Philipp De Leuw, Frankfurt
ART – Wie wichtig sind die neuen Player?
Raltegravir OD
Raltegravir
EINMAL täglich – lange erwartet und nun endlich da. Spätestens
seit der Zulassung von Dolutegravir und/oder Elvitegravir hat
Raltegravir einen „Convenience“-Nachteil aufgrund der zweimaligen
Gabe (BID). Nun hat die Europäische Arzneimittelkomission (EMA)
Raltegravir einmal täglich für die Behandlung therapienaiver und
erfolgreich supprimierter Patienten zugelassen. Damit stellt sich
jetzt die Frage: Wer profitiert von der einmal täglichen Gabe (QD)
von zwei Tabletten Raltegravir à 600 mg?
Abb. 1 ONCEMRK: Virologisches Ansprechen zur Woche 96
Grundlage für die Zulassung sind die Ergebnisse der ONCEMRK-Studie, in der die einmal tägliche Gabe von 1.200 mg Raltegravir bei therapienaiven Patienten der etablierten Standardformulierung von zweimal täglich 400 mg Raltegravir virologisch nicht unterlegen war (Cahn, et al., 2016). Mittlerweile liegen sogar 96-Wochen-Daten vor (Abb. 1) (Cahn, et al., 2017). Interessanterweise wiesen hier Patienten mit einer Viruslast >500.000 Kopien/ml ein deutlich besseres virologisches Ansprechen bei einer einmal täglichen Therapie im Vergleich zur zweimal täglichen Gabe auf (73% vs. 57%). Der Grund hierfür ist unklar.
In beiden Gruppen hatten nach 96 Wochen jeweils rund 10% der Patienten ein virologisches Versagen. Ein Resistenztest wurde nur bei Teilnehmern mit ≥500 Kopien/ml zum Zeitpunkt des Versagens durchgeführt. In der QD-Gruppe wurde bei 6/17 Patienten, in der BID-Gruppe 2/8 Patienten Raltegravir-assoziierte Resistenzen nachgewiesen. In puncto Resistenzbarriere unterscheiden sich beide Formulierungen also nicht.
Bis dato wurde Raltegravir (QD) von der FDA nur für den Switch bei supprimierten Patienten von Raltegravir (BID) zugelassen. In Erinnerung an die Ergebnisse der SWITCHMRK-Studie sollte man sich hier an das Label halten. Insbesondere Patienten mit virologischem Versagen in der Vergangenheit und erhöhtem Risiko einer Resistenz gegen NRTIs hatten damals beim Switch von Lopinavir/RTV auf Raltegravir versagt.
Fazit
Die Konkurrenz an Single-Tablet-Regimen (STR) mit Integrasehemmern und mit hoher Resistenzbarriere ist groß. Raltegravir OD muss jetzt zwar nur einmal täglich eingenommen werden, die „Tablettenlast“ bleibt allerdings weiterhin hoch, auch wenn die 600 mg Tablette erfreulicherweise kaum größer ist als die bisher bekannte 400 mg Tablette.
Raltegravir hat jedoch weiterhin einen hohen Stellenwert bei Patienten mit Polypharmakotherapie aufgrund der geringen Interaktionen. Ob die einmal tägliche Gabe für diese Patientengruppe eine große Erleichterung sein wird, bleibt offen. Raltegravir hat ferner eine große Relevanz bei Frauen im gebärfähigen Alter und bei Schwangeren. Ob die QD-Gabe ähnlich gut verträglich ist und das gleiche geringe embryotoxisches Risiko aufweisen wird wie die BID-Gabe, muss sich noch zeigen. Raltegravir OD bereichert somit sicherlich die Vielfalt an Therapiemöglichkeiten und stellt eine interessante Option für Patienten dar, die bereits Raltegravir einnehmen, sowie für spezielle Populationen.
STR mit Proteasehemmer
Abb. 2 Virologisches Ansprechen D/C/FTC/TAF vs. DRV+COBI+TVD
Darunavir/Cobicistat/Emtricitabin/Tenoforviralafenamid (D/C/FTC/TAF) ist das erste Proteasehemmer-basierte Single-Tablet-Regime (STR). Die virologisch vergleichbare Wirksamkeit der Fixkombination D/C/FTC/TAF und der Einzelsubstanzen DRV + COBI + TDF/FTC bei therapienaiven Patienten wurde bereits 2014 gezeigt (77% vs. 84%) (Abb. 2) (Mills, et al., 2014). 16% bzw. 12% der Patienten wiesen ein virologisches Versagen auf. Resistenzen konnten bei keinem Patienten nachgewiesen werden. Erwartungsgemäß hatte das TAF-haltige STR einen weniger ungünstigen Einfluss auf Niere und Knochen.
