Croi 2022, Virtuell, 12. - 16. Februar 2022
CROI 2022Wer sucht, findet noch ein paar Rosinen

Die CROI war bisher das wissenschaftliche Highlight im HIV-Kongresskalender. Sicherlich ist das Niveau der Konferenz immer noch hoch, die Zahl relevanter klinischer Studien ist jedoch sehr überschaubar. Aber ein paar Rosinen gibt es noch im Kuchen, insbesondere zu den neuen Substanzen zur ART und PrEP.

CROI V-Conference

Die diesjährige CROI sollte in Denver/Colorado stattfinden. Doch Omikron machte den Veranstaltern erneut einen Strich durch die Rechnung. Die CROI fand zum dritten Mal in Folge virtuell statt. Vorteil: Reisen und Jetlag fallen weg. Nachteil: Es ist deutlich schwieriger, die Inhalte zu erfassen. Das liegt nicht nur an der geringeren Zeit, die man auf der Konferenz verbringt, auch nicht an der Zeitverschiebung, sondern zum Großteil an der unverändert schlechten Plattform und der mehr als schlechten Suchfunktion. Aus diesem Grund wird in diesem CROI-Bericht auf die Angabe der Abstract-Nummer verzichtet. Erfreulich war lediglich der Verzicht auf einen Moderator/Entertainer, wie ihn die IAS bei ihrer letzten virtuellen Konferenz in Person von Herrn von Hirschhausen hatte, sowie der Verzicht auf sonstige Stars und Sternchen.

Registriert waren wie immer rund 3.300 Personen, die Zugang hatten zu knapp 900 Präsentationen, 92 davon Vorträge und 768 Poster. Das wissenschaftliche Interesse an der Konferenz scheint ungebrochen. Nur etwa die Hälfte der eingereichten Arbeiten wurde akzeptiert, 17 davon als Late Breaker. COVID-19 war ein wichtiges Thema, allerdings waren viele Arbeiten – der Dynamik dieses Feldes geschuldet – veraltet und nicht mehr relevant.

Aufreger: Erhöht RAL die Mortalität?

Wenn man die große Daten-Box immer wieder schüttelt, fällt dann doch irgendwann ein Aufreger heraus. So bei der Analyse der Daten von 62.500 Menschen mit HIV. Die Mortalität war unter Raltegravir höher als unter anderen INSTI (Trickey A al.). Hier gilt es zu bedenken, dass Raltegravir der erste verfügbare INSTI war, der sich zudem durch gute Verträglichkeit und wenig Interaktionspotential auszeichnet. Ein Chanelling Bias ist durchaus möglich.

Überflüssig: Telomerlänge unter TAF

Ein biologischer Surrogat-Parameter für den Altersprozess ist die Telomerlänge. Diese scheint unter TAF rascher abzunehmen als unter TDF. Möglicherweise aufgrund der höheren intrazellulären Tenofovir-Konzentration unter TAF (Roy U et al.). Leider haben die Autoren ihren Befund nicht mit klinischen Parametern der Alterung korreliert.

Wichtig: Sotrovimab intramuskulär

Sotrovimab wird in einer Dosis von 500 mg einmalig intravenös verabreicht. In der Studie COMET war die einmalige intramuskuläre Gabe genauso effektiv (Shapiro AE et al.). Sehr interessant, doch cave – noch außerhalb der Zulassung.

Fraglich: COVID-19 verfälscht HIV-Test

Bei aktiver COVID-19 Erkrankung kann der HIV-Test falsch positiv ausfallen. Eine retrospektive Analyse ergab selbst bei 4. Generationstests eine 2,6fach höhere Rate an falsch-positiven HIV-Tests. Grund ist vermutlich eine Kreuzreaktion von Antikörpern gegen das Spike-Protein (Shallal A et al.). Schade, dass die Autoren Testergebnisse nur einmal zwei Wochen nach der positiven Corona-PCR analysiert haben.

Heilung

Der dritte Fall (oder der vierte Fall, wenn man den Düsseldorfer Patient dazu rechnet) einer Heilung war das Medien-Highlight der Konferenz. Ob das wissenschaftlich auch eine Sensation ist, mag bezweifelt werden. Es gibt allerdings einige interessante Unterschiede zu den anderen Geheilten. Die mittelalte Amerikanerin wurde wegen einer akuten myeloischen Leukämie u.a. mit Stammzellen aus Nabelschnur-Blut transplantiert. Für die „mixed race“ Patientin ließ sich kein passender Knochenmarkspender mit der relevanten CCR5-delta-32-Mutation finden. Schon bei Europäern ist diese Mutation mit 1% selten, bei anderen Ethnien noch seltener. Es wurden daher Stammzellen aus Nabelschnur-Blut transfundiert, die zudem eine geringere HLA-„Passgenauigkeit“ als Knochenmark-Stammzellen erfordern. Nach der Transplantation wurde die Frau noch drei Jahre lang antiretroviral weiterbehandelt. Mittlerweile ist sie ohne ART 14 Monate HIV-frei (Hsu J et al.).

