Thomas Glück, Trostberg
Sekundäre Immundefekte bei Therapie mit „Biologicals“

Biologicals sind immunmodulierende Medikamente, die zu sekundären Immundefekten führen. Vor dem Einsatz ist eine Evaulation der Risikofaktoren für infektiöse Komplikationen sowie gegebenenfalls eine entsprechende Prophylaxe zu empfehlen.

Unter „Biologicals“ versteht man auf das Immunsystem wirkende Medikamente, die in der Therapie von rheumatischen, dermatologischen, neurologischen und Autoimmunerkrankungen Verwendung finden oder zur Chemotherapie von malignen Erkrankungen eingesetzt werden. Diese gentechnisch hergestellten, zum Teil chimären monoklonalen Antikörper oder Fusionsproteine blockieren im Gegensatz zu klassischen „Basistherapeutika“ (wie z.B. Methotrexat) spezifisch ein Signalmolekül des Immunsystems oder wirken im Gegensatz zu Zytostatika selektiv zytotoxisch auf eine umschriebene Zellpopulation.

TNF-Inhibitoren

TNF (Tumor Nekrose Faktor) ist ein elementares Zytokin in der Inflammationsreaktion des Immunsystems auf infektiöse Prozesse (vorwiegend bei bakteriellen Infektionen), spielt jedoch auch bei autoimmunen und rheumatischen Entzündungsprozessen eine entscheidende Rolle. Vier anti-TNF-Antikörper (Infliximab, Adalimumab, Certolizumab Pegol, Golimumab) sind zur Therapie der Rheumatoiden Arthritis, der Psoriasis bzw. Psoriasis-Arthritis, des M. Bechterew und der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulzerosa) in klinischer Anwendung. Diese unterscheiden sich im Wesentlichen in ihrer Applikationsform (i.v./s.c.) und der Pharmakodynamik bzw. Wirkdauer. Neben der Neutralisation von zirkulierendem TNF wirken anti-TNF-Antikörper zudem zytotoxisch auf aktivierte Immunzellen, die in diesem Zustand auf ihrer Oberfläche TNF exprimieren.

Neben den anti-TNF-Antikörpern kann zur Therapie der Rheumatoiden Arthritis, der Psoriasis bzw. Psoriasis-Arthritis sowie des M. Bechterew auch Etanercept als weiterer TNF-Inhibitor zur Anwendung kommen, dessen Wirkmechanismus sich jedoch von den anti-TNF-Antikörpern unterscheidet. Etanercept ist ein dimeres Fusionsprotein aus der Bindungsdomäne des humanen TNF-Rezeptors 2 (p75-TNF-Rezeptor) und einem Immunglobulin G1-Fc-Stück und wirkt im Prinzip ähnlich immunmodulierend wie der physiologisch im Plasma vorkommende, lösliche TNF-Rezeptor, erreicht therapeutisch eingesetzt allerdings wesentlich höhere Spiegel. Etanercept ist unwirksam bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.

Was sind Biologicals?

Per definitionem sind Biologicals Arzneimittel, deren aktiver Bestandteil mit biotechnologischen Methoden aus lebenden Organismen (häufig Mikroorganismen wie z.B. E. coli) gewonnen wird. Bei den Wirkstoffen handelt es sich in der Regel um komplexe Protein- bzw. Glykoprotein-Moleküle, die wegen ihrer Größe nicht durch einen klassischen, chemischen Prozess hergestellt werden können. Zu den Biologicals zählen unter anderem Impfstoffe, Blutprodukte, humane Zellen/Gewebe, Gentherapeutika usw. Im deutschen medizinischen Sprachgebrauch versteht man unter Biologicals jedoch die Gruppe der immunmodulierenden Antikörper.

Schon bald nach der Einführung der TNF-Antagonisten, die als erste Biologicals in der Therapie entzündlicher Erkrankungen zur Anwendung kamen, fiel bei Anwendung dieser Medikamente eine allgemeine Mehrung von Infektionen, eine Häufung von Tuberkulose-Fällen, und auch das Auftreten von klassischen opportunistischen Infektionen, z.B. durch Listerien oder Pneumocystis jirovecii auf. Das adjustierte relative Risiko, eine aktive TBC oder allgemein eine zur Hospitalisation führende Infektion zu entwickeln, ist bereits unter konventioneller Basistherapie (z.B. Methotrexat +/- Corticosteroide) gegenüber der Normalbevölkerung mit ca. 1,2 leicht erhöht. Unter TNF-Inhibitoren steigt das relative Risiko auf 1,5-1,8, wobei eine begleitende Prednisolon-Therapie >7,5 mg/d dosis-abhängig das Risiko weiter erhöht.1,2

