Von Mikrobiologen lernen
Es ist nicht einfach auf einem internationalen Mega-Kongress wie der ESCMID Global 2024 mit über 17.000 Teilnehmern und rund 10 Parallel-Sessions täglich die Übersicht zu behalten – zumal die rund 5.000 präsentierten Arbeiten thematisch auf alle denkbaren Gebiete der Infektiologie verteilt waren. Der Großteil der Sessions war der Fortbildung gewidmet, neue wissenschaftliche Daten wurden meist als Poster präsentiert.
Antimikrobielle Therapie
Die Schwerpunkte der Tagung lagen auf der klinischen Mikrobiologie. Es gab viele Berichte aus aller Welt zu Resistenzen, Ausbrüchen, Fallbeschreibungen sowie zu alten und neuen Antibiotika im aktuellen klinischen Einsatz.
Bei der Labor-Diagnostik zeichnet sich ein Trend zum Einsatz der künstlichen Intelligenz ab, auch wenn Chat GPT bislang noch nicht die Empfehlung eines versierten ABS-Experten ersetzen kann. Bei der Beantwortung von 72 Fragen schnitt das Programm im Hinblick auf Wissen besser ab als die Kliniker, empfahl aber trotz vorheriger Eingabe von Leitlinien in konkreten Fällen veraltete Antibiotika und eine zu lange Therapiedauer (De Vito A et al., # P3951).
Zukunftsmusik ist auch die Messung von Antibiotika-Spiegeln im Atem, in einer Proof-of-Concept gelang es, mittels Massenspektrometrie Metaboliten einiger Antibiotika zu messen (Dräger S et al., #P2422).
CRISPER-Phagen
Eine neue antimikrobielle Strategie, die derzeit mit Hochdruck erforscht wird, ist die Phagen-Therapie in Kombination mit CRISPER-Cas. Bakterielle CRISPER-Cas-Systeme, die natürliche Bestandteile der bakteriellen Viren-Abwehr sind, können durch Umprogrammierung auch gegen das Bakterium selbst eingesetzt werden. Als Vehikel für die „CRISPER-Cas Umprogrammierung“ werden derzeit Bakteriophagen eingesetzt. Doch Bakterien haben auch Anti-Phagen-Abwehrsysteme. Um diese zu überwinden, werden Phagen mit „Phagen-Satelliten“, also Viren, die Phagen befallen, ausgestattet, die die bakteriellen Phagen-Abwehrsysteme unschädlich machen sollen. Die neu programmierte CRISPER-Cas Genschere kann dann Bakterien gezielt abtöten, Resistenzen beseitigen bzw. die Weitergabe durch horizontalen Gentransfer verhindern.
Die ersten Arbeiten zu dieser neuen antimikrobiellen CRISPER-Cas Strategie sind vielversprechend. Die Entwicklung steht allerdings noch am Anfang. Es ist noch unklar, welche Angriffspunkte und Bakterienstämme am besten für CRISPER-Cas-Antimikrobiotika am besten geeignet sind, welche Abwehrmechanismen Bakterien noch entwickeln könnten und wie es um die Sicherheit der neuen Technologien bestellt ist (Dr. Rodrigo Ibarra-Chávez R und Ibrahim Bitar I, #3749).
Neu gegen Gonorrhoe
Sexuell übertragbare Infektionen (STI) sind überall auf dem Vormarsch und mit einem Anstieg der ohnehin weit verbreiteten Tetrazyklin- und Ciprofloxacin Resistenz sowie der Azithromycin-Resistenz ist zu rechnen. Auf die empfohlene Therapie mit Ceftriaxon sprechen derzeit noch mehr als 90% der Gonokokken an, doch es ist erfreulich, dass in Zukunft zwei weitere Therapieoptionen zur Verfügung stehen werden. Zoliflodacin war in einer Dosierung von einmal 3.000 mg oral genauso effektiv wie Ceftriaxon 500 mg IM plus 1 g Azithromycin (Luckney A et al., #O1177). Der Effekt von Gepotidacin 2x 3.000 mg oral war in der Studie EAGLE-1 ebenfalls mit Ceftriaxon 500 mg IM plus 1 g Azithromycin vergleichbar bei insgesamt guter Verträglichkeit, aber mit mehr milden gastrointestinalen Beschwerden als intramuskuläres Ceftriaxon (Ross JDC et al., #LB030). Gepotidacin 1.500 mg BID wird zudem zur Therapie der unkomplizierten Harnwegsinfektion entwickelt und war in den Studien EAGLE-2 und -3 gleichauf mit Nitrofurantoin 100 mg BID.