Resistenz bringen bNABs zu Fall

Schon länger wird versucht, HIV durch breit neutralisierende Antikörper zu bezwingen. Das Problem dabei sind die Halbwertzeit und Resistenz. In zwei Studien (n=10) an unbehandelten Patient*innen zeigten zwei und sogar drei langwirksame bNABs nur mäßigen und nicht anhaltenden Erfolg im Sinne der Virussuppression (Juelg B et al.; Caskey M et al.). Bei antiretroviral behandelten Kindern unter sechs Jahren wurde die erste “proof-of-concept”-Studie (n=28) mit zwei bNABs präsentiert. Die Probleme und Ergebnisse waren mit denen bei Erwachsenen vergleichbar (Shapiro RL et al.). Ein Grund für das schlechte Ansprechen ist vermutlich auch eine primäre Resistenz. In den Proben von 173 Menschen mit akuter HIV-Infektion hatte die Hälfte primäre Resistenzmutationen gegen zwei bNABs (Zacharopoulou P et al.).

Provirale Resistenz sinnlos?

In der deutschen LOWER-Studie werden Patienten mit Multiresistenz beobachtet. Verschiedene provirale Resistenzanalysen erkannten sehr viele der historischen Resistenzmutationen und sogar 19% vorher nicht bekannte Mutationen. Allerdings veränderte sich das Resistenzmuster im zeitlichen Verlauf teils erheblich und unabhängig vom aktuellen ART-Regime. Deshalb sollten – so die Autoren – Therapieentscheidungen und De-Eskalationsstrategien nicht allein auf Basis der proviralen Resistenz getroffen werden (Hoffmann C et al.).


Abb. 1 CALIBRATE Virologisches Ergebnis zu Woche 54 (FDA Snapshot)
Abb. 1 CALIBRATE Virologisches Ergebnis zu Woche 54 (FDA Snapshot)


Lenacapavir

Der Kapsid-Inhibitor von Gilead Sciences wird derzeit in der Firstline sowie der Salvage-Situation entwickelt. Die Studien in Kombination mit Islatravir sind aktuell gestoppt (vergleiche S. 12/13). In CALIBRATE (n=182) wird Lenacapavir als Tablette einmal täglich sowie als subkutane Injektion alle 6 Monate in Kombination mit F/TAF im Rahmen einer Firstline-ART gegen BIC/F/TAF geprüft (n=182). Es fand sich ein rasches virologisches Ansprechen (80% zu Woche 4 <50 K/ml) und nach 54 Wochen waren in allen Gruppen vergleichbar viele Teilnehmer*innen unter der Nachweisgrenze (85% bzw. 90%). Es gab zwei Fälle einer Resistenzentwicklung: Einmal nach 10 Wochen (Q67H+K70R+M184M/I) sowie einmal nach 54 Wochen (Q67H). In beiden Fällen scheint die Tabletten-Adhärenz ungenügend gewesen zu sein. Beide Patienten konnten anschließend mit INSTI plus 2 NRTI erfolgreich behandelt werden. Nebenwirkungen waren Kopfschmerz und Übelkeit (jeweils 13%) sowie Lokalreaktionen auf die Spritze (14%) (Gupta S et al.).

In CAPELLA (n=36) wird Lenacapavir subkutan alle sechs Monate (SCQ6M) mit optimiertem Regime bei Multiresistenz und Therapieversagen geprüft. Nach 52 Wochen waren 83% der randomisierten Personen supprimiert. Von denen mit keinem, einem oder mindestens zwei aktiven Substanzen lagen die Suppressionsraten bei 67%, 79% bzw. 94%. Eine Lenacapavir-Resistenz entwickelten vier Patienten (11%), wobei keine Resistenz nach Woche 26 beobachtet wurde. Alle diese Patienten hatten ein hohes Risiko einer Resistenz wegen schlechter Adhärenz bzw. funktioneller Monotherapie. Nebenwirkungen waren mit jeweils 13% Diarrhoe und Übelkeit. Ein Viertel hatte initial lokale Injektionsreaktionen, die aber im Lauf der Zeit abnahmen. Nur ein Patient brach deshalb die Therapie ab (Ogbuagu O et al.). Eine Kreuzresistenz mit Entry-Inhibitoren ist einer in vitro-Untersuchung von Isolaten aus der CAPELLA-Studie zufolge nicht zu erwarten (Nicolas M et al.).

