Uwe Naumann, Berlin
HCV-Therapie in der Substitution
Die
höchste Prävalenz der chronischen Hepatitis C findet sich unter der
Gruppe der Spritzdrogenabhängigen (PWID – people who inject
drugs). Sie sind besonders gefährdet durch gemeinsamen Gebrauch von
Kanülen und Spritzen (needle sharing). Aber auch intranasaler
Drogenkonsum geht bei gemeinsamer Verwendung von Utensilien mit einem
erhöhten HCV-Infektionsrisiko einher. Die tatsächliche Hepatitis C
Prävalenz bei PWID dürfte noch deutlich höher liegen als in den
„offiziellen“ Zahlen, da in den Umfragen i.v. Drogengebrauchende,
Menschen aus Ländern mit einer
höheren HCV-Prävalenz oder
weitere vulnerable Gruppen nicht repräsentativ vertreten sind.
epidemiologie in Deutschland
Abb. 1 Folgen einer chronischen Hepatitis C. Modifiziert nach: Lauer GM and Walker BD. N Engl J Med 2001
In Deutschland leben schätzungsweise 300.000 – 400.000 Menschen mit einer chronischen Hepatitis C. Für das Jahr 2014 wurden insgesamt 5.817 Falle von erstdiagnostizierter Hepatitis C in Deutschland an das RKI übermittelt. Die Gruppe der i.v. Drogengebrauchenden ist mit 87% überproportional vertreten. Die Erstdiagnostizierten waren hierbei überwiegend männlich (Abb. 1).
Verbesserte
Screening-Maßnahmen wären dringend notwendig – insbesondere bei
Hochrisikogruppen. Nicht nur das RKI empfiehlt, bei Prävention,
Testung und Beratung sowie der Überleitung in die Behandlung
speziell den
intravenös Drogenkonsumierenden höchste Priorität
zukommen zu lassen. Auch die Leitlinien der DGVS (Deutsche
Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und
Stoffwechselkrankheiten) zur Behandlung der Hepatitis C empfehlen
unter anderem eine Hepatitis-Diagnostik bei Personen mit aktiven und
ehemaligen i.v. Drogenkonsum sowie Patienten mit
Migrationshintergrund aus Regionen erhöhter
anti-HCV/HBsAg-Prävalenz.2
Solche Screening Maßnahmen sind allerdings nicht verpflichtend und
werden weder allgemein von den Krankenkassen erstattet noch umfassend
umgesetzt.
Bedeutung der Hepatitis C
Abb. 2 Patienten mit neu diagnostizierter Hepatitis C: häufigste HCVÜbertragungswege
Abb. 3 Positive Auswirkungen einer erfolgreichen HCV-Therapie
Die Risiken, die eine Hepatitis C mit sich bringt sind vielfältig.1 (Abb. 2). Sie ist in Europa und Nordamerika die häufigste Ursache des Leberzellkarzinoms sowie die häufigste Ursache für eine Lebertransplantation. Unter der Gruppe der PWID ist die HCV-assoziierte Leberzirrhose die zweithäufigste Todesursache.
Die Hepatitis C ist jedoch keine Erkrankung, die spezifisch nur die Leber schädigt. Sie hat darüber hinaus auch Auswirkungen auf den gesamten Körper. So entwickeln 40-76% der HCV-infizierten Patienten mindestens eine extrahepatische Manifestation im Verlauf ihrer Erkrankung.3
Therapieziele
Der Erfolg einer Behandlung wird an der dauerhaften Ausheilung (Viruselimination, SVR) gemessen und geht mit einer Verbesserung der Leberfunktion und einer Rückbildung der Fibrose einher. Das Risiko für Leberkarzinome wird gesenkt und Komplikationen der Erkrankung, wie z.B. die extrahepatischen Manifestationen werden vermieden4 (Abb. 3).
Darüber hinaus zeigen sich aber insbesondere bei PWID weitere zahlreiche positive Effekte die die Behandlung der Suchterkrankung wesentlich beeinflussen können. Eine erfolgreiche Behandlung beendet die HCV-Stigmatisierung, verhindert Ansteckung von Dritten, steigert das körperliche Befinden, liefert ein Erfolgserlebnis und Motivationsschub für Arzt und Patient und kann den Patienten in der Substitutionstherapie stärken.
