Streiflicht
Die Zeiten ändern sich – auch im Krankenhaus
Unsere Welt wird immer unromantischer. Früher hatten wir einen König. Es war uns ein Bedürfnis, ihn zu bewundern, mögliches Fehlverhalten interessierte uns nicht. Der König war sakrosankt, wir himmelten ihn an und es war uns nachgerade ein Bedürfnis, ihn von gleichmacherischen Ansprüchen freizustellen. So ungefähr himmeln wir heute Helmut Schmidt an. Keiner darf in unserem Land mehr öffentlich rauchen, Helmut Schmidt darf – immer und überall. Und das ist auch gut so.
Doch ach, wir stoßen immer mehr Ikonen vom Thron. Seit der Kapitalisierung des Gesundheitswesens hat es nun auch die Chefärzte erwischt. Vorbei die Zeiten, in denen sie die Personalhoheit innehatten, Assistenten den Professoren die Türen einrannten, um bei dieser oder jener Ikone arbeiten (und publizieren!) zu dürfen, gerne auch mal 24 oder 36 Stunden am Stück.
Weniger Personal = mehr Profit
Heute geht´s um „Work-Life-Balance“, Familien- und Zukunftsplanung. Zeiten ändern Dich: Selbstausbeutung als Teil ärztlichen Selbstverständnisses scheinen unwiederbringlich vorbei. Chefärzte stehen heute unter der Knute von Betriebswirtschaftlern. Wollen Sie den „variablen“ Teil Ihrer Vergütung erhöhen, müssen sie zunächst ihre eigene Abteilung kaputtsparen – je geringer die Personalkosten, desto höher der persönliche Bonus. Natürlich bei gleichzeitiger Erhöhung der Fallzahlen. Logik? Patientenwohl? Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie? Ärzte als Akkordarbeiter.
Die Besten gehen zuerst
Ein Krankenhaus, irgendwo in Deutschland. Alle arbeiten am Anschlag. Der Zusammenhalt ist super, man kennt sich viele Jahre. Nur das macht es irgendwie erträglich. Ein junger Kollege, mittelgroß, blondgelocktes Haar, fein gezeichnetes Gesicht, charmant, intelligent, sympathisch – Typ Schwiegersohn im besten Sinne. Dann, beim abendlichen Kabarettbesuch – auf den gemeinsamen freien Abend mussten wir zwei Monate hinplanen – sagt der Kollege: „Nächsten Monat kündige ich. Wenn ich keine Partnerschaft hätte, wäre ich schon längst depressiv. Ich will das nicht mehr mitmachen, will es mir und den Patienten nicht mehr antun.“ Ich falle fast vom Stuhl. Seine Differenziertheit, seine innere Ruhe berühren mich. Da weiß jemand genau, weshalb er etwas will – oder eben nicht. Ob er denn was Neues habe, stammele ich. Nö, erstmal raus da, irgendwas finde sich schon. Na, bravo, ein toller Arzt und Kollege – weg ist er. Die Besten gehen immer zuerst.
Ersatz für Ersatz für Ersatz
Wider Erwarten findet sich tatsächlich schnell Ersatz, eine junge Kollegin kommt. Sie geht von einer gründlichen Einarbeitung aus, wundert sich nach zwei Tagen über die häufigen Wochenenddienste. Das gehe doch gar nicht konform mit den Arbeitszeitgesetzen. Man muss schon ziemlich ausgepowert sein, wenn man solche sachlich richtigen Anmerkungen nur noch mit einem höhnischen Lachen kommentiert. Nach drei Wochen Arbeit ohne einen freien Tag meldet sich die Kollegin krank. Mal sehen, ob sie jemals wieder kommt.
Und die Führungsebene? Beklagt die verweichlichte Jugend. HAART-Breaker