Markus Backmund, München
Update Substitutionsbehandlung

Die Substutionsbehandlung ist in Deutschland ein etabiliertes Verfahren zur Therapie der Opitatabhängigkeit. Es stehen mittlerweile verschiedene Substitutionsmittel zur Verfügung. Initial können Levomethadon, Dextro-Levomethadon, Buprenorphin, Buprenorphin/Naloxon und seit April 2015 auch retardiertes Morphin eingesetzt werden.

In den 2014 publizierten Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) wird die Substitutionsbehandlung bei diagnostizierter Opioidabhängigkeit als Therapie der ersten Wahl genannt. Gründe hierfür sind die drastische Senkung der Mortalität und Verbesserung des Gesundheitszustandes während einer Substitutionsbehandlung. Lediglich ein weiterer Vorteil der Substitution ist die Möglichkeit der Behandlung und Prävention von Infektionskrankheiten. Durch die Substitutionsbehandlung wird der Konsum illegalisierter Substanzen wie Straßenheroin und Kokain signifikant reduziert und damit auch die Frequenz des intravenösen Konsums. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Global Commission on Drug Policy fordern daher zur Prävention von HIV und HCV die Substitutionsbehandlung zu fördern bzw. implementieren sowie Repressionen gegen Drogengebraucher abzuschaffen (WHO 2013, Global Commission on Drug Policy 2013).

Alle genannten Studienergebnisse haben dazu beigetragen, dass sich die Substitutionsbehandlung von einer in Deutschland vor 30 Jahren von vielen Fachleuten kritisierten Behandlung zur Therapie der ersten Wahl bei opioidabhängigen Patientinnen und Patienten etabliert hat.

Indikation

Bei diagnostizierter Opioidabhängigkeit (ICD 10: F11.2) ist die Substitutionsbehandlung indiziert. Die Diagnose soll laut Richtlinien der Bundesärztekammer anhand der ICD-Kriterien gestellt werden. Drei oder mehr der folgenden Kriterien müssen über einen Zeitraum von zwölf Monaten gleichzeitig vorhanden sein:

  • Starker bis übermäßiger Wunsch, Opiate zu konsumieren.
  • Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums.
  • Nachweis einer Toleranzentwicklung
  • Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zu Gunsten des Substanzkonsums; erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen.
  • Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen.

Abb. 1  Algorithmus: Therapieentscheidung bei diagnostizierter Opioidabhängigkeit (ICD 10: F11.2)
Abb. 1 Algorithmus: Therapieentscheidung bei diagnostizierter Opioidabhängigkeit (ICD 10: F11.2)

Nach gestellter Diagnose soll die Substitutionsbehandlung möglichst sofort eingeleitet werden, da sie die Therapie der ersten Wahl darstellt (Abb. 1). Mittlerweile stehen verschiedene Substitutionsmittel erster Wahl zur Verfügung: Die reinen μ-Agonisten Dextro-Levomethadon, Levomethadon und seit April 2015 auch retardiertes Morphin sowie die partiellen Agonisten Buprenorphin und Buprenorphin/Naloxon. Als Mittel zweiter Wahl können die reinen μ-Agonisten
Codein, Dihydrocodein und in speziellen Zentren auch Diacetylmorphin (Heroin) verschrieben werden.

Substitutionsmittel

Mittlerweile stehen mehrere Substitutionsmittel zur Verfügung (Tab. 1). Die WHO hat im Jahre 2005 Methadon (Dextro-Levomethadon) und Buprenorphin zu den unverzichtbaren Medikamenten gelistet.

Dextro-Levomethadon gilt als einer der bestuntersuchtesten Therapieoptionen. Im Vergleich mit Dextro-Levomethadon haben sich die reinen μ-Agonisten Levomethadon, Codein und Dihydrocodein, Diacetylmorphin und retardiertes Morphin als effektiv erwiesen. Buprenorphin konnte sich ebenso im Vergleich mit Dextro-Levomethadon bewähren wie Buprenorphin/Naloxon. Levomethadon ist das linksdrehende Enatiomer von Dextro-Levomethadon und war lange Zeit ausschließlich in Deutschland zugelassen, nun auch in Österreich und der Schweiz.