Young Investigator Award:
Henning Gruell und Rasmus
Leistner geehrt
Dr. Henning Gruell, Köln, erhielt den Preis für seine Arbeit „Antibody-mediated treatment and prevention of viral infections“.©Michael Wodak
PD Dr. Rasmus Leistner, Berlin, erhielt den Preis für seine Arbeit „Use cases for artificial intelligence in clinical epidemiology in infectious diseases“.©priv.
Antimykotika
Bereits seit Anfang des Jahres ist Rezafungin (Rezzayo®) in Europa zur Behandlung der invasiven Candidiasis zugelassen. In der globalen Zulassungsstudie ReStore erreichten vorbehandelte/nicht-vorbehandelte Patienten unter Rezafungin einmal wöchentlich die Pilz-Eradikation schneller als unter Casopofungin einmal täglich. In der aktuellen Subanalyse kam es bei nicht-vorbehandelten Patienten (n=48) in der Rezafungin-Gruppe ebenfalls schneller zur mykologischen Eradiktion (Tag 5: 78% vs 59%). Die Mortalität war in beiden Gruppen vergleichbar (Thompson G et al., #P2977). Vorteile der wöchentlichen Applikation und der schnelleren Eradikation ist die Möglichkeit der früheren Entlassung der Patienten aus dem Krankenhaus. Dies führt zu Einsparungen, was Therapie mit Rezafungin gemäß einer Auswertung der Kölner Universitätsklinik kosteneffektiv macht (Kurte M et al., #P2995). Im Early Access Programm wurde Rezafungin u.a. auch bei chronischen nicht C. albicans-Infektionen erfolgreich ambulant eingesetzt (Vicconte G et al., #O0960). Der weitere Einsatz von Rezafungin im klinischen Alltag soll jetzt im internationalen Register für invasive Pilzinfektionen „Fungiscope“ dokumentiert und ausgewertet werden. Interessenten können sich bei www.fungiscope.net registrieren.
Die Zulassung von Olorofim wurde Mitte 2023 von der FDA abgelehnt aufgrund von zu wenigen Sicherheits-Daten. Der Hersteller will aber weiter machen und nach Abschluss der noch laufenden Phase-3-Studie OASIS wieder einreichen. In Barcelona wurden positive in-vitro-Daten bei endemischen Mykosen (Pinder C et al., #P2923), Aspergillus-Isolaten (Serrano-Lobo J, #2927; Pinder C et al., #E0539), resistenten Coccidioides Spezies (Wiederhold N et al., #P2986) und Fusarium (Song Y et al., #2966) sowie EUCAST MICs in Dänemark (Arendrup M et al., #E0540) präsentiert.
Antivirale Therapie
Antivirale Therapien waren ein vergleichsweise kleines Thema. Es wurden zahlreiche Arbeiten zu Impfungen und Antikörpern gegen COVID-19 gezeigt. SARS-CoV-2 ist nicht verschwunden und entwickelt sich weiter, was Anpassungen der Prävention erforderlich macht. Menschen unter B-Zell depletierenden Therapien bauen keinen ausreichenden Impfschutz auf (Shawe-Taylor M et al., #LB023), sondern brauchen angepasste Antikörper, auch wenn die Virusinfektion bei den neuen Varianten milder verläuft.
Bei den Virostatika ist Brincidofiovir eine Weiterentwicklung von oralem Cidofovir mit weniger hepatischen und gastrointestinalen Nebenwirkungen. Das Breitspektum-Virostatikum hat sich als IV-Lösung in einer kleinen Phase-2-Studie bei Adnenovirämie bei immungeschwächten Patienten gut bewährt (Papanicolaou G et al., #LB042). Das Virostatikum Obeldesivir, das derzeit gegen COVID-10 geprüft wird, scheint auch gegen Ebola-Viren zu wirken. Als PEP hat es im Tierexperiment Affen vor der Infektion geschützt bzw. den Verlauf abgemildert (Chu V C et al., #O0728).
Impfung
Der neue 21-valente Pneumokokken-Impfstoff V116 wurde spezifisch für Erwachsene entwickelt und deckt rund 83% der Serotypen bei Pneumokokken-Infektionen bei über 65jährigen an. Die Immunogenität der neuen Vakzine und PPSV23 wurden in der Studie STRIDE-10 bei noch nie gegen Pneumokokken Geimpften über 50 Jahre verglichen. Die Immunantwort war im Hinblick auf die in beiden Vakzinen enthaltenen Serotypen vergleichbar, aber signifikant besser für 8/9 V116-spezifischen Serotypen für Verträglichkeit und Sicherheit (Jotterand V et al.,#O1000). Für den adjuvantierten Totimpfstoff gegen Herpes zoster gibt es nun auch Langzeitdaten: In der Follow-up-Studie ZOSTER-049 zeigte sich die langanhaltend hohe Wirksamkeit und Sicherheit über 11 Jahre hinweg (Strezova A et al. # LB050).