Wiederstände
In der Zeit, in der die Standardtherapie aus pegyliertem Interferon und Ribavarin bestand, wurden in der Hauptrisikogruppe der PWID nur wenige Patienten behandelt. Kann sich dies mit der Zulassung einer Reihe von neuen, direkt antiviral wirksamen Medikamenten die das Spektrum der Behandlung der chronischen HCV-Infektion deutlich erweitert verbessern? Sollte nicht immer bei Fehlen von Kontraindikationen eine Evaluation für eine antivirale Therapie erfolgen?
Die Gefahren der chronischen HCV-Infektion werden unterschätzt, die Gefahren der Therapie werden überschätzt. Dies galt lange als mögliche Erklärung für die bescheidenen Behandlungszahlen. Zumindest letztere Aussage lässt sich mit den neuen Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr stützen. Vermutlich sind es heutzutage eher die extrem hohen Behandlungskosten und die damit verbundenen Regressängste, die vor einer Therapie zurückschrecken lassen.
Darüber hinaus bestehen auch zahlreiche ärztliche Vorurteile, die zu einer zurückhaltenden Bereitschaft in der Behandlung von suchtkranken Patienten führen: Incompliance, unbeherrschbare psychiatrische Komplikationen, hohe Re-Infektionsrate durch Rückfälle, hohe Todesrate durch andere Erkrankungen und fehlendes Interesse an körperlicher Gesundheit sind nur einige Beispiele von Voreingenommenheit, denen sich PWID häufig ausgesetzt sehen.
In
der multizentrisch, prospektiv durchgeführten CHEOBS-Studie, in der
2001 Patienten zur HCV-Therapie evaluiert wurden, konnte
stellvertretend für zahlreiche weitere Studien dargestellt werden,
dass Substitutionspatienten verglichen mit einem Patientenkollektiv,
das nicht i.v. Drogenkonsum als Risiko hatte, vergleichbar gut auf
PegIFN/Ribavirin ansprechen.5
Selbst für die aufwendige und nebenwirkungsreiche Therapie mit
PegIFN/Ribavirin + Telaprevir bzw. Boceprevir konnte dies gezeigt
werden.
Auf Grund der empfundenen Ähnlichkeit zwischen Interferon-Wirkung und Opiat-Entzugssymptomen wurde in mehreren Studien ein zunehmender Beikonsum illegaler Drogen beobachtet. Dieser Beikonsum führte jedoch weder zu einer Reduktion des virologischen Ansprechens (SVR) noch zu einer Zunahme von Reinfektionen.6
Die Re-Infektionsrate nach erfolgreicher Therapie wurde bei Drogengebrauchern in den Leitlinien mit 0-4,1 Fälle auf 100 Patientenjahre als relativ niedrig eingestuft.7
Neue Behandlungsmöglichkeiten
Die neuen Kombinationstherapien ohne Interferon bieten zahlreiche Vorteile für Arzt und Patient:
- Hohe Wirksamkeit mit Heilungsraten bis zu 99%8/9/10/11
- Einfaches Therapieschema: einfaches Handling für Arzt und Patient8
- Gutes Wechselwirkungsprofil, d.h. gleichzeitige Einnahme von Substitutionsmittel ohne Anpassung möglich8
- Abbruchraten aufgrund von Nebenwirkungen ohne Interferon <1%8
- Kurze Behandlungsdauer
- Weniger Laborkontrollen/Blutentnahmen, was bei schlechten Venenverhältnissen ein großer Zugewinn ist.
Abb. 4 Behandlungserfolg (SVR) unter 3D bei PWID (n=38)
Ein begrüßenswertes Novum bei den neuen direkt antiviralen Substanzen (DAA) ist die Tatsache, dass erstmals die Wirksamkeit in der Hauptrisikogruppe der PWID bereits in den Zulassungsstudien untersucht wurde. Im Vergleich zu historischen Daten konnte hier bei der Gruppe der PWID ein gleich gutes Ansprechen auf die antivirale Therapie dargestellt werden. Abbildung 4 zeigt exemplarisch das Ansprechen auf die Behandlung hier am Beispiel der 3 D Substanzen von AbbVie.