Medikament Applikation Darreichungsform Mittlere Tagesdosis
Anmerkungen
Buprenorphin (Subutex®, Buprenaddict® u.a.) Sublingual Tablette 8-16 mg Partieller μ-Agonist 1. Wahl
Buprenorphin/Naloxon (Subuxone®) Sublingual Tablette 8-16 mg Partieller μ-Agonist 1. Wahl
Levomethadon (L-Polamidon ®, L-Polaflux®) oral Lösung / Tablette* 30-40 mg Reiner μ-Agonist 1. Wahl
Dextro-Levomethadon (Methaliq®, Methaddict®, Eptadone u.a.) oral Lösung / Tablette 60-80 mg Reiner μ-Agonist 1. Wahl
Retardiertes Morphin (Substitol® ) oral Kapsel 600-800 mg Reiner μ-Agonist 1. Wahl
Dihydrocodein / Codein oral Lösung / Tablette
Reiner μ-Agonist 2. Wahl
Diacetylmorphin Intravenös Lösung 600-800 mg Reiner μ-Agonist Nur in Spezial­ambulanzen

Tab. 1

Reine μ-Agonisten und partielle Agonisten unterscheiden sich prinzipiell. Buprenorphin unterliegt einem Ceilling-Effekt. Dies bedeutet, dass ab einem gewissen Punkt eine Dosissteigerung keine Wirkungssteigerung mehr verursacht. Somit kommt es auch weniger leicht zu Atemdepression bei Überdosierung. Ein weiterer Vorteil ist die lange Wirkdauer. Eine Einnahme alle zwei Tage, bei einigen Patienten sogar alle drei Tage reicht aus, um ein Entzugssyndrom zu verhindern.

Abb. 2 Art und Anteil der Substitutionsmittel  in Prozent 7/2014
Abb. 2 Art und Anteil der Substitutionsmittel in Prozent 7/2014

Fachgesellschaften wie die DGS propagieren seit Jahrzehnten, dass Fertigprodukte der Herstellung in der Apotheke vorgezogen werden sollen, da sie letztendlich sicherer sind. Die in der Apotheke hergestellte Dextro-Levomethadon-Hydrochloridlösung wird dennoch nach wie vor sehr viel verschrieben, jedoch mit abnehmender Tendenz. Mehrere Firmen bieten mittlerweile auch Fertiglösungen und Tabletten von Dextro-Levomethadon an. Abbildung 2 zeigt Art und Anteile der unterschiedlichen in 2014 verschriebenen Substitutionsmittel, wobei unter „D,L-Methadon“ sowohl die in der Apotheke hergestellte Lösung, Fertiglösungen und Tabletten subsumiert sind.

Einstellungsphase

Die Ersteinstellung eines aus der Szene kommenden Patienten stellt für Patient und Arzt eine besonders anspruchsvolle Situation dar. Das Vertrauensverhältnis muss aufgebaut werden, die tatsächliche Menge des konsumierten Opioids ist aufgrund des Schwarzmarktes unklar. So kann 1 Gramm Heroin auf dem Schwarzmarkt 2% Heroin beinhalten, aber auch 70%. Somit ist unklar, wie hoch die Toleranz des Patienten gegenüber dem Opioid ist. Hat der Patient Angst, dass die vom Arzt am ersten Tag gegebene Dosis nicht reicht, konsumiert er höchstwahrscheinlich zusätzliche Substanzen und gefährdet sich dadurch. Dies wiederum erschwert die Dosisfindung am zweiten Tag. Konsumiert ein Patient täglich 5%iges Heroin ist seine Toleranz wesentlich geringer als wenn er 70%iges konsumieren würde. Leider gibt es keine Kriterien, das unterschiedliche Toleranzniveau zu erkennen.