DTG/3TC und M184V

In SALSA wurden komplett supprimierte Patient*innen auf Dolutegravir/3TC umgestellt oder wie bisher weiterbehandelt. Beide Strategien waren gleich effektiv, auch wenn man – wie die neue Analyse – auf die Viruslast <40 Kopien/ml bzw. TND (Target not Detected) sieht. Eine archivierte M184V/I hatte keinen negativen Einfluss. In beiden Studienarmen hatten 3% der Teilnehmer*innen eine archivierte M184V/I und auch diese blieben unter Dolutegravir/3TC weiterhin supprimiert (Underwood M et al.).


Abb. 2 DUALIS – Gewichtsveränderung zu Woche 48
Abb. 2 DUALIS – Gewichtsveränderung zu Woche 48

ART und Gewicht

Dolutegravir macht dick, TAF macht dick und TDF macht schlank. Das ist in überspitzter Kurzform das Ergebnis von drei verschiedenen kontrollierten Studien. In der deutschen DUALIS-Studie wurden supprimierte Patient*innen (n=263) von Darunavir/r plus 2 NRTI auf das duale Regime Darunavir/r plus Dolutegravir umgestellt oder weiterbehandelt. Der Switch auf 2DR brachte keinen Vorteil im Hinblick auf die Fettstoffwechsel und Nierenfunktion, führte allerdings zu einer Gewichtszunahme (+2 kg vs 0,2 kg) (Abb. 2) (Monin MB et al.).

Abb. 3 SALSA Veränderung Gewicht von Baseline bis Woche 38 nach Switch
Abb. 3 SALSA Veränderung Gewicht von Baseline bis Woche 38 nach Switch

Abb. 4 Gewichtsveränderung unter BIC/F/TAF bis Woche 250
Abb. 4 Gewichtsveränderung unter BIC/F/TAF bis Woche 250

In den beiden Zulassungsstudien wird der Effekt von Bictegravir/TAF/FTC mittlerweile fünf Jahre beobachtet. Eine gute Bilanz: keine Resistenz, stabile Knochen- und Nierenwerte, geringer Anstieg des Gesamtcholesterin bei stabiler Cholesterin:HDL-Ratio. Die Gewichtszunahme betrug allerdings im Mittel 6,1 kg (Abb. 3) (Wohl DA et al., #494).


In der Switch-Studie SALSA wurden supprimierte Patient*innen auf Dolutegravir/3TC umgestellt oder weiterbehandelt. Ein Jahr nach der Umstellung von einem TAF-basierten Regime fand sich keine unterschiedliche Zunahme (+1,6 kg vs +1,4 kg), während die Umstellung von einem TDF-basierten Regime zu einer deutlich stärkeren Zunahme führte (+2,4 kg vs 0,1 kg). Über 10% ihres Ursprungsgewichts hatten in der TAF-Gruppe 12%, in der TDF-Gruppe 4% zugelegt (Abb. 4) (Hagins D et al.).

PrEP-Kontrolle besser mit PCR

Die PrEP-Studie HPTN 083, in der Cabotegravir IMQ6M gegen TDF/FTC oral einmal täglich geprüft wird, wurde nach Abbruch wegen klarer Überlegenheit der Spritzen-PrEP, offen weitergeführt. Ein Jahr nach der Entblindung sind weitere HIV-Infektionen dazu gekommen, aber der Unterschied zwischen beiden Armen ist gleich geblieben: Cabotegravir ist klar überlegen (Abb. 5) (Landowitz RJ et al.). Ein Problem bei der PrEP und bei der Langzeit-PrEP im Besonderen, ist die Schwierigkeit, eine HIV-Infektion zu diagnostizieren, da die Serokonversion verzögert und die Viruslast durch die PrEP niedrig ist. Eine hochsensitive Viruslast-Messung könnte hier weiterhelfen. In HPTN 083 hatten 7/16 Männer mit einer HIV-Infektion unter Cabotegravir eine INSTI-Resistenz entwickelt. In zwei Fällen konnte die Resistenz nicht bestimmt werden. Mit einer empfindlichen HIV-PCR (<30 Kopien/ml) als HIV-Test wäre die Infektion bei 4/7 Männer entdeckt worden, bevor sich eine INSTI-RAM entwickelt hätte und bei zwei weiteren Männern bevor weitere INSTI-RAMs dazu gekommen wären (Eshleman S et al.).

