Silke
Tribius, Hamburg und Markus Hoffmann, Kiel
Humane Papillomviren – ein Risikofaktor
für Oropharynxkarzinome
HPV-Infektionen des Anogenitaltraktes gelten als sexuell übertragene Erkrankungen. Im Gegensatz dazu ist ein Zusammenhang zwischen Sexualverhalten und HPV-Infektionen im Kopf-Hals-Bereich nicht hinreichend untermauert. Neuerdings wird jedoch insbesondere ein Zusammenhang zwischen HPV und Plattenepithelkarzinomen der Tonsillen des Gaumens und des Zungengrundes diskutiert, welche beide in der anatomischen Region des Oropharynx loka-lisiert sind (im Folgenden Oropharynxkarzinome, OPK).
Mehr als 90% der Kopf-Hals-Karzinome sind Plattenepithelkarzinome. Sie stehen an sechster Stelle der häufigsten Tumorerkrankungen weltweit. Für Deutschland wurde die Inzidenz für 2008 mit 15.583 Neuerkrankungen und 6.100 Todesfällen geschätzt. Die karzinogene Wirkung des Tabakrauches und des Alkohols ist ein bekannter Risikofaktor und spielt bei circa 75% der Patienten eine kausale Rolle. Während die Inzidenz der klassischen, also nikotin- und alkoholassoziierten Kopf-Hals-Karzinome in vielen Ländern sinkt, lassen viele epidemiologischen Studien vermuten, dass die ansteigende Häufigkeit der OPK zunehmend eine Assoziation mit einer HPV-Infektion widerspiegelt bei gleichzeitig abnehmendem Nikotinkonsum.
Der geschätzte Anteil der HPV-assoziierten OPK wird für Deutschland mit 30-40% angegeben. In den USA wurde ein Anstieg der Inzidenz der HPV-DNA-positiven OPK zwischen 1984 und 2004 mit 225% mit einem aktuellen Anteil von bis zu 70% der neu diagnostizierten OPK beobachtet.1 Im gleichen Zeitraum sank die Inzidenz der HPV-DNA-negativen OPK um 50%. Die Autoren gehen davon aus, dass die Inzidenz der HPV-positiven OPK bis zum Jahr 2020 die der Zervix-uteri-Karzinome der Frauen überschreitet und betonen die gesundheitspolitische sowie sozioökonomische Bedeutung dieser Infektion.
Eigene Entität
HPV-positive oropharynxkarzinome | HPV-negative oropharynxkarzinome |
---|---|
Anzahl der oralen Sexualpartner | Nikotinkonsum |
Anzahl der vaginalen Sexualpartner (Lebenszeit) | Alkoholkonsum |
Jüngeres Alter bei erstem Sexualkontakt | Höheres Alter |
Anogenitale Warzen | Schlechte orale Hygiene |
Marihuana-Konsum |
Tab. 1 Risikofaktoren für HPV-positive und HPV-negative Oropharynxkarzinome
HPV-assoziierte OPK werden zunehmend als eigene Entität neben den HPV-negativen Kopf-Hals-Karzinomen gewertet, da sich die Karzinome HPV-abhängig bestimmten Eigenschaften zuordnen lassen: Im Gegensatz zu Patienten mit klassischen OPK präsentieren sich Patienten mit HPV-positiven Karzinomen bei Diagnosestellung typischerweise mit großen, in der Bildgebung oft zystischen Halslymphknotenmetastasen bei dennoch relativ kleinen Primarien. In der Regel handelt es sich aufgrund des Halslymphknotenstatus insgesamt um lokal fortgeschrittene Tumorstadien (UICC Stadium III/IV). Patienten mit HPV-positiven OPK sind in der Regel jünger, was unter anderem auf ein risikobereiteres Sexualverhalten (steigende Anzahl oraler wie vaginaler Geschlechtspartner in einem jüngeren Alter)2 zurückgeführt wird, sind meist männlich und kaukasischer Abstammung, wobei die Gründe hierfür unklar sind. Die Risikofaktoren für HPV-assoziierte OPK im Gegensatz zu HPV-negativen OPK sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
MSM kein additiver Risikofaktor
Abb. 1 Multiple orale Condylome
Es ist bekannt, dass insbesondere Männer, die gleichgeschlechtliche Sexualpartner haben („men having sex with men“, MSM), stärker von durch HPV verursachten Erkrankungen des Anogenitalbereiches betroffen3, 4 sind. So treten gutartige Penis- oder Analkondylome und insbesondere auch Penis- und Analkarzinome überwiegend bei MSM auf, die regelmäßig ungeschützten Geschlechtsverkehr mit wechselnden Männern haben.
