PrEP: Da geht noch einiges!
Die HIV-PrEP ist erfolgreich, ihr Potenzial jedoch bei Weitem noch nicht ausgeschöpft: Sie könnte noch mehr Menschen vor HIV schützen und zu einer angstfreien Sexualität beitragen. Es gilt, breiter zu informieren sowie strukturelle Barrieren und Hürden in den Köpfen zu beseitigen. DAH veröffentlicht Positionspapier.
Lange wurde sie gefordert, dann endlich Wirklichkeit: Seit 2019 ist die PrEP für Menschen mit „substanziellem HIV-Risiko“ eine Leistung der Gesetzlichen Krankenkassen. Bis Ende 2021 wurde die neue Maßnahme zum Schutz vor HIV vom Robert Koch-Institut (RKI) evaluiert. Das Ergebnis in Kurzform: Die PrEP funktioniert, erreicht aber noch nicht alle Menschen, die sie brauchen könnten. O-Ton RKI: „Um das Potenzial der PrEP als Präventionsmethode erschließen zu können, bleibt es wichtig, allen Personen mit Bedarf die PrEP zugänglich zu machen.“ Die Deutsche Aidshilfe schließt sich dieser Einschätzung an. In einem neuen Positionspapier hat sie zusammengetragen, worauf es jetzt ankommt, damit die PrEP noch breiter wirken kann.
PrEP erreicht noch nicht alle
Genutzt wird die PrEP bisher vor allem von schwulen und bisexuellen Männern. Sie kommt aber prinzipiell für alle Menschen in Frage, die ein Risiko haben, sich mit HIV zu infizieren – und sollte allen, die sie wollen oder brauchen zugänglich sein.
Noch gibt es auf dem individuellen Weg zur PrEP viel zu viele Hindernisse: Oftmals wissen Menschen nicht genug über die PrEP und ziehen sie für sich deswegen gar nicht in Betracht, zudem gibt es Versorgungslücken und in PrEP-verschreibenden Praxen teils kurzfristig keine Termine.
Doch sollten Menschen, die sich vor HIV schützen möchten, nicht schnell und unkompliziert Zugang zu den erforderlichen Mitteln erhalten? Zumal Menschen mit einem erhöhten HIV-Risiko? Für manche ist die PrEP die beste, für nicht wenige die einzige praktikable Möglichkeit, sich vor HIV zu schützen. Die DAH sieht hier eine besondere Dringlichkeit.
Das Potenzial der PrEP ausschöpfen
Um das Potenzial der PrEP voll auszuschöpfen, gilt es strukturelle Hemmnisse zu überwinden, aber auch Barrieren in den Köpfen in Prävention, Medizin und Communitys aufzulösen:
- Der Adressat*innenkreis der PrEP sollte offener und flexibler gefasst werden. Nicht nur für Menschen mit sehr hohem HIV-Risiko beziehungsweise aus besonders stark von HIV betroffenen Gruppen kommt die PrEP in Frage.
- Individuen und Ärzt*innen sollten im Einzelfall genau reflektieren, ob die PrEP eine geeignete Schutzmethode für eine Person ist.
- Zugleich gilt es, eine Vielfalt niederschwelliger Zugänge zu schaffen, übers Medizinsystem, aber auch über communitynahe Einrichtungen für die am stärksten von HIV betroffenen Gruppen.
- In der Kommunikation zur PrEP gilt es Hemmnisse auszuräumen, zum Beispiel die meist unbegründete Angst vor starken Nebenwirkungen.
- Der psychische Nutzen sollte hervorgehoben werden, etwa dass die PrEP Ängste nehmen und zu einer entspannten Sexualität beitragen kann. Auch der Wunsch, Sex ohne Kondom zu haben, darf eine Rolle spielen.
- Die anlassbezogene PrEP sollte als gleichwertige Option etabliert werden. Sie kann Hürden senken (etwa die Einnahme erleichtern, Ängste vor Nebenwirkungen nehmen) und so den Adressat*innenkreis erweitern. Wir brauchen eine Erweiterung der Zulassung und eine entsprechende Weiterentwicklung der Leitlinien, zudem ein einheitliches Einnahmeschema, um Unsicherheit vorzubeugen.
- Der Stigmatisierung von PrEP-Nutzer*innen gilt es entgegenzuwirken, stattdessen sollte PrEP weiter als wirkungsvolle und selbstverständliche Schutzmethode (gleichrangig mit dem Schutz durch Kondome) etabliert werden.
Hürden für ärztliche Versorgung senken
PrEP-Beratung (Symbolbild) © DAH/Renata Chueire
Ziel muss eine flächendeckende PrEP-Versorgung sein, die lange Wege und Wartezeiten für Interessierte und Nutzer*innen vermeidet. Der Überlastung einzelner Arztpraxen gilt es vorzubeugen. Unverzichtbar ist ein schneller und unkomplizierter Zugang zu Beratung, Verschreibung und ärztlicher Begleitung. Niemand sollte auf dem Weg von der Erstberatung – zum Beispiel in einem Checkpoint der Aidshilfen – zur Verordnung der PrEP „verloren gehen“, etwa weil die nächste Praxis schwer erreichbar ist oder lange Wartezeiten hat.
