Nils Von Hentig, Frankfurt
Pharmakologie von Tenofovir-Alafenamid

Im Prinzip sind alle NRTI prodrugs, da diese erst durch die dreifache Phosphoryllierung ihre antivirale Wirkung
entfalten. Tenofovir-Alafenamid folgt dabei einem neuen prodrug-Wirkprinzip.

Tenofovir-Disoproxylfumarat (TDF) ist ein seit vielen Jahren eingesetzter NRTI, welcher gut toleriert wird und eine gute Langzeit-Wirksamkeit gegen HIV-1 aufweist. Die orale Gabe von TDF resultiert in hohen Plasmakonzentrationen, wo die Substanz jedoch verhältnismäßig schnell abgebaut und somit die eigentlich wirksame Form für die Aufnahme in die Zielzellen reduziert wird. Insofern erschien eine Weiterentwicklung von TDF prodrugs sinnvoll, welche stabiler im Plasma vorliegen, schneller in die Zielzelle transportiert und erst intrazellulär selektiv in die eigentlich wirksame Form metabo-lisiert werden. Aus mehreren solcher Substanzen (u.a. GS-9131, GS9148) wurde schließlich GS-7340 (9-[®-2-[[(S)-[[(S)-1-(isopropoxycarbonyl)ethyl]amino] phenoxyphosphinyl]methoxy]propyl]adenin, das Tenofovir-Alafenamid (TAF) zur weiteren Entwicklung ausgewählt. Vergleichen mit TDF ist TAF im Plasma wesentlich stabiler und erreicht einen ca. 30x höheren Anteil an aktivem Diphosphat-Mataboliten in lymphatischem Gewebe2 und peripheren Blut-Mononukleozyten (PBMCs).

Pharmakokinetik

Abb. 1 Aktivierung von TAF zum aktiven  Metaboliten Tenofovir (TFV
Abb. 1 Aktivierung von TAF zum aktiven Metaboliten Tenofovir (TFV

Da der aktive Metabolit TFV nicht aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden kann, muss man sich ein prodrug, TDF bzw. nun TAF, zur Hilfe nehmen. Die Eigenschaften dieses prodrug sind strukturell analog zu einer Klasse von Substanzen, die sich Phosphoramidat Pronukleotide nennt. Durch die Umwandlung von TAF mithilfe eines in den Zielzellen vorkommenden körpereigenen Enzyms, des Cathepsin A, wird sichergestellt, dass der eigentliche Wirkstoff erst am Wirkort entsteht und ein vorzeitiger Abbau im Plasma verhindert wird (Abb. 1). Hierdurch werden eine wesentlich geringere Dosierung und somit auch weniger Nebenwirkungen bedingt durch geringe Plasmakonzentrationen möglich.

Letztlich bleiben die Eigenschaften des aktiven Metaboliten Tenofovir davon unberührt: Eine lange Plasmahalbwertszeit von ca. 17h sowie eine noch längere intrazelluläre Halbwertszeit (~41h) erlauben die einmaltägliche Gabe (Abb. 2). Vorteil ist jedoch der wesentlich geringere im Plasma verbleibende und dort bereits eliminierte Anteil von Tenofovir (TFV), dem eigentlich wirksamen und Nebenwirkungen auslösenden Metaboliten, sowie die deutlich niedrigere Dosis, die gegeben werden muss, um intrazellulär hohe Konzentrationen zu erreichen.

Abb. 2 Tenofovir (TFV)-Plasmakonzentrationen über 24 Stunden  im Vergleich bei Gabe von TAF 40, 25 oder 8 mg bzw. TDF 300 mg 10
Abb. 2 Tenofovir (TFV)-Plasmakonzentrationen über 24 Stunden im Vergleich bei Gabe von TAF 40, 25 oder 8 mg bzw. TDF 300 mg 10

Abb. 3  TDF-Plasmakonzentrationen von EVG/C/FTC/TAF im Vergleich mit EVG/C/FTC/TDF
Abb. 3 TDF-Plasmakonzentrationen von EVG/C/FTC/TAF im Vergleich mit EVG/C/FTC/TDF

Abb. 4  Viruslastabfall unter verschiedenen Dosierungen von TAF sowie TDF über 10 Tage in der Phase I (REF Ruane et al. JAIDS 2013)
Abb. 4 Viruslastabfall unter verschiedenen Dosierungen von TAF sowie TDF über 10 Tage in der Phase I (REF Ruane et al. JAIDS 2013)

Wichtig hierbei ist jedoch die Tatsache, dass trotz deutlich niedrigerer TAF-Exposition im Plasma die gleichzeitig
gemessenen Intrazellulären Konzentrationen in PBMCs 17-fach höher waren als bei TDF.