Dosierung

Aus diesem Grund wird am ersten Tag eine Dosierung verabreicht, die auch bei einem Nichtabhängigen nicht tödlich sind. Es wird mit 30 mg Dextro-Levomethadon bzw. 15 mg Levomethadon begonnen. Sollten noch Entzugssymptome sichtbar sein, wird empfohlen, weitere 5-10 mg Dextro-Levomethadon bzw. 2,5-5 mg Levomethadon zu geben. In den nächsten Tagen wird jeweils um nicht mehr als 10 mg Dextro-Levomethadon bzw. 5 mg Levomethadon erhöht.

Wird initial ein Buprenorphin-haltiges Substitutionsmittel eingesetzt, sollten mindestens 12 Stunden seit der letzten Heroineinnahme vergangen sein. Die Anfangsdosis beträgt 4-8 mg Buprenorphin sublingual, das sich innerhalb von zehn Minuten im Mund auflöst. Es kann ein Entzugssyndrom ausgelöst werden, wenn Buprenorphin durch die höhere Affinität noch vorhandenes Heroin vom μ-Rezeptor verdrängt. Dem wird durch weitere Gaben von bis zu 8 mg, also insgesamt 16 mg Buprenorphin am ersten Tag begegnet. Am zweiten Tag kann bis zur Höchstdosis von 24 mg gesteigert werden, um dann in den nächsten Tagen meist zwischen 8 und 16 mg die individuelle Dosis zu finden.

Bei Patienten mit bekannter Opioidabhängigkeit, die derzeit abstinent sind, die sich mit deutlichem Suchtdruck vorstellen, kann auch bei negativem Urinbefund die Substitutionsbehandlung begonnen werden, um einen Rückfall in der Szene mit hoher Lebensgefahr zu verhindern. Hier kann vom oben beschriebenen Eindosierungsschema ausgehend, mit einer etwas geringeren Erstdosis begonnen werden.

Die Tageserhaltungsdosis ist sehr individuell. Die Spannweite bei stabilisierten Patienten, die sich gut eingestellt fühlen, kann zwischen 15 mg Dextro-Levomethadon und 180 mg Dextro-Levomethadon liegen. Bei Patienten, die Diacetylmorphin erhalten schwanken die Tagesdosierungen zwischen 15 und 700 mg. Die Buprenorphindosierungen reichen in eigener Praxis von 2 mg bis 18 mg Buprenorphin und 8 mg - 24 mg Buprenorphin/Naloxon pro Tag.

Umstellung

Umstellungen zwischen μ-Agonisten sind unproblematisch (Tab. 2). Auch die Umstellung von einem partiellen Agonisten zu einem μ-Agonisten gelingt in der Regel problemlos. Die Umstellung von einem μ-Agonisten auf einen partiellen μ-Agonisten hingegen führt in der Regel für einige Tage zu einer klinischen Entzugssymptomatik. Buprenorphin bindet als partieller μ-Agonist mit einer höheren Affinität als reine μ-Agonisten an die Rezeptoren, verdrängt also reine μ-Agonisten vom μ-Rezeptor. An den κ-Rezeptoren wirkt Buprenorphin antagonistisch. Am μ-Rezeptor entwickelt Buprenorphin allerdings im Gegensatz zu reinen μ-Agonisten nur die Hälfte der intrinsischen Wirkung. Dies kann zu Entzugssymptomen führen.