Nötig sind daher mehr verordnende Praxen und Einrichtungen, auch außerhalb von Metropolen und Ballungsräumen. Die Zusatzqualifikation, die Ärzt*innen erwerben müssen, um die PrEP zulasten der GKV verordnen zu dürfen, muss leichter erworben werden können als bisher, zum Beispiel durch E-Learnings. So könnten zum Beispiel auch mehr Hausärzt*innen die HIV-PrEP verschreiben (wie etwa in Frankreich).
Finanzielle Anreize für Ärzt*innen dürfen nicht abgeschafft werden so lange es Versorgungslücken gibt. Die Kosten für die PrEP-Verordnung und die erforderlichen Begleituntersuchungen sollten vorerst weiterhin außerhalb der Praxis-Budgets abgerechnet werden.
Um die Kapazitäten zu erhöhen, könnte die PrEP-Beratung auch durch nicht-ärztliche Berater*innen erfolgen (z.B. in Checkpoints, Fachberatungsstellen für Sexarbeiter*innen etc.). In einigen communitynahen Einrichtungen könnten auch die PrEP-Verordnung und die medizinische Begleitung selbst stattfinden. Dafür sind einrichtungsbezogene Möglichkeiten zur Verordnung der PrEP als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen notwendig, da die mitarbeitenden Ärzt*innen teilweise über keine Kassenzulassung verfügen oder die Einrichtung einer Nebenniederlassung für sie eine hohe Hürde bedeutet.
Kostenübernahme für alle Menschen mit HIV-Risiko
Die PrEP darf nie am Geldbeutel scheitern; kein Mensch sollte die Kosten für diese Schutzmaßnahme selbst aufbringen müssen.
Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis oder Krankenversicherung haben jedoch keinen (ausreichenden) Zugang zur Gesundheitsversorgung – und damit erst recht nicht zur PrEP. Auch unter ihnen gibt es Menschen mit HIV-Risiko. Auch für sie muss die PrEP kostenlos an sicheren und leicht erreichbaren Orten angeboten werden. Dies selbstverständlich einschließlich der erforderlichen medizinischen Untersuchungen und Therapieangebote, wenn bei Routineuntersuchungen HIV oder andere sexuell übertragbare Infektionen festgestellt werden.
Auch Privatversicherte bekommen die PrEP oft nicht bezahlt: Noch immer erstatten viele Krankenversicherungen die Kosten nicht, nehmen PrEP-Nutzer*innen nicht auf oder benachteiligen sie bei den Tarifen. Das muss sich ändern. Die Nutzung der PrEP darf kein Nachteil sein, sondern verdient Respekt und Unterstützung.
Aufklärung zur PrEP ausweiten
Die PrEP ist als Schutzmethode noch zu wenig bekannt. Selbst viele Männer, die Sex mit Männern haben, wissen noch nicht genug darüber. Es ist Aufgabe von Prävention, Beratung und ärztlicher Begleitung, die PrEP unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten bekannter zu machen und Menschen den Weg zur PrEP aufzuzeigen.
- Mediziner*innen, insbesondere Hausärzt*innen, Gynäkolog*innen und Ärzt*innen für Haut- und Geschlechtskrankheiten, sollten HIV-Risiken in der Anamnese und im Praxisalltag thematisieren und bei Bedarf die PrEP anbieten beziehungsweise an Fachkolleg*innen verweisen.
- PrEP sollte in der reisemedizinischen Beratung angeboten werden. Viele HIV-Neuinfektionen auf heterosexuellem Wege betreffen wahrscheinlich Menschen, die Sex in Ländern haben, in denen HIV besonders häufig vorkommt.
- Für Sexarbeiter*innen kann die PrEP ein (zusätzliches) Arbeitsschutzmittel sein. Sie sollten über die PrEP informiert werden und frei entscheiden können, ob sie diesen Schutz in Anspruch nehmen wollen.
- Auch schwule und bisexuelle Männer wissen teilweise nicht genug von den Möglichkeiten der PrEP oder erfahren zu spät davon. Laut Evaluation hält unbegründete Angst vor starken Nebenwirkungen manche von der Nutzung ab.
- Die Chancen der anlassbezogenen PrEP müssen in Prävention und Beratung stärker hervorgehoben werden. Für manche Menschen ist sie praktikabler oder eine dauerhafte Einnahme lohnt sich nicht, weil nur gelegentlich entsprechende sexuelle Kontakte stattfinden. Auch bei Angst vor Nebenwirkungen kann die „intermittierende PrEP“ eine Option sein.
Fazit
Die PrEP könnte noch deutlich mehr HIV-Infektionen verhindern. Auch ihr Potenzial zur Stärkung des sexuellen Wohlbefindens ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Es braucht also gemeinsame Anstrengungen von Politik, Medizinsystem, Prävention und Communitys. Lange haben wir für die PrEP als Kassenleistung gekämpft. Der Erfolg war es wert – und könnte noch viel größer sein.
Holger
Wicht
(Referent für Öffentlichkeitsarbeit)presse@dah.aidshilfe.de
Mehr Informationen und Positionspapier: www.aidshilfe.de/positionen