Christoph Boesecke und Malte Monin, Bonn
PrEP-Leitlinie: Was hat sich geändert?
Ziel der S2k Leitlinie (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/055-008) ist: Den Schutz von Personen mit hohem HIV-Risiko durch PrEP zu verbessern auf Grundlage des aktuellen Wissensstands und der daraus abgeleiteten diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen. Die Leitlinie soll den Rahmen des diagnostisch und therapeutisch Notwendigen und Wünschenswerten abstecken, die der PrEP zu Grunde liegenden Prinzipien verdeutlichen, Hinweise auf Probleme bei der Anwendung und der Bewertung der Begleitdiagnostik geben und dazu beitragen, nicht notwendige Medikamenteneinnahmen zu vermeiden. Ferner sollte die Leitlinie zu einem zielgerichteten, kosteneffektiven Einsatz der PrEP zu Gunsten von Personen mit Risiko für eine HIV-Infektion beitragen sowie den gesamtgesellschaftlichen Nutzen erhöhen, indem Infektionen verhindert werden, Resistenzentwicklung bei HIV-Infektionen unter PrEP vermieden werden, Komplikationen vorgebeugt wird sowie unerkannte Begleitinfektionen diagnostiziert werden.
Entscheidungshilfe
Konsensstärke | |
---|---|
Starker Konsens | Zustimmung von >95% der Teilnehmer*innen |
Konsens | Zustimmung von 75-95% der Teilnehmer*innen |
mehrheitliche Zustimmung | Zustimmung von 50- <75% der Teilnehmer*innen |
kein Konsens | Zustimmung von weniger als 50% der Teilnehmer*innen |
Empfehlungsstärken | Formulierung |
Starke Empfehlung | „soll“ |
Empfehlung | „sollte“ |
Empfehlung offen | „kann“ |
Negative Empfehlungen werden entsprechend formuliert |
Tab. 1 Konsensstärke / Empfehlungsstärken
Die Leitlinie richtet sich an Ärztinnen und Ärzte und Angehörige von Berufsgruppen, die Personen mit Risiko für eine HIV-1-Infektion beraten, behandeln oder betreuen. Als Entscheidungshilfe soll sie medizinische Berufe bei Diagnostik, Indikationsstellung und Durchführung der HIV-PrEP unterstützen. Eine aktuelle Informationsquelle ist die Leitlinie für medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften, gesundheitspolitische Einrichtungen und Entscheidungsträger auf Bundes- und Landesebene, Einrichtungen der Community, Kostenträger im Gesundheitswesen sowie die Öffentlichkeit.
Vieles überarbeitet
Die bisherigen 17 Empfehlungen wurden überarbeitet und eine neue zusätzliche Empfehlung ergänzt. Die Konsensfindung innerhalb der Leitliniengruppe erfolgte in einem nominalen Gruppenprozess. Die entsprechenden Abstimmungsergebnisse wurden festgehalten. Den 18 Empfehlungen wurde überwiegend mit „starkem Konsens“ (n=9) oder mit „Konsens“ (n=7) zugestimmt. Den Empfehlungen 1.9 und 2.9 wurde lediglich „mehrheitlich“ zugestimmt. Tabelle 1
Empfehlung 1.9: Wann kann nach der letzten möglichen HIV-Exposition eine PrEP auf Nutzer*innen-Wunsch frühestens beendet werden?
Die Datenlage zur Beantwortung dieser Frage ist unzureichend.
[Konsensstärke: Mehrheitliche Zustimmung]
In Empfehlung 1.9. konnte aufgrund der aktuellen Datenlage keine klare Empfehlung ausgesprochen werden. Zur notwendigen Dauer einer Fortführung von TDF/FTC nach einem möglichen HIV-Expositionsereignis lassen sich auf der Basis der intrazellulären Halbwertszeiten der Medikamente nur theoretische Überlegungen anstellen. Da jedoch unklar ist, wie lange inhibitorische Spiegel der Medikamente aufrechterhalten werden müssen, reichen diese für eine evidenzbasierte Empfehlung derzeit nicht aus. Allerdings kann auf der Grundlage der Empfehlungen zur anlassbezogenen PrEP die Beendigung frühestens 48h nach letztem analen Sexualkontakt diskutiert werden, bei vaginalem Sexualkontakt empfehlen Expert*innen zurzeit eine Fortführung für weitere sieben Tage.
Empfehlung 2.8: Stellungnahme zu TAF/FTC und Cabotegravir i.m. als alternative PrEP.
