Interview mit Prof. Dr. Gabriele Pradel, Aachen
Infect-Net: Verband deutscher Infektionsforscherinnen
Frauen sollen sichtbarer werden – auch in der Wissenschaft. Daher haben sich die deutschen Infektionsforscherinnen der durch das Programm „Innovative Frauen im Fokus“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Netzwerkinitiative Infect-Net angeschlossen.
Abteilung für Zelluläre und Angewandte Infektionsbiologie
RWTH Aachen University
E-Mail: pradel@
bio2.rwth-aachen.de©Foto: Lutz Kupferschläger
Eine aktuelle Schwierigkeit beim Umgang mit Genderfragen, die wir an dieser Stelle gleich klären sollten, ist der Umgang mit der deutschen Grammatik in Sprache und Schrift. Wie halten Sie es damit?
Pradel: (lacht) Wir haben da keine klare Präferenz, solange beide Geschlechter genannt werden.
Kommen wir zu den Fakten. Gender Gap in der Wissenschaft. Laut einer Studie der UNESCO lag der Frauenanteil in der Forschung in Deutschland bei 28% (Abb. 1). Auf welchen Daten beruht diese Aussage?
Pradel:Diese Zahl wurde im Rahmen einer statistischen Erhebung der UNESCO von 2019 erfasst. Hier ging es um den Anteil der Frauen an der Gesamtzahl an Forschenden nach Ländern und Kontinenten. Deutschland schnitt dabei sehr schlecht ab, europaweit lag es auf dem viertletzten Platz, knapp vor Frankreich, Tschechien und den Niederlanden. Weltweit machten 29,3% der Forschenden Frauen aus.
Abb 1
©uis.unesco.org/sites/default/files/docu-
ments/fs55-women-in-science-2019-en.pdf
Wie sieht der Frauenanteil in der medizinisch-relevanten Wissenschaft heute aus?
Pradel:Seit einigen Jahren schon studieren mehr Frauen als Männer Medizin und biomedizinische Lebenswissenschaften. Der Frauenanteil liegt derzeit bei rund 60%, Tendenz steigend. Bei der Promotion ziehen die Männer nach: 50% Frauen, 50% Männer. Danach fallen die Frauen aber zurück. Nur etwa 30% der Habilitationen werden von Frauen eingereicht und noch weniger schaffen es auf den Lehrstuhl.
Was sagen uns diese Zahlen im Hinblick auf die Infektiologie?
Pradel: Zahlen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Das sind Zahlen für die Medizin insgesamt, diese können in einzelnen Fächer deutlich abweichen. Die Infektiologie ist mit dem neuen Facharzt in Deutschland ein junges Fach und mit sehr vielen Arbeitsbereichen, dennoch würde ich persönlich schätzen, die genannten Zahlen stimmen auch für die Infektiologie.
Wie kommt es, dass deutlich weniger Frauen als Männer den Sprung nach oben schaffen?
Pradel: Da kommen viele Faktoren zusammen. Zwei davon halte ich für besonders wichtig. Die entscheidende Phase der wissenschaftlichen Karriere liegt in der Altersspanne zwischen 30-45 Jahren. In diese Phase fällt auch die Familienplanung bzw. die Versorgung kleiner Kinder. Frauen haben in diesem Alter daher oft weniger freie Kapazitäten für ihre Karriere als Männer. Der zweite Punkt sind die Netzwerke. Auf der höheren Karriereleiter braucht man einflussreiche Mentoren, die einen fördern, z.B. für einen wichtigen Preis oder eine Leitungsposition vorschlagen. Diese Mentoren sind derzeit überwiegend Männer und die fördern häufiger junge Männer als junge Frauen – unter anderem auch weil mehr Männer als Frauen auf der Karriereleiter überhaupt soweit aufgestiegen sind.
Wie kann man dem entgegenwirken? Brauchen wir eine Frauenquote?
Pradel: Je älter ich werde, desto mehr glaube ich an die Frauenquote. Wenn man jung ist, meint man, nur die Leistung zählt, aber dann stößt man an die berühmte gläserne Decke und sieht, dass Männer mit der gleichen Leistung weiter kommen. Aktuell haben Frauen bei Berufungen auf Lehrstühle durch den politischen Druck für mehr Diversität zwar schon etwas bessere Chancen als früher, aber von einer Chancengleichheit würde ich noch nicht sprechen.