Speziell die TB betreffend, wird durch die niedrige Prävalenz in Deutschland/Europa das Risiko für eine aktive Erkrankung eher zu niedrig geschätzt. Aus Registern und Studien kann eine Inzidenz für zur Hospitalisation führende Infektionen unter TNF-Inhibitor-Therapie von ca. 3-8/100 Patientenjahre abgeleitet werden. Unklar ist, weshalb das Risiko in den ersten 6 bis 12 Monaten der Behandlung am höchsten liegt, danach hingegen deutlich zurückgeht.3 Daten aus Registern erlauben den Schluss (mit entsprechender Vorsicht wegen möglicherweise verstecktem Bias in solchen Untersuchungen), dass das generelle Infektionsrisiko unter Infliximab etwas höher liegt als unter Adalimumab oder Etanercept, und dass das Risiko speziell für Tuberkulose und Listerien-Infektionen unter Etanercept vermutlich etwas geringer ist als unter den anti-TNF-Antikörpern.

Tocilizumab

Tocilizumab ist ein gegen den Interleukin-6-Rezeptor gerichteter monoklonaler Antikörper. In der Signalkaskade der Inflammationsreaktion steht IL-6 nach TNF, nimmt jedoch ebenfalls eine Schlüsselrolle ein. Klinische Anwendung findet die Substanz bei der Therapie der Rheumatoiden Arthritis und der juvenilen Arthritis. Durch die Blockierung der IL-6-abhängigen Signalwege wird unter anderem die über eben diesen Weg gesteuerte Produktion von CRP unterbunden, so dass CRP unter Tocilizumab-Therapie als Marker für die Schwere oder den Verlauf einer Infektion bzw. allgemein der Entzündungsreaktion nicht herangezogen werden kann. Dagegen scheint die Produktion von Procalcitonin durch Tocilizumab nicht eingeschränkt zu werden. Eine kürzlich erschienene japanische Arbeit verglich die Infektionsinzidenz unter Tocilizumab und TNF-Inhibitoren und stellte keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Biologicals fest.4

Abatacept

Abatacept ist ein rekombinantes Fusionsprotein aus dem extrazellulären Anteil des costimulatorischen Rezeptors CTLA4 auf der Oberfläche von T-Helferzellen und einem Immunglobulin-G1-Fc-Stück. Die immunsuppressive Wirkung der Substanz entsteht durch Bindung an den costimulatorischen Rezeptor CD80/86 auf Antigen-präsentierenden Zellen, welche dadurch mit T-Helferzellen nicht mehr über CTLA4 interagieren können, woraus eine Blockierung der T-Zell-Aktivierung resultiert. Abatacept wird in Kombination mit Methotreat zur Therapie der Rheumatoiden Arthritis eingesetzt. Eine kürzlich erschienene Auswertung des französischen Abatacept-Registers, das knapp 1.000 Patienten mit einem durchschnittlichen follow-up von ca. 2 Jahren umfasst, fand eine Rate an schweren Infektionen von 4,1/100 Patientenjahre, was dem Infektionsrisiko unter TNF-Inhibitoren ähnelt.5

Natalizumab

Abb. 1  CT-Darstellung (links) und T2-gewichtete MR-Darstellung einer PML
Abb. 1 CT-Darstellung (links) und T2-gewichtete MR-Darstellung einer PML

Natalizumab, ein humaner, rekombinanter, monoklonaler Antikörper gegen das Alpha4-Integrin – ein Adhäsionsmolekül auf mononukleären Zellen – bewirkt, dass diese Zellen nicht mehr in Entzündungsregionen einwandern und dadurch die Entzündungsaktivität verringert wird. Natalizumab wurde primär für die Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose entwickelt und ist aufgrund signifikanter Reduktion der MS-Schübe zugelassen worden.

