer (CEE) in der Risikopopulation men having sex with men (MSM) gewinnt hierbei aufgrund zunehmender Integration durch Grenzöffnung innerhalb Europas an Bedeutung. Versuche das sexuelle Risikoverhalten dieser Gruppe zu stratifizieren, gestalten sich bislang als schwierig. Die CEE-Risikogruppe konnte in stratifizierten „safe-sex“ Aufklärungsprogrammen bislang nur unzureichend angesprochen werden.10
Aufgrund der Tatsache vermehrt ungeschützter Sexualkontakte HIV-positiver oder bereits STD-Infizierter im Rahmen von durch Internetkontaktbörsen vermittelten Sexualkontakten11 kommt insbesondere der Aufklärung eine entscheidende Rolle zu. Ein individuelles Aufklärungsgespräch bleibt hierzu bis zur Entwicklung alternativer Präventionsstrategien ein unerlässlicher Bestandteil der Prävention.
Fazit für die Praxis
Als Ursache einer regionalen Kolitis kommen neben gängigeren Ursachen bei entsprechender Anamnese auch lokal-toxische Substanzen im Rahmen sexueller Praktiken in Frage. Die sonographische und endoskopische Diagnostik sind hierbei einfache diagnostische Optionen. Therapeutischer Handlungsbedarf ergibt sich selten, ideale therapeutische Strategien sind aufgrund geringer Fallzahlen unklar.
Insbesondere hier dargestellte Risikogruppen wie Migranten oder bislang unzureichend „safe-sex“ aufgeklärte Personen sollten im Rahmen des ärztlichen Kontaktes neben einer STD-Diagnostik (insbesondere einschließlich HIV-Diagnostik) auch ein ausführliches Beratungsgespräch („safe-sex counseling“) erhalten.
Abkürzungen
aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit), CEE (Zentral- und Osteuropa), CRP (C-reaktives Protein), H2O2 (Wasserstoffperoxid), HIV (Human Immunodeficiency Virus), INR (International Normalized ratio), MSM (Men having sex with men), STD (sexual transmitted disease)
Literatur beim Verfasser