Der Einsatz von TAF/FTC-Präpara-ten und/oder Cabotegravir i.m. wird derzeit nicht als Alternative zur TDF-basierten PrEP empfohlen.
[Konsensstärke: Mehrheitliche Zustimmung]
Neu hinzugekommen ist als Empfehlung 2.8 eine Stellungnahme zur intramuskulären Gabe von TAF/FTC bzw. Cabotegravir i.m. Dies kann mit mehrheitlicher Konsensstärke derzeit nicht als Alternative zur oralen TDF-basierten PrEP empfohlen werden. In den USA sind PrEP-Präparate mit TAF/FTC und/oder Cabotegravir i.m. zugelassen. Die Beurteilung durch die EMA steht noch aus. Aktuell kann der Einsatz nicht standardmäßig als Alternative zu TDF-basierten PrEP-Präparaten empfohlen werden. In begründeten Einzelfällen kann der Einsatz im Konsens mit den PrEP-Nutzer*innen in Erwägung gezogen werden (off label use). Bezüglich des ggf. angepassten Monitorings wird auf die Fachinformationen der einzelnen Präparate bzw. die US-amerikanischen Leitlinien verwiesen.
Viel Diskussion
Wenngleich im Konsens verabschiedet, gab es innerhalb der Leitliniengruppe bis zuletzt rege Diskussionen um die Empfehlungen 1.4 und 1.8, die sich mit dem Einnahmemodus und dem Zeitfenster bis zum Einsetzen der Schutzwirkung beschäftigen.
Empfehlung 1.4: Einnahmemodus
Die PrEP sollte als kontinuierliche einmal tägliche Einnahme von TDF/FTC erfolgen.
Bei anlassbezogener Einnahme der PrEP* soll über den off label use und die genauen Einnahmemodalitäten (2 Tabletten 2-24h vor dem geplanten Sexualkontakt, danach täglich zur selben Zeit eine Tablette und nach dem letzten kondomlosen Sex nochmals an den darauffolgenden zwei Tagen je eine weitere Tablette) aufgeklärt werden.
[Konsensstärke: Konsens]
Laut Empfehlung 1.4 soll die PrEP als kontinuierliche einmal tägliche Einnahme von TDF/FTC erfolgen. Der anlassbezogene Gebrauch erfolgt in Deutschland außerhalb der Zulassung des Medikamentes („off-label“-Gebrauch) und kann daher nicht regelhaft empfohlen werden. Die anlassbezogene Einnahme wird dennoch häufig von PrEP-Nutzer*innen praktiziert. Entsprechende Vor- und Nachteile sollen daher im Beratungsgespräch sorgsam erläutert werden. Wegen fehlender Daten zu einer anlassbezogenen PrEP bei vaginalem Verkehr und nur verzögertem Erreichen suffizienter Gewebespiegel in der vaginalen Schleimhaut wird die anlassbezogene PrEP für vaginale Sexualkontakte nicht empfohlen. Bei trans-Personen sollte eine individuelle Empfehlung zur anlassbezogenen PrEP-Einnahme in Rücksprache mit einem spezialisierten Zentrum erfolgen.
Empfehlung 1.8: Ab wann ist ausreichender HIV-Schutz nach Beginn der PrEP gegeben?
Es soll darüber aufgeklärt werden, dass die Schutzwirkung der PrEP verzögert einsetzt. Obgleich der genaue Zeitpunkt des Schutzbeginns einer kontinuierlichen PrEP nicht abschließend geklärt ist, wird auf der Basis von Studien zu Medikamentenkonzentrationen in der Kolorektalschleimhaut am 3. Tag und im weiblichen Genitale am 7. Tag nach Beginn der Einnahme einer kontinuierlichen PrEP von einer ausreichenden Schutzwirkung ausgegangen.
Bei der anlassbezogenen PrEP (siehe Empfehlung 1.4) wird bei analem Sexualkontakt von einer ausreichenden Schutzwirkung 2-24h nach Einnahme einer doppelten Dosis von TDF/FTC ausgegangen. Die anlassbezogene PrEP wird bei vaginalem Sexualkontakt nicht empfohlen.
[Konsensstärke: Konsens]
Empfehlung 1.8 stellt klar, dass darüber aufgeklärt werden soll, dass die Schutzwirkung der PrEP verzögert einsetzt. Obgleich der genaue Zeitpunkt des Schutzbeginns einer kontinuierlichen PrEP nicht abschließend geklärt ist, geht man aufgrund von pharmakodynamischen Studien davon aus, dass der Schutz im Rektum am dritten Tag und in der Vagina am siebten Tag nach Beginn einer kontinuierlichen PrEP ausreichend ist. Bei der anlassbezogenen PrEP geht man 2-24 Stunden nach Einnahme einer doppelten Dosis von TDF/FTC aufgrund einer klinischen Studie von einer ausreichenden Schutzwirkung bei analem Kontakt aus.