TAF plus Booster

Wird TAF zusammen mit einem Booster, d.h. Cobicistat (COBI) oder Ritonavir (RTV) eingesetzt, kann die einzunehmende Dosis noch einmal reduziert werden: Die gleichzeitige Gabe von COBI oder RTV erhöht die TAF-Plasmakonzentrationen um das 2-fache. COBI oder RTV hemmen den zellulären Effluxtransporter P-Glykoprotein in der intestinalen Mukosa und erhöht so die Bioverfügbarkeit von TAF.11 Folgerichtig wird TAF in E/C/F/TAF (Elvitegravir, Cobicistat, Emtricitabine, Tenofovir-Alafenamid) mit 10 mg dosiert.11

Die Formulierungen von EVG/C/FTC/TDF und EVG/C/FTC/TAF wurden in klinischen Studien untersucht. Eine PK-Substudie zeigte eine deutlich geringere Plasmakonzentration von Tenofovir in der EVG/C/FTC/TAF-Gruppe vs. EVG/ C/FTC/TDF bei gleichzeitig ~4,1-fach erhöhten intrazellulären TFV-Konzentrationen (Abb. 3).

Pharmakodynamik

In einer ersten Phase-I-Studie erhielten insgesamt 38 HIV-1 positive Erwachsene entweder TAF 8 mg (n=9), TAF 25 mg (n=8), TAF 40 mg (n=8), TDF 300 mg (n=6) oder Placebo (n=7) über insgesamt 10 Tage. Hierbei zeigten TAF 25 mg und 40 mg annähernd gleiche Viruslastreduktion nach 10 und 14 Tagen, um ~0.5 log10 besser als TDF, so dass letztlich die niedrigere Dosis von 25 mg in die weiteren Zulassungsstudien aufgenommen wurde.

Auch waren im Vergleich mit Tenofovir Sicherheit und Verträglichkeit in dieser kurzen Studie vergleichbar.

In der zweiten Phase der klinischen Zulassungsstudien wurden Single-Tablet Regime miteinander verglichen, die entweder TAF (n=112) oder TDF (n=58) enthielten und zusammen mit Elvitegravir, Cobicistat, Emtricitabine (EVG/C/FTC) gegeben wurden. Nach 48 Wochen Therapie wurden bei jeweils drei Patienten/Studienarm virale Resistenzen aufgrund von virologischem Versagen untersucht. Bei einem Patienten im TDF-Arm wurde M184V und K70R, bei dem anderen M184V kombiniert mit der Integrase-Resistenzmutation E92Q detektiert. Kein Patient aus dem TAF-Arm hatte eine virale Resistenz. Das Sicherheitsprofil der beiden Kombination war generell vergleichbar. Keiner der Patienten beendete die Studie aufgrund von Nebenwirkungen.

Hinsichtlich der Laborparameter fanden sich hingegen signifikante Unterschiede zwischen den beiden Studienarmen – insbesondere Erhöhungen von Gesamtcholesterin und HDL-Cholesterin sowie Veränderungen der Nierenretentionsparameter (Serum-Kreatinin Anstieg 0,07 vs. 0,10 mg/dl, p=0,07 bzw. eGFR -5,5 vs. 10,0 ml/min, p=0,041) und der Knochendichte. Alle Patienten erreichten das Plateau der Nierenwertveränderungen nach vier Wochen und blieben dann stabil bis Woche 48. Inwieweit diese Veränderungen klinisch relevant sind, konnte diese Studie aufgrund ihrer Studiendauer nicht beantworten.

PK-Substudie

Abb. 5  Renale tubuläre Transporter, die mit TFV und COBI interagieren: TFV wird über die Anionentransporter OAT1 und 3 sowie MRP4 sekretiert. COBI hemmt die Kationentransporter OCT2 und MATE1 und somit die tubuläre Sekretion von Kreatinin, nicht jedoch TFV
Abb. 5 Renale tubuläre Transporter, die mit TFV und COBI interagieren: TFV wird über die Anionentransporter OAT1 und 3 sowie MRP4 sekretiert. COBI hemmt die Kationentransporter OCT2 und MATE1 und somit die tubuläre Sekretion von Kreatinin, nicht jedoch TFV

Die deutlich niedrigeren Tenofovir-Plasmaspiegel von TAF (-91% gegenüber TDF), die in der PK-Substudie an 26 Patienten gemessen wurden, scheinen bei diesen Veränderungen eine Rolle zu spielen, so dass die Knochendichteminderung sowie die renale Toxizität von TAF deutlich geringer ausfallen als bei TDF. Gleichzeitig erreichten die intrazellulären Tenofovir-Konzentrationen in PBMCs von Patienten aus dem TAF-Arm 7-9x höhere Werte als im TDF-Arm.