Tatsächlich sind hier wiederum überwiegend HIV-positive Personen betroffen, was auch auf den weitaus geringeren Anteil weiblicher Patienten mit Analkarzinomen zutrifft. Eine Korrelation zwischen HPV-bedingten Oropharynxkarzinomen und MSM konnte in der Literatur bisher nicht beschrieben werden. Gerade das bisher Fehlen eines zu verzeichnenden Inzidenzanstieges HPV-positiver Oropharynxkarzinome in dieser Risikogruppe [(HIV-positive) MSM] scheint das stärkste Argument zu sein, bestimmte Sexualpraktiken nicht als alleinigen HPV-Übertragungsweg anzusehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich HPV schon bei weniger intensiven Körperkontakten übertragen lässt und die individuelle Empfänglichkeit für eine solche Infektion weiteren (vielleicht immunologischen) Faktoren der verschiedenen Personen unterliegt.
Bessere Prognose
Studien haben das Überleben von Patienten mit HPV-positiven OPK mit HPV-negativen verglichen und festgestellt, dass Patienten mit HPV-positiven Karzinomen ein signifikant besseres Überleben zeigen, kürzlich zusammengefasst im Deutschen Ärzteblatt.5 Der Überlebensvorteil liegt durchschnittlich bei 30%, was auf eine erhöhte Strahlen- und Chemosensibilität zurückgeführt wird.
Ang und Mitarbeiter haben beschrieben, dass eine positive Raucheranamnese den Erkrankungsverlauf sowohl in der HPV-positiven als auch in der HPV-negativen Gruppe negativ beeinflusst. In Abhängigkeit von vier Risikofaktoren ist das Risiko der Patienten, an dem Tumor zu versterben, in die Kategorien niedrig, intermediär und hoch eingestuft worden: HPV-DNA-Status, Nikotinkonsum, T- und N-Stadium. Aus diesen Ergebnissen wurde abgeleitet, dass eine positive Nikotinanamnese und ein höheres N-Stadium zumindest teilweise dem besseren Ansprechen auf die Therapie der HPV-positiven Patienten entgegenwirken, wodurch das Mortalitätsrisiko der Patienten auf ein Niveau ansteigt, das dem von HPV-negativen Nichtrauchern entspricht.6
Therapiestandard
Die derzeitige Standardtherapie für lokal fortgeschrittene Kopf-Hals-Karzinome ist multimodal und besteht aus einer Kombination aus Operation, Radio(chemo)therapie (platin-basiert) oder Radio(immun)therapie (EGFR-Antikörper Cetuximab). Allerdings hat sich das Risiko für Nebenwirkungen mit der zunehmenden Intensivierung der Therapie, insbesondere der RCT und RIT, verfünffacht.7 Vor allem bei Patienten mit HPV-bedingten OPK mit sehr guter Prognose wird die Wertigkeit einer solchen intensivierten Therapie mit den entsprechend zu erwartenden Langzeitkonsequenzen (z.B. Dysphagie, Xerostomie) auf die Lebensqualität nachvollziehbar kritisch hinterfragt. Deeskalationsstrategien werden derzeit in mehreren randomisierten Studien geprüft. Es ist zu hoffen, dass zukünftige Studien zur Behandlung von Kopf-Hals-Karzinomen, insbesondere von OPK, die von Ang und Mitarbeitern aufgezeigten Risikofaktoren berücksichtigen und entsprechend stratifizieren.
1 Chaturvedi AK, Engels EA, Anderson WF, Gillison ML. Incidence trends for human papillomavirus-related and -unrelated oral squamous cell carcinomas in the United States. J. Clin. Oncol. 2008;26:612-619.
2 D’Souza G, Agrawal Y, Halpern J, Bodison S, Gillison ML. Oral sexual behaviors associated with prevalent oral human papillomavirus infection. J Infect Dis 2009;199:1263-1269.
3 Tribius S, Hoffmann M. Human papillomavirus infection in head and neck cancer. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(11):184-90.
4 Lu B, Viscidi RP, Lee JH, Wu Y, Villa LL, Lazcano-Ponce E, da Silva RJ, Baggio ML, Quiterio M, Salmerón J, Smith DC, Abrahamsen M, Papenfuss M, Stockwell HG, Giuliano AR. Human papillomavirus (HPV) 6, 11, 16, and 18 seroprevalence is associated with sexual practice and age: results from the multinational HPV Infection in Men Study (HIM Study). Cancer Epidemiol Biomarkers Prev. 2011 May;20(5):990-1002.
5 Moscicki AB, Schiffman M, Burchell A, Albero G, Giuliano AR, Goodman MT, Kjaer SK, Palefsky J. Updating the natural history of human papillomavirus and anogenital cancers. Vaccine. 2012 Nov 20;30; Suppl 5:F24-33.
6 Ang KK, Harris J, Wheeler R, Weber R, Rosenthal DI, Nguyen-Tân PF, Westra WH, Chung CH, Jordan RC, Lu C, Kim H, Axelrod R, Silverman CC, Redmond KP, Gillison ML. Human papillomavirus and survival of patients with oropharyngeal cancer. N Engl J Med 2010;363:24-35.
7 Trotti A, Pajak TF, Gwede CK, Paulus R, Cooper J, Forastiere A, Ridge JA, Watkins-Bruner D, Garden AS, Ang KK, Curran W. TAME: development of a new method for summarising adverse events of cancer treatment by the Radiation Therapy Oncology Group. Lancet Oncol 2007;8:613-624.