Empfehlung 1.2: Definition des substanziellen Risikos für eine HIV-Infektion
Ein substanzielles HIV-Infektionsrisiko besteht insbesondere bei folgenden HIV-negativen Personen:
- MSM oder Trans-Personen mit der Angabe von analem Sex ohne Kondom innerhalb der letzten 3-6 Monate und/oder voraussichtlich in den nächsten Monaten bzw. einer STI in den letzten 12 Monaten
- Serodiskordante Konstellationen mit einer/m virämischen HIV-positiven Sex-Partner/in OHNE ART, einer nicht suppressiven ART1 oder in der Anfangsphase einer ART (also einer HIV-RNA, die nicht schon 6 Monate bei mindestens <200 RNA-Kopien/ml liegt)
- Sexarbeitende
- Menschen mit kondomlosen Sexualkontakten mit Partner*innen, bei denen eine undiagnostizierte HIV-Infektion anzunehmen ist
- Drogeninjizierenden Personen ohne Gebrauch steriler Injektionsmaterialien
[Konsensstärke: Konsens]
1 Erhält der/die HIV-positive Partner/in eine nicht-suppressive ART, sollte vor Verschreibung einer PrEP nach Möglichkeit eine Resistenzanalyse erfolgen, um eine Unwirksamkeit von TDF und/oder FTC auszuschließen.
Bei Empfehlung 1.2 wurden Sexarbeitenden in die Gruppe von HIV-negativen Personen mit substantiellem HIV-Infektionsrisiko aufgenommen, wenngleich eine allgemeine Empfehlung einer PrEP für Sexarbeitende in Deutschland und Österreich in Anlehnung an die WHO-Empfehlungen von der Konsensuskonferenz mehrheitlich auf Grund der niedrigen HIV-Prävalenz in den beiden Ländern als nicht erforderlich angesehen und daher abgelehnt wurde.
Empfehlung 1.6: Welche Voraussetzungen sollen für eine PrEP-Verordnung gegeben sein und welche Laboruntersuchungen müssen vor PrEP-Beginn durchgeführt werden?
Neben dem HIV-Infektionsrisiko sind potenzielle Kontraindikationen (s.u.) sowie mindestens die folgenden Voraussetzungen zu prüfen:
- Aktuelle, negative HIV-Serologie (4. Generations-ELISA mit p24-Ag); Wiederholung 4 Wochen nach Beginn der PrEP
- Eine HIV-PCR vor PrEP Beginn sollte durchgeführt werden, wenn ein sehr hohes Risiko (v.a. zahlreiche kondomlose Sexualkontakte) einer bereits bestehenden HIV-Infektion bei gleichzeitig hoher Dringlichkeit des PrEP Beginns besteht
- Ausschluss einer replikativen Hepatitis-B-Infektion mittels Serologie (HBs-Antigen, anti-HBc-Antikörper) bzw. Prüfung der HBV-Immunität (HBs-Antikörper, ggfs. Impfung gegen HBV)
- Ausschluss einer Nierenfunktionsstörung mittels Kreatinin-Bestimmung im Serum (eGFR soll mindestens 60 und sollte >80 ml/min sein)
[Konsensstärke: Konsens]
Bei Empfehlung 1.6 wird neuerdings der Einsatz einer HIV-Nukleinsäureamplifikationstestung (NAAT, PCR) vor PrEP-Beginn empfohlen, wenn ein dringlicher PrEP-Wunsch und gleichzeitig ein sehr hohes Risiko einer bereits bestehenden HIV-Infektion (v.a. zahlreiche kondomlose Sexualkontakte) besteht. Ein Zeitraum der zurückliegenden kondomlosen Kontakte wird in der Leitlinie nicht genannt, aber vier Wochen erscheinen angesichts Empfehlung zum Einsatz des 4. Generations-ELISA mit p24-Antigen sinnvoll.