Bereits in der Zulassungsstudie fielen Fälle von Progressiver Multifokaler Leukencephalopathie (PML) auf, einer Encephalitis durch Reaktivierung des humanem Polyomavirus 2 (JC-Virus), die ansonsten nur bei extrem ausgeprägtem T-Zell-Defekt beobachtet wird. Risikofaktoren für eine PML unter Natalizumab sind Seropositivität für das JC-Virus (weit verbreitet, Ø 58% – je nach Region in Europa 47% – 68%6), Behandlungsdauer >2 Jahre, und immunsuppressive Therapie(n) vor Einsatz von Natalizumab.7 Vermutlich sind auch das Alter und ein (genetisch bedingter) Mangel an L-Selektin (einem anderen Adhäsionsprotein auf der Oberfläche von CD4-positiven Zellen) Risikofaktoren für die Entwicklung einer PML.8 Im Durchschnitt entwickelt einer von 500 mit Natalizumab Behandelten eine PML, bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren nimmt die PML-Häufigkeit jedoch zu (<1:100). Nach dem Bekanntwerden der Häufung von PML-Fällen wurde Natalizumab kurzfristig vom Markt genommen, ist aber seit 2006 unter Auflagen wieder verfügbar.

Unglücklicherweise ist die diagnostische Unterscheidung zwischen einer PML und dem Schub einer MS in der klinischen Praxis oft schwierig und es steht keine wirklich wirksame Therapie für die PML zur Verfügung, so dass bei entsprechendem Verdacht neben der PCR-Diagnostik auf das JC-Virus oft nur die Option bleibt, allgemein den Grad der Immunsuppression zu vermindern.

Neben der PML sind unter Natalizumab auch erhöhte Inzidenzen anderer opportunistischer viraler Infektionen, z.B. von Herpes simplex oder Varizella Zoster Virus, sowie häufigere bakterielle Infektionen berichtet worden.

Rituximab

Abb. 2 Rituximab
Abb. 2 Rituximab
© Quelle: Wikipedia

Rituximab, ein monoklonaler humanisierter zytotoxischer Antikörper gegen das CD20-Molekül, welches sich selektiv auf B-Lymphozyten findet, wurde zunächst in der Onkologie zur Lymphom-Therapie verwendet. 2006 wurde es in die Therapie der Rheumatoiden Arthritis eingeführt, wo es vor allem bei Patienten mit hohen Rheumafaktor- und anti-CCP-Antikörper-Titern gut wirkt, und seit April 2013 ist es auch zur Behandlung ANCA-positiver Vaskulititen zugelassen. „Off-label“ wird Rituximab mit z.T. guter Wirksamkeit bei einer Reihe von rheumatischen, autoimmunen und onkologischen Erkrankungen eingesetzt, wenn diese auf andere Therapien nicht oder unzureichend ansprechen, z.B. bei systemischem Lupus erythematodes, Autoimmunzytopenien bzw. autoimmunhämolytischen Anämien, Pemphigus vulgaris, Kryoglobulinämie, und weiteren.

Rituximab bewirkt über Antikörper-abhängige Komplement-vermittelte Zell-Lyse eine bis >6 Monate anhaltende Eradikation der B-Zellen. Bei Neuauftreten von Krankheitssymptomen kann Rituximab erneut verabreicht werden, wobei sich offensichtlich nach mehrmaliger Anwendung die Wirkdauer verlängert. Als Konsequenz der B-Zell-Depletion sinken bei längerfristiger Anwendung von Rituximab die IgM- und/oder IgG-Spiegel ab, wohl allerdings nicht bei allen Patienten. Es wird ein leichter Trend zu häufigerem Auftreten von Infektionen bei den Patienten gesehen, die unter wiederholter Rituximab-Gabe niedrige Immunglobulin-Spiegel entwickeln. Insgesamt ergibt sich bei den bisherigen Untersuchungen jedoch kein Hinweis für eine über die Zeit ansteigende Rate schwerer Infektionen unter (wiederholter) Gabe von Rituximab, die mit ca. 5/100 Patientenjahre ähnlich wie bei den anderen Biologicals liegt.9 Andere Untersuchungen fanden eine niedrigere Infektionsinzidenz unter Rituximab als unter den anderen Biologicals. Insbesondere scheint Rituximab-Therapie (als spezifisch die B-Zellen betreffende Immunsuppression) kein Risiko für die Aktivierung einer latenten TBC darzustellen. Daher muss – anders als bei TNF-Inhibitoren – vor Therapiebeginn mit Rituximab kein TBC-Screening durchgeführt werden.10 Andererseits sind bisher unter Rituximab – neben Natalizumab – die meisten Fälle von PML gesehen worden. Am häufigsten trat dies bei Patienten auf, die vor oder gleichzeitig mit Rituximab noch weitere immunsuppressiv wirkende Medikamente erhalten hatten bzw. weiter erhielten.

