Pioniere der Heilung
Autor Armin Schafberger
Matt Sharp aus San Francisco ist seit 1988 HIV-positiv und hat seitdem so ziemlich alles miterlebt. Er nahm in den 90-er Jahren immer wieder antiretrovirale Medikamente ein. Da damals die Therapie noch nicht so wirksam war, wurde das Virus bei ihm immer wieder resistent. Schließlich galt er als „Salvage Patient“, dem scheinbar keine Therapiekombination mehr „Rettung“ bringen konnte. Doch seit 2007 wird Sharp durch neue Medikamente erfolgreich behandelt – seine Viruslast im Blut liegt seither unter der Nachweisgrenze. Nur sein Immunsystem reagierte nicht so, wie dies bei einer effektiven Unterdrückung der Virusproduktion eigentlich der Fall sein sollte: Die Zahl der Helferzellen stieg nicht wesentlich an.
Heilungsstudien sind anders
Selbstlos für die Forschung: Aktivist Matt Sharp
Matt Sharp hat schon an Dutzenden von Studien zur Erforschung der HIV-Infektion und -Therapie teilgenommen. Er ist seit fast einem Vierteljahrhundert HIV/Aids-Aktivist und setzt sich auf politischer Ebene für den Zugang zur medizinischen Versorgung, gegen die Diskriminierung von Menschen mit HIV und für die Forschung ein. Sharp war auch einer der ersten, die an einer klinischen Studie zur Heilung teilgenommen haben. Man könnte denken: nur eine weitere Studie von vielen. Aber Heilungsstudien sind anders.
In den letzten 20 Jahren war die Teilnahme an einer Medikamentenstudie oft auch mit einem Vorteil verbunden: Man hatte viele Monate früher Zugang zu einer vielleicht lebenserhaltenden Therapie, die in der medizinischen Versorgung noch nicht verfügbar war. Oft wog das die Nachteile einer Studienteilnahme auf. Nicht so bei Heilungsstudien. HIV-Positive haben heutzutage in der Regel gute Therapieoptionen und bei rechtzeitiger Diagnose eine fast normale Lebenserwartung. Studien zur Heilung können zum jetzigen Zeitpunkt keinen Erfolg versprechen. Der potenzielle Nutzen für den Studienteilnehmer geht gegen Null. Dafür sind die Strapazen einer Studienteilnahme und die Risiken hoch.
Experimente mit einen neuen gentherapeutischen Weg
Matt Sharp hat eine Gentherapie hinter sich, die vorher lediglich an „humanisierten“ Mäusen – ihnen wurde ein menschliches Immunsystem transplantiert – erprobt worden war: Im Sommer 2009 nahm man ihm Blut ab; die darin enthaltenen Immunzellen, die normalerweise von HIV infiziert werden, hat man gentherapeutisch mithilfe sogenannter Zinkfingernukleasen verändert. Ihr verändertes Gen sorgt nun dafür, dass der CCR5-Rezeptor, den HIV zum Eindringen in die Zelle braucht, nicht mehr ausgebildet wird.
Eine Transplantation von CCR5-negativen Stammzellen hatte bei Timothy Brown, dem „Berlin-Patienten“, zur Heilung von HIV geführt. Allerdings benötigte Brown die Transplantation aus anderen Gründen: er litt an einer akuten Leukämie. Die Stammzellen stammten von einem Spender, der mit der Erbinformation seiner Mutter wie auch seines Vaters diesen eigentlich fehlerhaften Gencode erhalten hatte. Diese Eigenschaft, die ihn praktisch immun gegen das Virus macht, teilt er mit nur einem Prozent der europäischen Bevölkerung.
Eine Transplantation von Immunzellen eines anderen Menschen, wie sie bei Timothy Brown durchgeführt wurde, ist jedoch lebensgefährlich. Denn vorher muss das eigene Knochenmark vollständig zerstört werden. Bei Matt Sharp versuchte man erstmals einen anderen Weg: Die eigenen Immunzellen sollten verändert werden. Das jedoch bedeutet, dass man die Gene verändern muss: Nur so besteht die Chance, dass nicht nur die veränderte Zelle, sondern auch die Tochterzellen und deren Tochterzellen gegen HIV immun sind. Der Effekt soll dauerhaft sein.