10 mg Dextro-Levomethadon entsprechen 5 mg Levomethadon
1 ml Dextro-Levomethadon 1% entsprechen 1 ml Levomethadon 0,5%
2 ml Dextro-Levomethadon 0,5% entsprechen 1 ml Dextro-Levomethadon 1%
100 mg Dextro-Levomethadon entsprechen 50 mg Levomethadon 0,5%
10 ml Dextro-Levomethadon 1% entsprechen 10 ml Levomethadon 0,5%
20 ml Dextro-Levomethadon 0,5% entsprechen 10 ml Dextro-Levomethadon 1%
20 ml Dextro-Levomethadon 0,5% entsprechen 10 ml Levomethadon 0,5%
10 mg Dextro-Levomethadon entsprechen 60-80 mg ret. Morphin
100 mg Dextro-Levomethadon entsprechen 600-800 mg ret. Morphin

Tab. 2 Äquivalenzdosierungen

Nachdem in den letzten Jahren die Verschreibungen von Dextro-Levomethadon zu Gunsten des Anstieges von Buprenorphin und Levomethadon abgenommen haben, wird gespannt auf die Akzeptanz des retardierten Morphins gewartet. In Österreich steht retardiertes Morphin in der Verschreibungshäufigkeit ganz oben, in unserer Praxis verschreiben wir derzeit 5% der Patientinnen und Patienten retardiertes Morphin. Indikationshilfen für die jeweiligen Substitutionsmittel sind bisher nur unscharf formuliert und nicht in kontrollierten Studien belegt. Unbestritten ist, dass auf die QT-Zeit geachtet werden muss und Dextro-Levomethadon und Levomethadon diese mehr verlängern kann als Buprenorphin oder retardiertes Morphin. Vor Beginn und nach Dosisfindung sollte die QT-Zeit im EKG kontrolliert werden. Unter Dextro-Levomethadon wird die stärkste sedierende Eigenschaft beobachtet, gefolgt von Levomethadon. „Einen klaren Kopf“ hat man unter Buprenorphin. Die chemische Nähe zum Heroin verspricht beim retardierten Morphin das beste Wohlfühlen. Zusätzlicher Konsum von Alkohol und anderen Substanzen war in Studien deutlich geringer. Auch wenn retardiertes Morphin auch primär eingesetzt werden kann, tendieren wir derzeit noch zu den vertrauten Medikamenten und setzen es eher als zweite Wahl ein. Dies wird sich jedoch mit zunehmender Erfahrung sicherlich ändern. Dann wird Codein und Dihydrocodein eine noch geringere Rolle spielen. Für Patientinnen und Patienten, die mit den Substitutionsmitteln erster Wahl nicht zurecht kommen, kann die Originalstoffvergabe – Diacetyhlmorphin – eine Option sein.

Wie lange behandeln?

Bei Abstinenzwunsch kann anschließend entweder ambulant langsam herunterdosiert werden oder eine stationäre qualifizierte Entzugsbehandlung angestrebt werden. Die Patienten sollten aufgeklärt werden, dass sie mit der Entzugsbehandlung auch die Toleranz verlieren. Die Mortalität ist bei Rückfällen nach abstinenten Phasen besonders hoch. Besteht primär kein Abstinenzwunsch, wird eine Stabilisierung angestrebt. Diese ist erreicht, wenn sich der Patient bei gleicher Dosis wohl fühlt und er regelmäßig kommen kann. Von Beginn der Substitutionsbehandlung sind Diagnose und Therapie zusätzlicher psychischer und physischer Krankheiten möglich. Gleichzeitig können gemeinsam persönliche Ziele erarbeitet werden. Eine Behandlung kann Jahre lang dauern. Manche Patienten
benötigen sie lebenslang.

Rechtslage

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist vor Jahrzehnten verabschiedet worden. In ihm sind therapeutische Handlungsanweisungen niedergeschrieben, die mittlerweile nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprechen. Der Arzt ist somit täglich damit konfrontiert, zwischen möglicher Strafverfolgung und
Behandlung nach heutigem Stand der Wissenschaft zum Wohle der Patienten zu entscheiden. Fachgesellschaftsübergreifende Bemühungen einer Veränderung des BtMG werden noch lange andauern müssen. Für nächstes Jahr scheint Hoffnung für geringe Verbesserungen durch Veränderungen der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) gegeben.


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