Belimumab

Belimumab, ein humaner monoklonaler Antikörper gegen den B-Lymphozyten stimulierenden Faktor (BLyS, Baff), ist seit 2011 zur Behandlung des trotz üblicher immunsuppressiver Therapie aktiven systemischen Lupus erythematodes in Gebrauch. Durch Neutralisierung des bei aktivem Lupus besonders hohen BLyS-Spiegels vermindert Belimumab Lebensdauer und Aktivität der B-Zellen und wirkt da-mit günstig auf die Lupus-Aktivität. Vier-Jahresdaten zur Sicherheit von Belimumab fanden keine weitere Erhöhung der bei Patienten mit Lupus (unter Therapie) jedoch generell leicht erhöhten Infektionsrate.11

Ustekinumab

Ustekinumab, ein humaner monoklonaler Antikörper gegen Interleukin-12 und Interleukin-23, ist seit Januar 2009 zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Plaque-Psoriasis bei Erwachsenen zugelassen, die auf andere Therapien nicht angesprochen haben, oder bei denen andere Therapien nicht wirksam bzw. verträglich waren. Seit 2013 ist Ustekinumab auch zur Therapie der Psoriasis-Arthritis zugelassen. Sicherheitsdaten für Ustekinumab liegen seit kurzem aus der PSOLAR-Datenbank über die Anwendung bei Psoriasis vor. Dabei fand sich eine insgesamt geringe Rate an schweren Infektionen, ca. 1/100 Patientenjahre, wobei auch bei jahrelangem Einsatz keine Tendenz zu häufigeren Infektionen gefunden wurde und die Infektionshäufigkeit im direkten Vergleich zu anderen Biologicals deutlich niedriger lag.13

Anakinra

Anakinra, ein rekombinanter humaner Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist, hemmt durch kompetitive Bindung an den zellständigen Interleukin 1-Rezeptor die biologische Wirkung des proinflammatorischen Zytokins Interleukin 1, dem neben TNF eine zentrale Rolle in der Entzündungsreaktion zukommt. Anakinra wurde 2002 in Kombination mit Methotrexat zur Behandlung der Rheumatoiden Arthritis bei Patienten zugelassen, die nicht ausreichend auf Methotrexat ansprachen. Anakinra wird täglich s.c. verabreicht, die häufigste Nebenwirkung sind lokale Injektionsreaktionen und Hautausschläge.

In der Therapie der rheumatoiden Arthritis spielt Anakinra derzeit allerdings eine untergeordnete Rolle, da andere Biologicals besser verträglich und zuverlässiger wirksam sind. Anakinra hat darüber hinaus eine Nischen-Indikation in der Therapie des adulten M. Still/Makrophagen-Aktivierungs-Syndrom und der „Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndrome“, seltenen genetisch determinierten Syndromen mit erhöhter IL-1-Freisetzung.

Untersuchungen beim „real-life“-Einsatz von Anakinra fanden eine Infektionshäufigkeit von durchschnittlich 5,4/100 Patientenjahre (2,9/100 ohne und 7,1/100 Patientenjahre mit gleichzeitiger Einnahme von Corticosteroiden). Dies sind Infektions-Inzidenzen, die sich ähnlich bei anderen Biologicals finden.14 Beobachtet wurden hauptsächlich respiratorische und Weichteil-Infektionen, dagegen praktisch kaum typische opportunistische Infektionen.

Einschätzung des Infektions-Risikos

Leider existiert bei den sekundären, durch immunsuppressive Therapie induzierten Immundefekten kein der T-Helfer-Zellzahl bei HIV-Infizierten vergleichbarer Biomarker zur Einschätzung des Grades des Immundefektes. Unter konventionellen „Basistherapeutika“ wie Azathioprin, MTX, oder Cyclophosphamid, ggf. mit zusätzlicher Gabe von Corticosteroiden, kann als solcher noch am ehesten die Absolutzahl der Lymphozyten im peripheren Blut gelten. Erhöhte Inzidenzen von Infektionen wurden unter solchen Therapien für Lymphopenie <500-600/µl Blut beschrieben.14 Dies entspricht, da die Lymphopenie unter konventioneller Basistherapie unselektiv alle Lymphozyten-Subpopulationen betrifft, bei ca. 50% Anteil von T-Helferzellen an den zirkulierenden Lymphozyten einer CD4-Zellzahl von ca. 250/µl. Interessanterweise ist dies auch die bei HIV-Infizierten empirisch gefundene Schwelle für gehäuftes Auftreten opportunistischer Infektionen.

Bei der oben beschriebenen, selektiven Wirkung von Biologicals gilt dieser Marker jedoch nicht.