Abb. 2 Medienpräsenz von Frauen in TV-Sendungen und Online-Portalen 16. und 30. April 2020 MaLisa-Stiftun
Im Rahmen der Corona-Pandemie waren Frauen als Infektiologie-Expertinnen doch gut sichtbar….
Pradel: Das ist nicht ganz richtig. Im ersten Jahr der Pandemie waren fast nur Experten in den Medien präsent, wobei schon der Begriff „Experte“ männlich belegt ist. Im zweiten Jahr gab es eine leichte Änderung, die von den Medien ausging. Plötzlich waren auch Frauen zu sehen und zu hören, allen voran Sandra Ciesek und Melanie Brinkmann. Dennoch im Verhältnis waren die Männer immer noch deutlich in der Überzahl.
Wie kam es zur Gründung des Verbands der Deutschen Infektionsforscherinnen?
Pradel:
Seit 2019 bin ich Sprecherin des von der DFG geförderten
Schwerpunktprogramms SPP 2225, in dem es um den Austritt von
Krankheitserregern aus ihren Wirtszellen geht. Seitdem war es mein
Wunsch, Frauen in der Infektiologie zu fördern. Da kam der Aufruf
des BMBF-Förderprogramms „Innovative Frauen im Fokus“ wie
gerufen.
Melanie Brinkmann und Sandra Ciesek haben ihre
Mitarbeit spontan zugesagt. In kürzester Zeit hatten wir eine
Gründungsgruppe von über 30 interessierten Frauen zusammen.
Was sind Ihre Ziele?
Frauen fördern – ein Projekt des BMBF
Das vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung ins Leben gerufene Metavorhaben „Innovative Frauen im Fokus“ hat die Aufgabe, die Sichtbarkeit und Repräsentanz von Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation zu erhöhen, die in der gleichnamigen Förderrichtlinie geförderten Forschungs- und Umsetzungsprojekte miteinander zu vernetzen, den fachlichen Austausch zu befördern, bei der Entwicklung von Transfer- und Verstetigungsmaßnahmen zu beraten sowie bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen und gemeinsame, öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zu initiieren. Die Förderrichtlinie des BMBF wird hier beschrieben: https://www.bmbf.de/bmbf/de/home/_documents/innovative-frauen-im-fokus.html. In diesem Programm wird das Projekt „InfectNet“ gefördert. Förderdauer ist drei Jahre.
Pradel: Wir wollen die Frauen in der Infektionsforschung fördern. Dazu wollen wir ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verbessern und Netzwerke aufbauen.
Wie wollen Sie die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verbessern?
Pradel: Da gibt es viele Optionen. Wir haben auf der Homepage eine „Expertinnen-Suchmaschine“. Wir sind in den sozialen Medien präsent, indem wir Beiträge zu aktuellen Events posten, z.B. zum Malaria-Tag. Wir schreiben wissenschaftspolitische Stellungnahmen zu brennenden Themen wie z.B. der neuen Tierschutznovelle. Dabei ist uns wichtig, die Themen nicht aus einer „Frauenperspektive“ anzugehen, sondern aus einer neutralen Wissenschaftsperspektive.
... und Netzwerke aufbauen?
Pradel: Netzwerke sind wichtig. Dazu treffen wir uns zweimal im Jahr persönlich, mehrmals im Jahr virtuell. Wir haben ein Mentorinnenprogramm aufgesetzt, wir kommunizieren und unterstützen uns bei Ausschreibungen, Bewerbungen, Preisen, Projekten usw. Wir achten darauf, dass Frauen in wichtige wissenschaftliche Gremien und Kommissionen aufgenommen werden.
Wie unterstützt Sie das BMBF?
Pradel: Im Rahmen der Initiative „Innovative Frauen im Fokus“ erhalten wir eine finanzielle Förderung von rund 450.000 €.. Damit bauen wir die Webseite auf, finanzieren unsere Treffen und konnten unseren Koordinator einstellen, der sich um die Belange von Infect-Net kümmert. Diese Förderung sehe ich als Startschuss, denn unser Ziel ist, das Projekt als Verein dauerhaft fortzusetzen. Unser großes Vorbild sind hier die Chirurginnen, die ihren Verein in den Coronajahren gegründet haben, und mittlerweile schon bei 2.000 Mitgliedern sind.
Vielen Dank für das Gespräch