Abb. 5 HTPN 083 HIV-Infektionen unter Cabotegravir im Verlauf von drei Jahren
Abb. 5 HTPN 083 HIV-Infektionen unter Cabotegravir im Verlauf von drei Jahren

PrEP-Implantat

Noch fast ganz am Anfang der Entwicklung zur PrEP stehen Islatravir und Lenacapavir. Die Gewebekonzentration von Islatravir (oral einmal monatlich) ist in den verschiedenen Gewebekompartimenten bei Mann und Frau vergleichbar und die Serumkonzentration scheint ein guter Surrogatparameter zu sein. Die Substanz hat auch subkutan QM gegeben keinen Einfluss auf Nieren- und Stoffwechsel-Parameter (Hendrix CW et al.). Die Effektivität von Lenacapavir wurde an Affen getestet (MacDonald PJ et al.).

Die Zukunft der PrEP wird aber vermutlich dem Implantat gehören. In der Entwicklung sind unter anderem „in situ forming implants“, die im Lauf der Zeit resorbiert werden, aber auch entfernt werden können mit/ohne „multipurpose prevention technologies“ z.B. Kontrazeption+HIV-PrEP (Young I et al.; Massud I et al., Kovarova M et al.).

HIV und Herzinfarkt

Menschen mit HIV haben einer Auswertung der großen amerikanischen Krankenversicherung Kaiser Permanente zufolge ein um 60% höheres Risiko für einen Herzinfarkt als ihre Altersgenossen mit gleichen Risikofaktoren. In der ersten Zeit (Start 2005) war die Infarktrate mit 1,1% über fünf Jahre gleich, doch dann bewegten sich die Kurven auseinander. Bei den HIV-Positiven stieg sie auf 1,2%, bei den HIV-Negativen fiel sie auf 0,9%. Rechnerisch ergab sich in den Jahren 2010-2017 ein über 60% höheres Infarktrisiko (Silverberg M et al.).
Antiinflammatorische Medikamente wie NSAR und Steroide können das kardiovaskuläre Risiko auch bei HIV weiter erhöhen (Titanji BK et al.).

Anale Krebsvorstufen behandeln!

Was man bei Frauen mit Zervixveränderungen schon lange weiß und macht, ist auch bei Männern mit hochgradigen analen Krebsvorstufen sinnvoll: Nicht zuwarten, sondern behandeln. In der amerikanischen Studie ANCHOR wurden HIV-Positive mit einer hochgradigen plattenepithelialen intraepithelialen Läsion (HSIL) (zuvor Carcinoma in situ, Morbus Bowen, anale intraepitheliale Neoplasie II-III, high-grade AIN) entweder alle drei bis sechs Monate kontrolliert oder behandelt (meist Elektrokauter). Schon beim initialen Screening von über 10.000 Personen fanden sich 17 Karzinome (Inzidenz 160/100.000). Nach rund zwei Jahren waren in der Therapiegruppe neun, in der Kontroll-Gruppe 21 Analkarzinome aufgetreten. Das heißt, die Behandlung reduziert das Karzinom-Risiko bei einer Indizenz von 173 vs 402 pro 100.000 um 57% (Palefsky J et al.).

Corona-Impfung und HIV

Die Lücke, die die schwindende Anzahl von interessanten klinischen Studien zu HIV hinterlässt, wird auf vielen Tagungen mit „benachbarten“ Themen gefüllt. Zunächst war es Hepatitis C, nun ist es COVID-19. So auch bei der CROI, nur leider ist SARS-CoV-2 der Wissenschaft (bisher zumindest) immer einen Schritt voraus. Aus diesem Grund gab es keine wegweisenden neuen Daten. Im Hinblick auf die Corona-Impfung bei HIV besteht Konsens, dass Menschen mit niedriger CD4-Zahl weniger gut auf die Grundimmunisierung mit der Bildung von Antikörpern ansprechen. Auf die Booster-Impfung scheint das Ansprechen dagegen nicht eingeschränkt zu sein, da – so die Theorie der Autoren – die Booster-Impfung eine gute Antwort der B-Gedächtniszellen mit konsekutiver Antikörper-Bildung auslöst (Antinori A et al.).

Die Funktion der Memory-Zellen und die CD8-Antwort seien die entscheidenden Faktoren für den Langzeit-Schutz insbesondere vor einem schweren Verlauf und Virusvarianten.

Ausgabe 1 - 2022Back

Meldungen

Ältere Meldungen weiter

Diese Website bietet aktuelle Informationen zu HIV/Aids sowie zur HIV/HCV-Koinfektion. Im Mittelpunkt stehen HIV-Test, Symptome und Auswirkungen der HIV-Infektion, Behandlung der HIV-Infektion, HIV-Medikamente mit Nebenwirkungen und Komplikationen, Aids, Hepatitis B und C. Ein Verzeichnis der Ärzte mit Schwerpunkt HIV ergänzt das Angebot.