In vitro-Tests, welche immunologische Defekte funktionell anzeigen könnten, sind weder etabliert noch validiert, und wären wohl auch sehr aufwändig. Insofern bleiben zur Einschätzung eines besonderen Risikos für Infektionen unter Biologicals leider nur anamnestische Hinweise.

Hierzu gehören:

  • hohe Krankheitsaktivität, die kurzfristig zu häufigem Therapiewechsel bzw. zur Therapie-Eskalation zwingt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die immunologische Wirksamkeit (und das damit assoziierte Infektionsrisiko) einzelner Biologicals wie z.B. Rituximab bis >6 Monate beträgt und dabei nicht antagonisierbar ist – auch wenn sich herausstellt, dass das Präparat bezüglich der Indikation, für die es eingesetzt wurde, klinisch unzureichend wirkt.
  • parallel gegebene Prednisolon-Therapie >5 mg/d (stark dosisabhängiger Effekt!)
  • vorangegangene myelotoxische Chemotherapie oder multimodale immunsuppressive Therapie aus klassischen Basistherapeutika (ggf. Kombinationen) + Prednisolon (>5 mg tgl) (+ evtl. anderes Biological)15
  • höheres Alter und/oder schlechter Allgemein-/Ernährungszustand
  • begleitende chronische oder schwere akute Infektionen
  • vorangegangene Hospitalisation(en) wegen Infektion(en)


Übersicht biologicals zugelassene indikationen “off label“ Wirksamkeit bei weiteren indikationen Applikations-
form
Infliximab (Remicade®) Rheumatoide Arthritis, Spondylitis ankylosans, M. Crohn, Colitis ulcerosa, Psoriasis/Psoriasis-Arthritis)
i.v.
Adalimimab (Humira®) Rheumatoide Arthritis, Spondylarthritiden, M. Crohn, Colitis ulcerosa, Psoriasis/ Psoriasis-Arthritis, juvenile Arthritis
s.c.
Certolizumab Pegol (Cimcia®) Rheumatoide Arthritis, Spondylarthritiden, Psoriasis-Arthritis
s.c.
Golimumab (Simponi®) Rheumatoide Arthritis, Spondylarthritiden, Colitis ulcerosa, Psoriasis-Arthritis (M. Crohn) s.c.
Etanercept (Enbrel®) Rheumatoide Arthritis, Spondylarthritiden, Psoriasis/Psoriasis-Arthritis, juvenile Arthritis
s.c.
Tocilizumab (Roactemra®) Rheumatoide Arthritis, juvenile Arthritis
i.v., s.c.
Abatacept (Orencia®) Rheumatoide Arthritis
s.c.
Natalizumab (Tysabri®) Multiple Sklerose (M. Crohn) i.v.
Rituximab (Mabthera® und Biosimilars) Non-Hodgkin-Lymphome, Chron. Lymphatische Leukämie, Rheumatoide Arthritis, ANCA-assoz. Vaskulitiden Systemischer Lupus erythematodes, Autoimmun-Zytopenien i.v.
Belimumab (Benlysta®) Systemischer Lupus erythematodes
i.v.
Ustekinumab (Stellara®) Psoriasis/Psoriasis-Arthritis
s.c.
Anakinra (Kineret®) Rheumatoide Arthritis, Cryopyrinassoz. Syndrome Makrophagen-Aktivierungs-Syndrom, adulter M. Still s.c.


Zur Prädiktion des Infektionsrisikos

Aus den Daten des deutschen Registers zur Sicherheit von Biologicals bei rheumatischen Erkrankungen (RABBIT) wurde ein Algorithmus entwickelt, der anhand verschiedener Parameter das Risiko von Patienten unter Biologicals eine Infektion zu entwickeln, berechnet.16 Ein Online-Rechner ist unter www.biologika-register.de öffentlich zugänglich.

Während akuter Infektionen und vor Operationen soll die Behandlung mit Biologicals pausiert werden, was bei Etanercept, dem Biological mit der kürzesten Halbwertszeit, gut machbar ist, für Rituximab mit einer immunologischen Wirkdauer von >6 Monaten jedoch wohl in den wenigsten Fällen praktikabel erscheint.

Welche Erreger sind wichtig?