Der Switch bei supprimierten Patienten von einem PI/r-basierten Regime mit FTC/TDF als Backbone auf D/C/FTC/TAF war in einer Interimanalyse der EMERALD-Studie nach 24 Wochen virologisch kein Problem. Die Ansprechraten waren vergleichbar (96% vs. 95%). Resistenzmutationen wurden nicht detektiert. Ungefähr 15% der Studienteilnehmer hatten früher einmal virologisch versagt. Eingeschlossen wurden allerdings nur mindestens zwei Monate lang stabil supprimierte Patienten ohne Darunavir-assoziierte Resistenzmutationen bzw. ohne früheres Versagen eines Darunavir-haltigen Regimes.
Unter D/C/FTC/TAF fanden sich im Vergleich PI/r + FTC/TDF deutlich höhere LDL-Cholesterinwerte sowie keine Veränderung der Knochendichte, was auf den Wechsel von TDF auf TAF bzw. Ritonavir auf Cobicistat zurückzuführen ist. Im Hinblick auf die Niere bestätigte sich der geringere nephrotoxische Effekt von TAF.
Fazit
Was sind die Vorteile eines Darunavir-basierten STR? Brauchen wir das überhaupt noch? Proteaseinhibitoren wie Darunavir haben traditionell einen hohen Stellenwert bei der Firstline-Behandlung von Late-Presentern und Patienten mit AIDS. Dies ist allerdings „Eminenz-basiert“, denn für das Argument, dass ein IRIS wegen des langsameren Abfalls der Viruslast unter PIs weniger häufiger auftritt, gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis in Form von prospektiven Studien. Dennoch wird in Deutschland bei fortgeschrittener HIV-Infektion meist eine PI-basierte Firstline-Therapie eingesetzt. Ein klarer Vorteil des neuen Darunavir-basierten STR ist hier die niedrigere Tablettenzahl. Nachteile sind das Vorhandensein eines Boosters wie Cobicistat, der zahlreiche Arzneimittelinteraktionen mit sich bringt und mitunter eine Mehrfachmedikation bei opportunistischen Infektionen schwierig macht. D/C/FTC/TAF stellt auch für Patienten mit HAND (HIV-associated neurocognitive disorder) eine interessante Option dar, da sowohl Darunavir/RTV als auch Darunavir/COBI gut liquorgängig sind (Marzolini, et al., 2017).
Ob sich D/C/FTC/TAF bei therapienaiven Patienten ohne gravierenden Immundefekt durchsetzen wird, bleibt fraglich. Das virologische Ansprechen zur Woche 48 war im Vergleich zu den bekannten INSTI-basierten STR eher moderat – unter dem Vorbehalt, dass es sich nicht um direkte Vergleichsstudien handelt. Angesichts der hohen Forgiveness und Resistenzbarriere eines PI-basierten Regimes, könnte das neue Darunavir-STR für Patienten mit nicht optimaler Adhärenz durchaus von Vorteil sein (Lathouwers, et al., 2017). In diesen Fällen erscheint das Risiko einer möglichen Resistenz gegen NRTI und/oder Integrasehemmer bei INSTI-basierten STR höher. Kritisch anzumerken ist der ungünstige Einfluss von Cobicistat und TAF auf den Fettstoffwechsel, was insbesondere bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko ins Gewicht fällt.
D/C/FTC/TAF stellt somit eine robuste Alternative für Patienten mit bereits PI-basiertem Regime dar. Bei der Auswahl eines Firstline-Regimes erleichtert die geringe Tablettenzahl die Einnahme und bietet bei Patienten mit Adhärenz-Problemen den Vorteil einer hohen Forgiveness und Resistenzbarriere.
Bictegravir/FTC/TAF
Mit
B/FTC/TAF gibt es nun endlich neben DTG/ABC/3TC ein weiteres
Booster-freies INSTI-STR zur Auswahl. Wie steht die neue
Fixkombination im Vergleich da? Bictegravir scheint eine hohe
Resistenzbarriere zu haben. In
vitro wurden nach einer
10-tägigen Monotherapie keine INSTI-assoziierten Resistenzen
beobachtet (Gallant, et al., 2017). Bictegravir ist zudem in vitro
auch gegen Virusstämme mit Resistenz gegen Raltegravir, Elvitegravir
und Dolutegravir aktiv (Tsiang, et al., 2016).