Empfehlung 2.1: Begleit- und Laboruntersuchungen vor, während und zum Ende der PrEP
|
Vor PrEP Beginn |
Während PrEP |
Zum Ende |
---|---|---|---|
HIV-Serologie (4. Ge- |
X |
Alle 3 Monate (einmalig zusätzlich |
6 Wochen Einnahme |
HIV-PCR |
bei |
bei V.a. |
bei V.a. |
Hepatitis B*-Serologie |
X X |
HCV-Ak alle 6-12 Monate bei HCV-seronegativen Nutzern |
|
Lues-Serologie Gonorrhoe-NAAT*** Chlamydien-NAAT*** ***Abstriche (pharyngeal, |
X X X |
Alle 3 Monate Kann alle 3-6 Monate, Kann alle 3-6 Monate, sollte alle 12 Monate |
X |
Kreatinin im Serum zur Prüfung der eGFR |
X |
Alle 3 Monate |
|
Beratung zur Risikoreduktion und Überprüfung der Indikationsstellung |
X |
Alle 3 Monate |
X |
Anamnese bzgl. STI-Symptomen |
X |
Alle 3 Monate |
X |
In Empfehlung 2.1 wurde die Empfehlung zum PCR-basierten Screening auf Gonokokken- und Chlamydieninfektion konkretisiert. Im Gegensatz zur alten Empfehlung „Alle 3 Monate“ ist die neue Version flexibler „Kann alle 3-6 Monate, sollte alle 12 Monate“. Die wissenschaftliche Grundlage für die Testung asymptomatischer Personen ist dünn. Bei PrEP-Nutzern ohne weibliche Geschlechtsorgane gibt es keine wissenschaftliche Evidenz für einen individuellen Nutzen von Screening-Untersuchungen symptomloser Personen auf Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae. Nach derzeitigem Wissensstand heilen asymptomatische pharyngeale und rektale Infektionen ohne Behandlung in der Regel folgenlos aus. Bislang wurde auch kein Public Health-Nutzen eines systematischen regelmäßigen Screenings auf Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae bei PrEP-Nutzern gezeigt. Ebenso ist wissenschaftlich umstritten, ob ein solcher Nutzen erwartet werden kann.
Die Konsensuskonferenz empfiehlt angesichts dieser Datenlage, dass PrEP-Nutzern alle 12 Monate eine Abstrichuntersuchung auf Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae (pharyngeal, genital und anorektal; ggfs. pooling möglich) angeboten werden sollte. Falls ein Bedarf gesehen wird, kann die Untersuchungsfrequenz auf alle 6 bis alle 3 Monate verkürzt werden. Alternativ kann die Untersuchung aus dem Erststrahlurin erfolgen. Für den Umgang mit symptomatischen Patient*innen und/oder positiven Untersuchungsergebnissen wird auf die jeweiligen STI-Leitlinien verwiesen.
Ferner wurde die Häufigkeit der routinemäßigen Kreatinin-Kontrollen reduziert. Die Ermittlung der eGFR wurde von „Alle 3 Monate“ (vorher abhängig von Alter und vorheriger GFR) bei Menschen <40 Jahren, einer GFR >90 ml/min und/oder der Abwesenheit renaler Risikofaktoren und/oder Vorerkrankungen auf alle 6-12 Monate verlängert.
Empfehlung 2.5: Umgang mit STI während PrEP
Sofern während der PrEP sexuell übertragene Infektionen festgestellt werden, sollen diese entsprechend den jeweils gültigen Leitlinien therapiert werden.
Die Einnahme von Doxycyclin im Sinne einer STI-PEP in Ergänzung zur HIVPrEP kann aktuell nicht generell empfohlen werden.
[Konsensstärke: Konsens]
Hier gibt es eine neue Stellungnahme zur DoxyPep. Diese wird nicht generell empfohlen, doch im Begleittext wird darauf hingewiesen, dass man bei Patient*innen mit mehreren STI im letzten Jahr eine additive Doxycyclin PEP im Einzelfall in Erwägung ziehen kann. Die Einnahme von 200 mg Doxycyclin bis zu 72 Stunden nach einem Risikokontakt verminderte in einer klinischen Studie das Risiko von Infektionen mit Chlamydien und Treponema pallidum.
Großer Dank gilt insbesondere allen Mitarbeitenden der PrEP-Leitlinien-Gruppe, dem Sekretariat sowie Vorstand der DAIG und der AWMF für kontinuierliche Unterstützung – und Geduld. Die Leitlinien im Volltext finden Sie hier: https://daignet.de/leitlinien-und-empfehlungen/hiv-leitlinien/
* anti-HBsAk, HBsAg, anti-HBcAk
** HCV-PCR bei bekannter oder durchgemachter HCV-Infektion
Die Empfehlung für die obengenannten Begleituntersuchungen erfolgt mit Konsens.