Abb. 3 Herpes Zoster des 3. TrigeminusAstes
Abb. 3 Herpes Zoster des 3. TrigeminusAstes

Am häufigsten werden auch unter Biologicals bakterielle Infektionen beobachtet. Vorwiegend betroffen sind der Respirationstrakt (Pneumonien) und die Haut mit Erregern, wie sie auch bei nicht mit Biologicals behandelten Personen auftreten können. Recht häufig tritt auch ein Herpes Zoster auf mit ca. 1,8 Fällen/100 Patientenjahre, wobei kein Unterschied zwischen den verschiedenen Biologicals gefunden wurde, aber wiederum Corticosteroidtherapie ein zusätzliches Risiko bewirkte.17 Ausdruck eines signifikanten Immundefekts stellen gelegentlich berichtete Infektionen durch Listerien, Legionellen, systemisch verlaufende Salmonellosen und die Tuberkulose dar. Seltener werden klassische opportunistische Infektionen wie Pneumocystis-Pneumonie, Toxoplasmose, oder PML als Ausdruck eines starken Immundefekts berichtet. Letztgenannte wird man fast nur unter Natalizumab oder Rituximab sehen, in der Regel bei begleitender, hochdosierter Corticosteroid-Therapie.

Es ist jedenfalls nicht so, dass jeder Patient unter Biologicals Infektionen entwickelt, dass nur typische opportunistische Infektionen auftreten, oder dass jedes Biological ein eigenes, charakteristisches „Profil“ an opportunistischen Infektionen hat.

Chronische Hepatitis B oder C

Eine Vielzahl von Berichten beschreibt unter immunsuppressiver Therapie, insbesondere unter TNF-Inhibitoren und unter Rituximab Reaktivierungen einer chronischen, niedrig replikativen, in Einzelfällen sogar einer serologisch ausgeheilten Hepatitis B. In der Mehrzahl der Fälle geschah die Reaktivierung der Hepatitis B mit u.U. fulminanter, in einzelnen Fällen zum Tod führender Hepatitis nach der Beendigung/Reduktion (!) der immunsuppressiven Behandlung im Rahmen der Erholung der Immunkompetenz. Daher müssen alle Patienten, die neu auf Biologicals eingestellt werden – im Prinzip aber auch alle, welche höhere Corticosteroiddosen oder eine aggressive Chemotherapie erhalten sollen (!!) – auf Hepatitis B untersucht werden. Leider zeigen Untersuchungen, dass dies im Bewusstsein von Ärzten, die Biologicals verschreiben, noch unzureichend verankert ist.

Liegt eine chronische Hepatitis B vor, muss vor Beginn/Erweiterung einer immunsuppressiven Therapie eine antivirale Behandlung begonnen werden. Vorgeschlagen wird hierfür in erster Linie ein Nukleotid/Nukleosid mit hoher Resistenzbarriere wie Tenofovir oder Entecavir. Auch für Fälle mit serologisch ausgeheilter Hepatitis B (anti-HBc pos., anti-HBs pos.) wird bei Therapie mit z.B. Rituximab eine Lamivudin-Prophylaxe diskutiert.18 Explizit empfiehlt das American College of Rheumatology (ACR) TNF-Inhibitoren und Rituximab bei Patienten mit unbehandelter chronischer Hepatitis B und generell bei chronischer Hepatitis B mit eingeschränkter Leberfunktion (Child B, C) zu vermeiden.19

Dagegen ist nach der bisher vorliegenden Erfahrung bei Patienten mit chronischer Hepatitis C unter Biologicals nicht mit ungünstigen Effekten zu rechnen. Dennoch empfiehlt die ACR-Leitlinie Etanercept zu verwenden, wenn bei einer chronischen Hepatitis C ein TNF-Inhibitor verabreicht werden muss und rät generell bei Patienten mit Leberzirrhose Child B oder C von der Therapie mit Biologicals ab.19

HIV-Infektion

Für die Anwendung von Biologicals bei Patienten mit HIV-Infektion liegen einige Fallberichte oder kleine Fallserien vor. Verschiedentlich wurden HIV-Infizierte wegen schwerer Psoriasis oder Rheumatoider Arthritis mit Biological-Therapie erfolgreich behandelt, wobei fortgeschrittener HIV-assoziierter Immundefekt eine Kontraindikation darstellten sollte und als Voraussetzung für die Biological-Anwendung stabile Virus-Suppression und T-Helferzellzahlen zu fordern sind. In einer Fallserie von 8 Patienten mit gut kontrollierter HIV-Infektion hat die Behandlung mit TNF-Inhibitoren (Etanercept, Infliximab, bzw. Adalimumab) über durchschnittlich zwei Jahre keine negativen Auswirkungen auf HIV-Viruslast oder T-Helferzellen gezeigt.20 Andere Fallberichte weisen auf erhöhte Infektionsinzidenz hin, so dass in jedem Fall Vorsicht und engmaschige Kontrollen angezeigt sind.