Abb. 3 GS-1475: BIC+FTC/TAF vs. DTG/FTC/TAF. Virologisches Ansprechen zur Woche 24 und 48
In der klinischen Prüfung wurde die neue Fixkombination B/FTC/TAF bei therapienaiven Patienten gegen DTG + FTC/TAF und in zwei weiteren Studien gegen die Fixkombination DTG/ABC/3TC untersucht. An den letzten beiden Studien nahmen auch Patienten mit <200 CD4/µl teil. Über 90% hatten jedoch eine asymptomatische HIV-Infektion. Die virologische Wirksamkeit der verschiedenen Regime war in allen diesen Studien vergleichbar (97% vs. 91%; 92% vs. 93%) (Abb. 3) (Sax PE, et al., 2017).
Im
Hinblick auf die Nebenwirkungen klagten die Patienten in einer der
beiden Vergleichsstudien gegen DTG/ABC/3TC doppelt so häufig über
Übelkeit, während dies in der Zwillingsstudie nicht festgestellt
wurde. Schlafstörungen und neuropsychiatrische Nebenwirkungen wurden
bei beiden Regimen gleichermaßen vermehrt beobachtet. Bezüglich der
Knochendichte und der renalen Sicherheit ergaben sich keine
Unterschiede.
Abb. 4 GS-1475: Grad 2-4 Laborwertveränderungen
Die Häufigkeit von Laborveränderungen Grad 3 und 4 unterschieden sich beim Vergleich der beiden Fixkombinationen kaum, beim Vergleich mit DTG+FTC/TAF hingegen war im Bictegravir-Arm ein Anstieg der GOT, GPT und CK häufiger (Abb. 4). Bekanntermaßen wird bei Dolutegravir auch gelegentlich ein meist transienter Anstieg der Leberwerte beobachtet. Ob ein solcher Anstieg unter Bictegravir ebenfalls transient verläuft, ist noch offen. Gegebenfalls sind engmaschigere Laborkontrollen notwendig.
Bictegravir wird anders als Dolutegravir in der Leber sowohl über CYP3A4 (Oxidation) und UGT1A1 (Glucuronidierung) verstoffwechselt. Aufgrund dieser dualen Möglichkeit der Metabolisierung treten Arzneimittelinteraktionen seltener auf. Die gleichzeitige Gabe von Rifmapicin wird dennoch nicht möglich sein.
Fazit
Bis dato war nur Dolutegravir mit Abacavir und Lamivudin als boosterfreies INSTI-STR verfügbar. Nun wird es in absehbarer Zeit ein zweites INSTI-Regime ohne Booster geben. Beide scheinen in der klinischen Prüfung als Firstline-Regime eine vergleichbar gute virologische Wirksamkeit und Resistenzbarriere zu haben. Noch nicht beantwortet ist dagegen die Frage, ob man B/FTC/TAF auch bei Integraseresistenz gegen Dolutegravir und Raltegravir einsetzen kann. Hier gilt es, entsprechende Studien abzuwarten.
Im Hinblick auf Nebenwirkungen war Übelkeit in einer Studie unter Dolutegravir häufiger. Schlafstörungen und neuropsychiatrische Nebenwirkungen, die bei Dolutegravir weit nach Zulassung beschrieben wurden, waren in den Studien gleich häufig. Ob sich das Nebenwirkungsprofil auch im klinischen Alltag so darstellt, bleibt abzuwarten.
B/FTC/TAF stellt somit als Booster-freies INSTI-STR eine solide und hochwirksame Option zur Behandlung therapie-naiver Patienten dar. Ein klarer Pluspunkt ist, dass eine HLA-B5701 Typisierung nicht mehr abgewartet werden muss und die Kombination auch bei HBV-Koinfizierten eingesetzt werden kann. Trotzdem sollte man aus der in der Anfangsphase fast euphorischen Begeisterung für Dolutegravir gelernt haben und B/FTC/TAF etwas besonnener einsetzen, bis Erfahrung mit dem Spektrum an Nebenwirkungen im klinischen Alltag und Daten zu vorbehandelten Patienten vorliegen. Kein direkter Nachteil vielleicht, aber doch bedauerlich ist, dass Bictegravir nicht als Einzelsubstanz zur Verfügung stehen wird.
Interessenkonflikte:
Adboardtätigkeit/Vortragstätigkeit/Reisekostenunterstützung: Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA, Gilead Sciences GmbH, GlaxoSmithKline GmbH & Co.KG, Hexal AG, MSD Sharp & Dohme GmbH, Janssen-Cilag GmbH.
Literatur beim Verfasser