Das „alte“ genetische System war bei Sharp stärker
Sharp hatte seine veränderten Zellen per Infusion zurückerhalten, sie blieben nicht nur im Blut, sondern siedelten sich auch in den Lymphknotennestern der Darmschleimhaut an. Sechs Prozent der Helferzellen waren nun ohne Rezeptor, doch leider übernahmen die veränderten Zellen nicht die Regie. Ihre Zahl nahm im Lauf der Zeit wieder ab, das „alte“ genetische System war stärker. Immerhin war auch die Gesamtzahl der Helferzellen noch ein Jahr nach der Prozedur erhöht, bis sie anderthalb Jahre danach wieder abfiel, wobei sie aber weiterhin über dem Wert vor der Gentherapie lag.
Was war der Preis für diesen fragwürdigen Nutzen? Sharp hat nun nicht nur mehrere Infusionen, monatliche Blutentnahmen und Kontrollen hinter sich, sondern auch sechs Biopsien der Schleimhaut des Enddarms sowie eine Lymphknotenbiopsie. Man wollte schließlich wissen, ob die Zellen nicht nur im Blut schwimmen, sondern auch in das Immunsystem integriert werden und sich vermehren.
An Folgestudien kann Matt nicht mehr teilnehmen
Bei der Studie, an der Matt Sharp teilnahm, ging es um die Sicherheit, also die Risiken und Nebenwirkungen der Therapie. Erst in den nächsten Studien des Forschungsstufenplans wird die Wirksamkeit untersucht, also die Frage, was genau eine solche Therapie auf Dauer bringt. Sharp wäre bereit, bei einer solchen Studie mitzumachen, doch wahrscheinlich wird ihm das verwehrt bleiben. Denn zum Einbringen der Zinkfingernukleasen in den Zellkern benötigt man als Transportsystem ein Adenovirus, das beim Menschen normalerweise vor allem Infektionen der Atemwege verursacht. Weil sein Immunsystem nun schon beim ersten Versuch mit diesem Transportvirus in Kontakt gekommen ist, könnte es bei einem zweiten Kontakt überreagieren und den Transporter zerstören.
Matt Sharp wird somit, wenn es um die Frage der Wirksamkeit des Heilungsversuchs geht, nicht mehr dabei sein. Wahrscheinlich bleibt ihm dieser Weg zukünftig ganz verschlossen.
Irgendwann kommt dann die Stunde der Wahrheit
Jetzt erschienen:
HIV-Report „Positiv im Gesundheitsbereich“ (Zur Situation von HIV-positiven Ärztinnen, Ärzten und Krankenpflegekräften | Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV) | Vergleich mit US-amerikanischen SHEA-Empfehlungen | Übertragungswahrscheinlichkeiten | Kritik der Deutschen AIDS-Hilfe | Zur Kündigung eines Chemisch-Technischen Assistenten).
Wenn es um die Wirksamkeit auch der anderen Wege zu einer Heilung geht, kommen weitere Herausforderungen auf die Probanden zu. Dann muss irgendwann auch die antiretrovirale Therapie versuchsweise abgesetzt werden, um zu prüfen, ob das Virus nach wenigen Tagen wieder da ist und sich vermehrt. Matt Sharp hatte seine Medikamente während des Versuchs weiter eingenommen. Von Therapiepausen weiß man, dass sie schädlich sind.
Noch brenzliger ist die Frage einer Therapiepause für Versuchspersonen, die sehr früh nach der Infizierung therapiert wurden, um zu verhindern, dass sich die Virusreservoire im Darm, den Lymphknoten und im Gehirn füllen. Dort nämlich vermutet man „Schläferzellen“: Sie tragen zwar HIV in ihrem Erbgut, produzieren aber kein Virus. So überdauern sie Jahre und Jahrzehnte. Durch intensive und frühe Therapie hofft man, dass es nur wenige Schläferzellen gibt und diese nach vielleicht sieben Jahren ausgestorben sind.
Irgendwann kommt dann die Stunde der Wahrheit, bei der man mit der antiretroviralen Therapie aufhören und warten muss, ob die Viruslast ansteigt. Und wenn sie ansteigt, war alles umsonst, denn dann füllen sich die Reservoire wieder.
Für den Einzelnen gibt es viel zu verlieren
Versuche zur Heilung verlangen den teilnehmenden Patienten viel ab. Zugleich erfordern sie besonders intensive Aufklärung und Information. Der Aktivist Matt Sharp fordert daher eine Beteiligung von Patientenvertretern auch an der Planung der Studien. Denn für den Einzelnen gibt es viel zu verlieren.
Sharp weiß auch, dass ein Risiko der Gentherapie die Entstehung von Krebserkrankungen ist. Schließlich hat man die Erbsubstanz von Zelllinien verändert. Darüber muss man informieren. Für Sharp ist trotzdem klar, dass es weitergehen muss. Er will dazu beitragen, die HIV-Infektion erfolgreich zu therapieren. Dafür geht er auch Risiken ein.