Prophylaxe Infektiöser Komplikationen

Die bei Immunkompromittierten gut praktikable Infektions-Prophylaxe durch Cotrimoxazol (960 mg p.o. jeden zweiten Tag bzw. an drei Tagen der Woche), verhindert nicht nur recht zuverlässig Pneumocystis-Pneumonie und Toxoplasmose-Reaktivierung, sondern wirkt auch gegen etliche bakterielle Infektionen protektiv. Eine Cotrimoxazol-Prophylaxe sollte für Patienten unter Rituximab oder TNF-Inhibitoren zumindest für die ersten 6-12 Monate erwogen werden, insbesondere wenn noch begleitend mit Corticosteroiden und/oder klassischen Basistherapeutika behandelt wird.

Da die Reaktivierung einer latenten TB bei Patienten unter Biological-Therapie ein realistisches Risiko darstellt (vergleiche auch hier die Situation von HIV-Infizierten!), sollen Patienten mit pos. Tuberkulin-Test oder positivem Interferon-release-Assay (Quantiferon-Test bzw. Eli-Spot Assay) eine 9-monatige Prophylaxe mit 300 mg Isoniazid + 50 mg Vit. B6 tgl. erhalten. Die ACR-Leitlinie von 2012 sieht zwar nur bei anamnestischen Hinweisen für eine TB-Exposition ein entsprechendes Screening vor19 die deutsche Leitlinie (und die meisten nationalen europäischen Leitlinien) empfehlen jedoch alle Patienten vor Beginn einer Biological-Therapie auf TB zu screenen.21

Impfungen zur Infektionsprophylaxe sind in der klinischen Praxis bei Patienten, die eine Biological-Therapie erhalten sollen, eine eingeschränkte Option, da Impfungen einerseits nicht bei „unkontrollierten“ Autoimmun- oder rheumatischen Erkrankungen gegeben werden sollen, andererseits bei ausgeprägtem Immundefekt deren Effektivität herabgesetzt ist.

Die europäische Rheumaliga (EULAR) sieht keine Kontraindikationen für Impfungen mit gentechnisch hergestellten oder inaktivierten Impfstoffen und empfiehlt insbesondere die Pneumokokken- und jährliche Influenza-Impfung für Patienten unter immunsuppressiver Medikation incl. Biologicals, wobei die Impfung idealerweise vor Beginn einer Rituximab-Therapie erfolgen sollte.22 Impfungen mit attenuierten Viren (H. Zoster, bei Kindern Varizellen und Mumps/Masern/Röteln) sind wohl bei geringem Immundefekt möglich, wobei hier noch große Unsicherheit herrscht. Unter Therapie mit Biologicals wird davon jedoch allgemein abgeraten, selbst wenn bei dieser Patientengruppe H. Zoster ein besonderes Problem darstellt.23

Schließlich sind unter Biologicals immer wieder schwere Listerien- oder systemische Salmonellen-Infektionen berichtet worden, so dass eine Beratung der so behandelten Patienten bezüglich entsprechender Hygienemaßnahmen bei der Ernährung angezeigt erscheint.

Eine intensive und fachkundige Beratung sollte auch allen mit Biologicals behandelten Patienten vor Auslands-Reisen gegeben werden, da in etlichen Ländern (auch in entwickelten!) Infektionen endemisch vorkommen, für die bei durch Biologicals induziertem Immundefekt eine besondere Suszeptibilität bestehen kann.

Zusammenfassung

Biologicals bewirken im Rahmen ihrer antientzündlichen Wirkung spezifische, u.U. schwere und lang anhaltende sekundäre Immundefekte. Das Infektionsrisiko für den individuellen Patienten unter solcher Behandlung bezüglich einer bestimmten opportunistischen Infektion einzuschätzen, ist jedoch schwierig. Biological-induzierte Immundefekte werden durch die oft parallel gegebenen „klassischen“ Immunsuppressiva und insbesondere durch Corticosteroide verstärkt, so dass schwere Infektionen vorwiegend in dieser Konstellation beobachtet werden.

Da mit opportunistischen Infektionen bei Patienten unter Biological-Therapie gerechnet werden muss, ist zu fordern, dass bei entsprechendem Verdacht a) vor Beginn einer antibiotischen Therapie stets adäquate mikrobiologische Proben (auch eben für die opportunistischen Erreger!) gewonnen werden und b) ein in Diagnostik und Behandlung von opportunistischen Infektionen erfahrener Infektiologe hinzugezogen wird.