Von den allgemein anerkannten Kontraindikationen bei der Behandlung der chronischen HCV haben sich zahlreiche Ausschlusskriterien relativiert.
Da
sich unter den neuen Behandlungsmöglichkeiten nur selten psychotrope
Nebenwirkungen zeigen, sind auch suchtkranke Menschen, die häufig
unter psychischen Komorbiditäten, leiden kaum mehr gefährdet unter
der Therapie schwer behandelbare Auffälligkeiten zu entwickeln.
Patienten mit Angststörung, Depression und schizophrenen Psychosen
können ebenfalls erfolgreich behandelt werden, sofern die Adhärenz
gewährleistet ist. Bei dringlicher Indikation für die Behandlung
und eingeschränkter Compliance kann im Einzelfall die Einnahme der
antiviralen Medikamente an die Substitutionsvergabe gekoppelt werden,
um auch in dieser Situation eine hohe Einnahmequote zu ermöglichen.
Tab. 1 Drug-drug interactions between HCV DAAs and illicit recreational drugs
Wechselwirkungen mit den bisher erhältlichen DAA zeigen keine Wechselwirkung mit Substitutionsmitteln, d.h. es ist keine Dosisanpassung notwendig. Hinsichtlich des Beigebrauchs ist Vorsicht geboten, klinisch relevante Wechselwirkungen sind jedoch nicht beschrieben (Tab. 1).
Prävention
Besser noch als eine gute Behandlung ist natürlich die Prävention der Infektion. Gezielte Informationskampagnen für die Risikogruppe der i. v. Drogengebraucher sollten über die Infektionsrisiken durch gemeinsames Benutzen von Spritzen und andere Praktiken bei der Drogeninjektion mit unsterilen Spritzen aufklären. Wichtig ist die Verfügbarkeit steriler Injektionsbestecke sowie das Vermeiden der gemeinsamen Benutzung anderer Utensilien (z.B. „Fixerstuben“, Spritzentauschprogramme). Settings, in denen Sex und Drogenkonsum stattfinden, sind ein geeigneter Ort für Maßnahmen der Aufklärung und Prävention, aber auch der frühzeitigen Diagnose und von Therapieangeboten.
In Hinblick auf die Therapie zögern viele BehandlerInnen derzeit vermutlich mehr aufgrund von Regresssorgen als aus Angst vor den unerwünschten Wirkungen der Behandlung. Deshalb soll erwähnt sein, dass die Kosten für HCV-Arzneimittel als Praxisbesonderheiten gelten und bei ordnungsgemäßer Verordnung nicht in die Berechnung der Richtgrößenprüfung einfließen. Eine Belastung des individuellen Arztbudgets erfolgt bei ordnungsgemäßer Verordnung nicht. Eine gute Dokumentation der HCV-Therapie hinsichtlich In-Label Anwendung, der klinischen Situation des Patienten sowie Referenzierung der wissenschaftlichen Evidenz (z.B. Leitlinien der Fachgesellschaften, GBA-Beschluss usw.) ist allerdings dringend zu empfehlen.
1 ( RKI - Epidemiologisches Bulletin 27. Juli 2015 / Nr. 30)
2 (Sarrazin C, et al. Z Gastroenterol 2010; AWMF-Register-Nr.: 021/012; 48: 289 – 351)
3 (Ali A and Zein NN. Cleve Clin J Med. 2005; 72 (11): 1005–1008, 1010–1014, 1016 passim )
4 (AWMF online – S3-Leitlinie Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis C Virus (HCV) Infektion. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-012.html. Stand der letzten Aktualisierung: 09/2009. HTML-Code aktualisiert: 07.07.2013.)
5 Melin et al. EASL 2009, abstr 634
6 Mauss, Walcher, Weber et.al., Digestive Disease Week (DDW), May 7-10, 2011, Chicago IL, USA
7 C. Sarrazin et al. Update der S3-Leitlinie 2010
8 Fachinformation HARVONI®, Stand November 2014
9 Afdhal N et al. N Engl J Med 2014; 370:1889–1898
10 Afdhal N et al. N Engl J Med 2014; 370:1483–1493
11 Kowdley KV et al. N Engl J Med 2014; 370:1879–1888
12 http://www.kbv.de/html/newsletter/1150_12036.php# (23.10.2014)