TAF und Niere

Der renale Eliminationsweg von TFV ist bekannt. TFV, der aktive Metabolit von TAF bzw. TDF, wird zunächst aktiv über die basale Membran der Tubulusepithelzelle via OATP 1 und 3 sowie über die tubuläre Membran via MRP4 transportiert. Diese Aniontransporter werden von COBI nicht signifikant beeinflusst, während wiederum COBI den Kationentransportweg via OCT2 und MAT1 und damit z.B. den Kreatinin-Transport hemmt. Eine Kumulation von TFV in der renalen Tubuluszelle kann somit bei Kombination mit COBI ausgeschlossen werden.

TAF hat die Nierenretentionswerte in klinischen Studien auch signifikant weniger beeinflusst als TDF. Bereits auf der CROI 2013 wurden PK-Daten aus einer Phase-2b-Studie (GS-USA-292-0112) zu diesem Thema vorgestellt. 14 Patienten (6 männlich, 8 weiblich; mittleres Alter 65 Jahre) mit Niereninsuffizienz Grad III wurden in einer Matched-Pairs-Analyse mit 13 Patienten mit normaler Nierenfunktion (6 männlich, 7 weiblich; mittleres Alter 63 Jahre) miteinander verglichen. Die Studienmedikation bestand aus 25 mg TAF QD, welche am Morgen des Messtages verabreicht wurde und es folgte eine intensive PK-Messung von TAF/TDF-Plasmaspiegeln über 12 bzw. 24 Stunden. Die AUC von TAF war insgesamt 92% höher bei Patienten mit Niereninsuffizienz als bei Patienten ohne Nierenfunktionsstörung (AUC 513 vs. 267ng*h/mL, GMR = 192; Cmax 354 vs. 199ng/mL, GMR = 179).

In einer zweiten Messung unter steady-state Bedingungen wurden wiederum dieselben Patienten über 24 Stunden mit einer dritten historischen Kontrollgruppe verglichen, die TDF erhielt (n=24). Es fanden sich zwar um das 5,7-fach erhöhte Spiegel von TDF in der Gruppe mit Niereninsuffizienz gegenüber Patienten ohne Niereninsuffizienz. Dennoch war die Exposition immer noch niedriger als bei Patienten, welche das herkömmliche TDF 300 mg QD erhielten, so dass die Autoren folgerten, TAF benötige selbst bei schwerer Niereninsuffizienz mit einer GFR <30 mL/min keine Dosisanpassung.

Diskussion

Tenofovir-Alafenamid (TAF) folgt einem neuen prodrug-Wirkprinzip. Dies ist ein innovatives Konzept, welches bereits für andere Wirkstoffe, z.B. in der Diabetestherapie, getestet wird.

In Kombination als EVG/C/FTC/TAF hat TAF eine gute Wirksamkeit gezeigt, die dem Vergleichspräparat EVG/C/FTC/TDF mit nicht unterlegen war. TAF ist als Einzelsubstanz und in Kombination gut verträglich und zeigt deutlich weniger unerwünschte Nebenwirklungen als Kombinationen mit TDF, welches sich vor allem in der HIV-Langzeittherapie bemerkbar machen dürfte. Die Erhöhung der Nierenretetionsparameter und die Verminderung der Knochendichte fallen im Vergleich zu TDF über 48 Wochen Behandlungsdauer deutlich niedriger aus.

Einschränkend ist allerdings zu bemerken, dass die Langzeitdaten über 144 Wochen aus den Phase III-Zulassungsstudien hierzu noch nicht vorliegen. Ebenfalls liegen noch keine endgültigen Daten zur Anwendung von TAF in Adoleszenten vor, die entsprechende Studie ist noch nicht abgeschlossen. Auch ist der Anteil von Frauen in allen TAF-Zulassungsstudien mit 4-15% vergleichsweise gering.


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