Über diesen Ausführungen zu den Infektionsrisiken von Biologicals darf nicht vergessen werden, dass gerade diese Medikamente – mit Überlegung und Sinn indikationsgemäß eingesetzt – vielen Patienten mit ansonsten zur Invalidisierung führenden rheumatischen Erkrankungen bzw. ansonsten fortschreitenden Auto-immun-Prozessen deutliche Verbesserung der Krankheitssymptome und damit Lebensqualität bringen können.


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2 Winthrop KL.Infections and biologic therapy in rheumatoid arthritis: our changing understanding of risk and prevention. Rheum Dis Clin North Am 2012; 38:727

3 Strangfeld A, et al. Treatment benefit or survival of the fittest: what drives the time-dependent decrease in serious infection rates under TNF inhibition and what does this imply for the individual patient? Ann Rheum Dis 2011; 70: 1914

4 Ryoko S, et al. Head-to-head comparison of the safety of tocilizumab and tumor necrosis factor inhibitors in rheumatoid arthritis patients in clinical practice: results from the registry of Japanese RA patients on biologics for long-term safety (REAL) registry. Arthritis Res Ther 2015; 17: 74

5 Salmon JH, et al. Predictive risk factors of serious infections in patients with rheumatoid arthritis treated with abatacept in common practice: results from the Orencia and Rheumatoid Arthritis (ORA) registry. Ann Rheum Dis 2015; doi: 10.1136/annrheumdis-2015-207362 [published online]

6 Olsson T, et al. Anti-JC virus antibody prevalence in a multinational multiple sclerosis cohort. Mult Scler 2013;19:1533

7 Bloomgren G, et al. Risk of Natalizumab-associated progressive multifocal leukoencephalopathy. N Engl J Med 2012; 366: 1870

8 Schwab N, et al. L-selectin is a possible biomarker for individual PML risk in natalizumab-treated MS patients. Neurology 2013; 81:865

9 Fleischmann RM. Safety of biologic therapy in rheumatoid arthritis and other autoimmune diseases: Focus on rituximab. Semin Arthritis Rheum 2009; 38: 265-280

10 Psenak O, et al. Sicherheit der Immunsuppressiva. Z Rheumatol 2012; 71: 420

11 Merrill JT, et al. Long-term safety profile of belimumab plus standard therapy in patients with systemic lupus erythematosus. Arthritis Rheum 2012; 64: 3364

12 Papp K, et al. Safety Surveillance for Ustekinumab and Other Psoriasis Treatments From the Psoriasis Longitudinal Assessment and Registry (PSOLAR). J Drugs Dermatol 2015; 14: 706

13 Fleischmann RM, et al. Safety of extended treatment with anakinra in patients with rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis 2006; 65: 1006

14 Glück T, et al. Immune status and risk for infection in patients receiving chronic immunosuppressive therapy. J Rheumatol 2005; 32:1473

15 Besada E, et al. Does concomitant methotrexate during rituximab treatment in granulomatosis with polyangiitis (Wegener‘s) increase the risk of severe infection? Arthritis Rheumatol 2015; 67: 1981

16 Strangfeld A, et al. Sicherheit unter Biologika – Ergebnisse aus dem deutschen Biologika-Register RABBIT. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 1817

17 Yun H, et al. Risks of herpes zoster in patients with rheumatoid arthritis according to biologic disease-modifying therapy. Arthritis Care Res 2015; 67: 731

18 Felis Giemza A, et al. Treatment of rheumatic diseases and hepatitis B virus coinfection. Rheumatol Int 2015; 35:385

19 Singh JA, et al. 2012 Update of the 2008 American College of Rheumatology recommendations for the use of disease-modifying antirheumatic drugs and biologic agents in the treatment of rheumatoid arthritis. Arthritis Care Res 2012; 64: 625

20 Cepeda EJ, et al. The use of anti-tumour necrosis factor therapy in HIV-positive individuals with rheumatic disease. Ann Rheum Dis 2008; 67: 710.

21 Diel R, et al. Empfehlungen für das Tuberkulose-Screening vor Gabe von TNF-α-Inhibitoren bei rheumatischen Erkrankungen. Z Rheumatol 2009; 68: 411

22 van Assen S, et al. EULAR recommendations for vaccination in adult patients with autoimmune inflammatory rheumatic diseases. Ann Rheum Dis 2011; 70:414

23 Harpaz R, et al. Prevention of herpes zoster: recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP). MMWR Recomm Rep 2008; 57


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